Hannover. .
Die Linke streitet über ihre künftige programmatische Ausrichtung. Sie will sich von einer Kritik- zur Konzeptpartei entwickeln. Das Motto lautet: „Lasst uns mehr Realität wagen!“ Lafontaine warnt jedoch vor zweiter SPD.
Gesine Lötzsch und Klaus Ernst müssen sich abgesprochen haben. Mag der Zungenschlag der beiden Linkspartei-Vorsitzenden auch unterschiedlich akzentuiert gewesen sein, die eine mehr östlich, der andere eher westlich grundiert, so gab das Führungsduo zu Beginn der als Standortbestimmung gedachten Debatte um das neue Parteiprogramm in Hannover doch eine gemeinsame Parole aus: Lasst uns mehr Realität wagen!
Rund 900 Mitlieder waren an die Leine gereist, um in acht Foren mit sperrigen Titeln wie „Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert: Eigentumsordnung und Wirtschaftsdemokratie“ den künftigen Kurs der Partei zu erörtern. Lötsch warnte davor, sich „mit Theoriegebäuden zu erschlagen“ und die politische Kundschaft aus den Augen zu verlieren. Wer im November 2011 das endgültige Programm zur Hand nehme, über das 80 000 Mitglieder in einer Urabstimmung befinden werden, müsse „Freiheit einatmen und nicht Misstrauen“. Misstrauen, das bei vielen Menschen nach wie vor auszumachen sei, weil sie zwar vielfach die Ziele der Linken teilten, so Lötzsch, aber „mit uns Regellosigkeit und sogar Gewalt und Anarchie verbinden“.
Streit um die „Roten Linien“
Klaus Ernst schloss nahtlos an. „Es wäre der alte linkssektiererische Fehler, ein Programm so zu schreiben, dass es einem Ideal folgt, und darauf verzichtet, die Menschen in den Verhältnissen, unter denen sie leben, auf einen Weg mitzunehmen“, sagte der Ex-Gewerkschafter. Was dies genau für den Programmentwurf heißt, den die früheren Vorsitzenden Oskar Lafontaine und Lothar Bisky im März als stark anti-kapitalistisches Vermächtnis hinterließen, blieb unklar.
Dort wird beispielsweise eine Bankenverstaatlichung, die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, das Recht auf Generalstreik, die Auflösung der Nato und das Ende sämtlicher militärischer Auslandseinsätze der Bundeswehr gefordert. Einige Strömungen in der Partei sehen den letzten Punkt kritisch, weil nicht kompatibel für die Zielvorstellung Rot-Rot-Grün, und befürworten Frieden sichernde UN-Einsätze. Nicht die einzige unerledigte Baustelle. Auch die so genannten „Roten Linien“, die eine Linke bei Regierungsbeteiligungen nicht übertreten dürfe, sind strittig.
Wagenknecht warnt vor Abkehr von linken Idealen
Während etwa Sachsen-Anhalts Parteichef Matthias Höhn, ein Reformer, der sagt: „Wir wollen einen Sozialismus, der von der Mehrheit gewollt und ihr nicht übergestülpt wird“, Regierungsbündnisse anstrebt, hielt Sarah Wagenknecht, die Ikone der kommunistischen Plattform, wacker dagegen. Die Linke dürfe auf ihrem Weg an die Macht niemals ihre Seele verkaufen, sagte sie, und erklärte den Verzicht auf die Privatisierung öffentlicher Betriebe, die Rückabwicklung des Abbaus von Sozialleistungen und das Ende aller Bundeswehreinsätze im Ausland kurzum für unverhandelbar.
Oskar Lafontaine, der als Schlussredner auftrat, stellte sich gedanklich an ihre Seite. „Wir brauchen keine zweite SPD“, sagte der Saarländer. Die Überwindung der Eigentumsordnung, die Abschaffung von Hartz IV, die Ablehnung eines weiteren Beschäftigungsabbaus und die Entmilitarisierung der Außenpolitik müssten Markenzeichen der Linken bleiben. Darin spiegele sich das Grundanliegen der Linken: „Eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung.“ Es war nach langer Abstinenz die erste Rede Lafontaines auf bundespolitischem Parkett. Er erhielt mit Abstand den stärksten Beifall.