Berlin. .

Eine Charme-Offensive führte Vier-Sterne-General David Petraeus am Mittwoch nach Berlin. Er ist schmächtig und leise – aber er ist der Mann, der die USA in Afghanistan vor der totalen Blamage bewahren soll.

Wer seine Doktorarbeit über die Lehren des Vietnamkriegs für das amerikanische Militär geschrieben hat, der hat verinnerlicht, dass die PR-Front in einem Krieg mindestens so wichtig ist wie die, an der gestorben wird. David Petraeus, der prominenteste Vier-Sterne-General der USA, den manche für den bedeutendsten Soldaten der Gegenwart halten, hat sich darum erst einmal einer Charme-Offensive verschrieben, als er am Mittwoch Mittag den Mahagoni-getäfelten Saal im Hotel Ritz-Carlton am Potsdamer Platz betritt. Eigentlich sollte das Gespräch des Oberkommandierenden der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan (Isaf) mit zehn ausgewählten Journalisten frühmorgens stattfinden. Weil der 58-Jährige seit dem Fall der Mauer aber zum ersten Mal an der Spree ist und sich unbekanntes Terrain als Jogger vorzugsweise bei Tageslicht erschließt, müssen die Medien warten. Laufen geht vor.

Schneeregen, drei Grad. Petraeus, drahtig, fit, mit trübblauen, aber hellwachen Augen, hat den bisher unwirtlichsten Herbsttag in der Hauptstadt erwischt. Er muss die knapp zehn Kilometer genossen haben. Seine Nasenspitze blinkt immer noch gut durchblutet, als der schmächtige, 1,74 Meter große Karriere-Soldat in dem dicken Polstersessel versinkt und mit dem Bestnoten-Verteilen beginnt.

Viel Lob für die Deutschen

Glatte Einsen, sogar „Bewunderung“ gibt es für: Deutschland an und für sich. Und das Engagement der 5000 Bundeswehr-Soldaten am Hindukusch. Für die Parlamentarier des Bundestages, die im Januar das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr zu verlängern haben. Für das „offene, schöne“ Berlin. Und, ganz speziell, für Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der geballt so viel Lob abbekommt, dass Horst Seehofer darüber wieder nicht in den Schlaf kommen würde. Drum bleibt es hier im Detail unerwähnt.

Dann erzählt der Schnelldenker, der die Militärakademie West Point absolviert und später an der Elite-Universität Princeton seinen Doktor gemacht hat, was er in diesen Tagen überall auf der Welt erzählt. Dass es Licht und Schatten gibt in Afghanistan, heißt: befriedete Regionen, die sicherheitspolitisch auf eigenen Beinen stehen können. Und solche, in denen die Taliban weiter kräftig Staat (kaputt)machen. Dass die „Ausdünnung“ der zurzeit knapp 130 000 Mann starken Isaf-Truppe wohl 2011 beginnen wird, er aber von in Stein gemeißelten Abzugsdaten gar nichts hält; was in gewisser Weise ein Fragezeichen hinter das von Präsident Obama anvisierte Enddatum 2014 setzt. Dass man in Afghanistan in punkto Rechtsstaatlichkeit keine „Schweizer Verhältnisse“ anstrebt.

Es sterben weniger Zivilisten als unter Vorgänger McChrystal

Wirklich neue Botschaften aus dem vertracktesten Krisenherd auf diesem Planeten hat der Sohn eines holländischen Kapitäns, der im 2. Weltkrieg vor Hitlers Truppen über den großen Teich geflüchtet war, nicht im Gepäck. Dafür jede Menge Verständnis. Etwa für den afghanischen Präsidenten Karsai, der jüngst wieder beklagte, dass die US-Truppen bei ihren nächtlichen Tötungsmissionen gegen Taliban-Kader nicht immer die Bösen träfen. Petraeus nimmt für sich in Anspruch, dass die Zahl der zivilen Opfer „überdurchschnittlich“ stark zurückgegangen sei, seit er im Sommer die Nachfolge des über ein „Rolling Stone“-Interview gestolperten Stanley McChrystal antrat.

