Berlin. .

In seinem Tagebuch berichtet ein gerade aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrter deutscher Soldat über seinen Einsatz. Im zweiten Teil schreibt er über den Kampf für bessere Ausrüstung und absurde Kleidervorschriften im Kriegsgebiet.

Ende März

Lagemeldung: Ein Hubschrauber ist von mehreren RPG-Raketen (Rocket Propelled Grenade - Panzerfaust) beschossen worden. Eine von den Raketen hatte den Hubschrauber getroffen und die Hydraulik beschädigt. Der Hubschrauber musste notlanden und wurde dann mit Handwaffen beschossen. Unsere Task Force 47, also unser KSK, war schon nach 25 Minuten abflugbereit in den amerikanischen Black-Hawk-Hubschraubern gesessen. Aber sie durften nicht starten, weil ein amerikanischer General das wohl nicht wollte und lieber sein CSAR-Team dafür einsetzen wollte. CSAR heißt Combat Search And Rescue (Suchen und Retten im Gefecht) und ist im tiefsten Süden von Afghanistan stationiert. Es soll alles zusammen, bis die endlich da waren, ca. 2 Stunden gedauert haben. Die Aufständischen haben zum Glück nicht nachgesetzt, sonst wären im Hubschrauber alle tot gewesen. Unsere Leute sind dann mit Fahrzeugen raus.

Die hatten aber nichts mehr zu tun, keine Feinde mehr da.

Ob es Verletzte gab, ist nicht bekannt geworden. Wenn man sowas hört, dass wegen Kompetenz-Gerangel auf Menschenleben keine Rücksicht genommen wird, dann könnte man einfach ausrasten.

Ohne Datum

Heute brennt die Sonne wie verrückt, und man fängt nur vom Dastehen schon an zu schwitzen. Der Inspekteur des Heeres (3-Sterne-General) war da und hat mal so nach der Lage gefragt.

Schwer bewaffneter Bundeswehrsoldat westlich von Kundus. Foto: ddp
Schwer bewaffneter Bundeswehrsoldat westlich von Kundus. Foto: ddp © ddp

Unsere Leute haben ihm gesagt, dass wir hier mehr Ausrüstung und Waffen, Mörser, Kampfhubschrauber und Kampfpanzer brauchen und natürlich noch mehr Marder-Schützenpanzer. Der hat darauf wohl gesagt: Hubschrauber gibt es nicht, das liege aber nicht an der Bundeswehr, sondern an der Wirtschaft. Und den Rest gibt es auch nicht, weil man Angst vor Kollateralschäden in der zivilen Bevölkerung hat. Na, herzlichen Dank dafür. Vielleicht sollte der mal mit uns im Dreck liegen unter Beschuss von RPGs und Kalaschnikows. Dann wird er sich vielleicht auch einen Panzer wünschen, der ihn rausboxt.

Anfang April

Ich war heute im Stab und konnte mal einen Einblick bekommen, wie die dort arbeiten! In ungefähr jedem dritten Büro lief eine DVD oder man hat Kaffee getrunken und lustig gequatscht. Unsere Vorgänger haben uns schon gewarnt, dass wir nichts von denen zu erwarten haben und dass der Stab mehr gegen uns arbeitet als für uns.

Ohne Datum

Heute wieder ein Hammer. Es heißt, im deutschen Lager Mazar-e-Scharif, MES, hält man uns an der kurzen Leine. Alles was hier in Kundus angefordert wird, geht über MES. Und wenn die das besser gebrauchen können, behalten die es für sich oder liefen nur Anteile davon. Ein Beispiel ist die Anforderung von Winterjacken für das Winterkontingent. Von den 300 Jacken sind wohl noch 5 Stück angekommen. Aber auf dem Beleg soll noch 300 gestanden haben. Was alles davon stimmt, kann ich nicht genau sagen, aber es deckt sich mit meinen Beobachtungen.

Ohne Datum

Dann kurz vor Mittag gab es wieder die TE Punkte (Lagebericht). Ein Graus, was da immer wieder rauskommt. Es wurde die Kleiderordnung angesprochen, dass wir die Hosen nicht wie Jeans tragen dürfen, sondern Hosengummis benutzen sollen oder die Bändchen am Hosenbein zuziehen sollen, so dass der Stiefelbund zu sehen ist.

