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Die Regierung erlaubt Konzernen, in Versorgungszentren einzusteigen. Mediziner fürchten nun um ihre Unabhängigkeit. „Ärzte als Subunternehmer von Pharmakonzernen – das müssen wir verhindern“, sagt der Präsident der Ärztekammer Nordrhein.

Ärzte als Erfüllungsgehilfen der Pharmaindustrie? Als Subunternehmer, die ihren Patienten jene Pillen verabreichen, die ihr Partner presst? Was wie ein Horrorszenario klingt, ist laut Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe seit der jüngsten Arzneireform möglich. Durch ein bisher kaum beachtetes Detail.

Es geht um die Modelle mit dem technokratischen Namen „Integrierte Versorgung“, besser bekannt etwa als Herzzentrum, Brustkrebszentrum oder Onkologie-Netz. Sie sprengen für die bestmögliche Versorgung der Patienten die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Kliniken, Fach- und Hausärzte sowie Apotheker arbeiten zusammen und schließen Verträge mit Krankenkassen ab. Nun hat die Regierung auch Pharmaunternehmen erlaubt, Vertragspartner solcher Zentren zu werden. Ein Tabubruch, meinen die Ärztevertreter. Sie fürchten um ihre Unabhängigkeit und eine Einflussnahme der Industrie auf die Behandlung kranker Menschen.

Hinzu kommt, dass Kassen künftig Verträge mit Pharmakonzernen abschließen können, in denen Mindestabnahmemengen bestimmter Mittel festgelegt werden oder sich der Preis an der verordneten Zahl der Pillen orientiert. Beides zusammen lässt die Ärzte befürchten, dass sie bei der Auswahl der richtigen Arznei zumindest unter Druck gesetzt werden. „Ärzte als Subunternehmer von Pharmakonzernen – das müssen wir im Interesse unserer Patienten verhindern“, sagte Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und der Ärztekammer Nordrhein. Dadurch erhalte die Industrie eine „legale Option“, auf die Arzneiverordnung und die Therapie „unmittelbar Einfluss zu nehmen”. Das verstoße letztlich auch gegen das Berufsrecht der Ärzte, weil sie dann nicht mehr „unabhängig gegenüber Dritten“ seien.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nennt es „die legalisierte Form der Korruption“. Die Regierung betont, die Teilnahme an derlei Versorgungsnetzen sei freiwillig. Zudem blieben die Ärzte selbstverständlich frei in ihrer Therapie. Um das zu wahren, gesteht sie der Industrie auch nur eine Partnerschaft zu, selbst gründen darf sie keine Versorgungsnetze.

Ausgesuchte Ärzte

Doch über Umwege ist das bereits geschehen: So hat in Niedersachsen eine Management-Gesellschaft namens I3G mit der AOK einen Vertrag für die Integrierte Versorgung von Schizophrenie-Kranken geschlossen. 13 000 Patienten sollen nach dem Leitfaden von I3G durch Psychiater und Pfleger behandelt werden. Der Haken: I3G ist eine 100-prozentige Tochter des Neusser Arzneiherstellers Janssen-Cilag, seines Zeichens ein Ableger des US-Pharmariesen Johnson & Johnson.

Was die Psychologen von diesem Konstrukt, das 2011 starten soll, erwarten? „Eine Vielzahl von nicht hinnehmbaren Interessenkonflikten in der Versorgung psychisch Kranker“, so die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Denn dass eine Konzerntochter „unabhängig“ sein kann, wie es Janssen-Cilag auf ihrer Internetseite behauptet, glauben sie nicht.

Hinzu kommt, dass solche Management-Gesellschaften die Leistungserbringer stellen, sich ihre Ärzte also aussuchen können. Die würden dadurch zu „Erfüllungsgehilfen“, glaubt Hoppe.