Fragen, die die Dutzenden ungelösten Probleme in Afghanistan streifen, etwa die Rolle des Taliban-Beschützers Pakistan und des Taliban-Finanziers Iran, wettert Petraeus mit weit ausholenden Antworten wie ein Universitäts-Professor ab. Meist zitiert er dabei am Ende sich selbst. Der Vater zweier Kinder, der einen Brustschuss und einen Fallschirmabsturz überlebte und nach eigenen Andeutungen den früheren US-Präsidenten Georg W. Bush bei einem privaten Mountain-Bike-Rennen einmal übel abgehängt haben muss, war 2006 Autor eines wichtigen US-Armeehandbuchs. Darin ist jene Strategie-Mischung aus politischer Aussöhnung und militärischer Stärke niedergelegt, mit der die USA im Irak in letzter Minute ein zweites Vietnam verhinderten.

Taliban – hartnäckiger als die Gegner im Irak

Ob diese Art von milliardenschwerer bewaffneter Überzeugungsarbeit auch im Drogen-Vielvölker-Bürgerkriegsland Afghanistan Früchte tragen kann, noch dazu unter ungeheurem Zeitdruck? Petraeus, der stets mit leiser, völlig unschneidiger Stimme doziert, versucht sich zu keinem Zeitpunkt als Kristallkugelleser oder Seher. Einzelne Taliban-Gruppen zeigten Neigung, die Waffen niederzulegen und sich am Staatsaufbau zu beteiligen, berichtet er. „Die kritische Masse“, die eine Kettenreaktion wie im Irak auslösen kann, wo am Ende 100 000 Kämpfer im Sinne der US-Truppen die Seite wechselten und quasi-zivile Bürgerwehren entstanden, „ist aber noch lange nicht erreicht.“

Eine knappe Stunde, dann ist die Presserunde vorbei. Händeschütteln. David Petraeus überreicht den Journalisten eine Medaille. „For excellence“ steht drauf. „Weil sie nicht eingeschlafen sind“, schmunzelt der General, der keinen Sieg verspricht. Er präsentiert nur seine Strategie als die vielleicht beste Möglichkeit, die Amerika heute hat, um in Afghanistan ein nicht noch größeres Desaster zu erleben. Zwischendurch geht er laufen. Das geht vor.

Unterwegs in Afghanistan

Solche Bilder kennen wir aus Afghanistan. Doch unser Mann vor Ort entdeckte auch Unerwartetes.
Solche Bilder kennen wir aus Afghanistan. Doch unser Mann vor Ort entdeckte auch Unerwartetes.
Die Eindrücke seiner Afghanistan-Reise hielt Richard Kiessler, Sonderkorrespondent Außenpolitik, für DerWesten fest.
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Selbst in dem meist kargen Land...
Selbst in dem meist kargen Land...
...entdeckte er Orte wie diesen. Eine friedliche Oase in einem Land...
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...in dem die Bevölkerung nach wie vor vom Frieden nur träumen kann.
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Gepanzerte Fahrzeuge sind für die Soldaten ein Muss.
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Den Kontakt zur Bevölkerung zu halten ist nicht ungefährlich...
Den Kontakt zur Bevölkerung zu halten ist nicht ungefährlich...
...aber wichtig für die Akzeptanz der ausländischen Truppen.
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Schließlich soll hier...
Schließlich soll hier...
...eine Generation heranwachsen...
...eine Generation heranwachsen...
...die radikalen Tendenzen widersteht.
...die radikalen Tendenzen widersteht.
Armeealltag in einem Land...
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...das keinen Alltag kennt.
...das keinen Alltag kennt.
Ihre schwere Ausrüstung...
Ihre schwere Ausrüstung...
...verlangt den Soldaten einiges ab.
...verlangt den Soldaten einiges ab.
Und Sicherheitshinweise wie dieser sind allgegenwärtig.
Und Sicherheitshinweise wie dieser sind allgegenwärtig.
Ein Blick ins Land - mt Gewehr im Anschlag.
Ein Blick ins Land - mt Gewehr im Anschlag.
Wer sich in die Luft erhebt...
Wer sich in die Luft erhebt...
...bekommt eine Vorstellung davon,...
...bekommt eine Vorstellung davon,...
...wie unwegsam Afghanistan in vielen Regionen ist.
...wie unwegsam Afghanistan in vielen Regionen ist.
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