Dann wurde gesagt, dass nur dienstliche Kopfbedeckungen erlaubt sind und keine Base-Caps oder sonstige Dinge. Ach, und natürlich der Haar- und Barterlass ist zu beachten, weil der eine oder andere schon eine etwas längere Matte auf dem Kopf und im Gesicht hat. Die haben Probleme! Hallo! Hier sterben Leute!

31. Mai

Heutige Lage: Es fing damit an, dass es eine IED-Explosion (Improvised Explosive Device - Sprengfalle) im Ort Taloqan gegeben hat. Dann wurde gesagt, dass man nicht achtlos brennende Zigarettenstummel in die Landschaft werfen soll, wegen der Brandgefahr. Und dann der beste Punkt: Die berühmt-berüchtigte Anzugsordnung. Jetzt werden Feldjäger eingesetzt, diese Kameraden zurechtzuweisen und zu kontrollieren, dass sie den richtigen Anzug herstellen. Das i-Tüpfelchen ist, dass eine Meldung über den Soldaten, der sich nicht richtig gekleidet hat, an den Kommandeur erfolgt. Danach darf dann der Chef des Soldaten beim Kommandeur antanzen und sich rechtfertigen, warum er seine Männer nicht im Griff hat. Das wird bestimmt die nächsten Tage noch lustig hier.

Danach gab es wieder spärlich und nicht lecker Essen. Das Highlight des Tages, ich habe mit meiner Frau telefoniert.

Um kurz nach 23 Uhr habe ich auf einmal Sirenen gehört, ähnlich wie bei einem Luftangriff, wie man es aus den alten Kriegsfilmen kennt. Wir wurden wieder mit Rakete beschossen. Ein Einschlag war knapp 150 m nördlich des Lagers. Bei uns war wieder Galgenhumor-Stimmung, einer hat sogar eine Base-Cap aufgesetzt.

1. Juni

Der Knaller des Tages. Die Panzerhaubitzen dürfen nicht eingeschossen werden, weil die Munition in einem nach deutschen Vorschriften gebauten Munitions-Bunker gelagert werden muss. Dazu muss sie noch gekühlt werden, und keiner weiß, wie das bewerkstelligt werden soll. Ein weiterer Grund, warum sie nicht schießen dürfen, ist, dass man in Deutschland Bedenken hat, dass die deutschen Schieß-Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten werden können in Bezug auf Sicherheitsabstände und so weiter. Dann sollen sie die Dinger wieder einpacken und abhauen, dann wird die Schlange beim Essen wenigstens wieder kürzer.

Abends habe ich dann DVDs geschaut. Das hat auch echt Spaß gemacht, bis ich um circa 1 Uhr einen Knall gehört habe. Kurz darauf kam dann ein noch lauteres Pfeifen und dann ein richtig lauter Knall. Also schon wieder ein Raketen-Angriff. Eine Rakete ist wieder über das Lager hinweg geflogen und knapp dahinter eingeschlagen, und die zweite ist zwischen dem Stab und den Sanis eingeschlagen. Es ist aber zum Glück niemandem etwas passiert.

Redaktioneller Hinweis: Auszüge aus einem subjektiven Tagebuch eines gerade aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrten deutschen Soldaten. Unter Zusicherung der Anonymität spricht er offen über seine Einsatzerfahrungen, die keinerlei Anspruch auf Objektivität, Vollständigkeit oder Ausgewogenheit in der Darstellung erheben. Um ihn zu schützen und um seine Karriere nicht zu gefährden, sind Orts- und Zeitangaben sowie Details anonymisiert. Die Nachrichtenagentur dapd hat sich der Identität und Integrität des Soldaten versichert.

Das Bundesverteidigungsministerium ließ eine umfangreiche dapd-Anfrage zu verschiedenen Behauptungen in diesem Tagebuch zuständigkeitshalber vom Einsatzführungskommando beantworten. Wortlaut: „Ich teile Ihnen zu der Anfrage mit, dass im Einsatzführungskommando der Bundeswehr hierzu keine Erkenntnisse vorliegen.“ (dapd)