Berlin. .
Er sorgte für einen Ruck in der SPD - und dann lange Zeit für gar nichts mehr. Sigmar Gabriel hat ein wechselhaftes Jahr hinter sich. Der SPD-Chef gilt als fulminanter Redner, doch mit scheinbar unüberlegten Entscheidungen macht er sich das Leben schwer.
Es war Freitag, der 13. Davon ließ sich Sigmar Gabriel nicht schocken. Er hielt die wohl unerschrockenste Rede seines Lebens, heute vor einem Jahr. Ein Ruck ging durch die SPD, und 2009 war ihr Parteichef der Aufsteiger des Jahres. Von dem Anfangsschwung ist wenig zu spüren. Gabriel wirkt glücklos. Der Anspruch am Anfang war klar. „Denen wollen wir es mal richtig besorgen“, tönte Gabriel vor der Fraktion. Gesagt, getan. Mit Gabriel fand die SPD den Sound einer Oppositionspartei; das war nicht selbstverständlich nach elf Jahren an der Macht.
Als Redner ist er fulminant, er imponiert sich selbst, der SPD und wohl auch der Regierung. Als Kanzlerin Angela Merkel nach der Sommerpause ihren ersten Schlagabtausch mit ihm im Bundestag hatte, nahm sie sich extra vor, dagegenzuhalten. Immerhin hat die SPD im letzten Jahr ihre Koalition mindestens zweimal vorgeführt: In NRW, wo sie Union und FDP ablöste, und bei der Bundespräsidentenwahl, wo SPD und Grüne mit Joachim Gauck als Kandidaten die Union in Verlegenheit brachten. Das galt als rot-grüner Coup. Als Erfolg konnte er auch für sich verbuchen, dass er die SPD in Fragen wie Hartz, Rente mit 67, Afghanistan zusammenführte.
Veränderte Rahmenbedingungen
Zu Beginn der Sommerpause war die SPD auf Wolke sieben. In Umfragen durchbrach sie die Schallmauer von 30 Prozent. Ende August aber kippte die Stimmung. Nicht der Parteichef hatte sich verändert, aber die Rahmenbedingungen und auch der Blick auf ihn. Was vorher als spontan galt, als Stärke des Bauchmenschen, wurde ihm hinter vorgehaltener Hand als unstet und unüberlegt ausgelegt. Gabriel werden die Vorwürfe bekannt vorkommen; sie hatten ihn stets begleitet.
Zwei Beispiele: Die Grünen wunderten sich, dass er mit einer einstweiligen Anordnung beim Verfassungsgericht Merkels Atomkurs stoppen wollte. Davon ist keine Rede mehr. Es war nie sinnvoll. Es ist keine Gefahr in Verzug und ohnehin zu erwarten, dass das Gericht rasch entscheidet. Bei einem Antrag auf einstweilige Anordnung wäre das Risiko zu groß, dass die Richter ablehnen; was wie ein Eigentor aussähe.Von einem Atom-Plebiszit redet ebenfalls keiner mehr. Man stellt sich dafür andere Fragen, etwa, was aus der Ankündigung geworden ist, aus seiner SPD eine „Politikwerkstatt für den gesellschaftlichen Fortschritt“ zu machen. Antwort: Nicht viel.
Vertrauen überschätzt
Rufschädigend ist auch die Episode, der die „Süddeutsche Zeitung“ in Dessau nachging. Als eine Alleinerziehende dem SPD-Chef auf einer Diskussion am 1. September von ihren Problemen mit der Agentur für Arbeit erzählte, versprach er zu helfen. Dann kam von ihm zwei Monate lang erst mal nichts. Die Frau war gut genug für die Pointe auf einer Rede. Unterm Strich bleibt der Eindruck, dass Anspruch und Realität auseinander klaffen.
Mit Stilfragen allein lässt sich freilich nicht erklären, warum die SPD in Umfragen stagniert. Sie hat wohl unterschätzt, dass die anfangs guten Werte weniger ein Vertrauensvorschuss und mehr ein Misstrauensvotum gegenüber der Koalition waren, die sich längst weniger Blößen gibt. Mit dem Atomprotest und „Stuttgart 21“ fand im Herbst außerdem ein Themenwechsel statt, der mehr den Grünen als der SPD nützt.