Stuttgart. .
Ungeachtet der Proteste steht dem Teilabriss des Stuttgarter Hauptbahnhofes rechtlich nichts mehr im Wege. Das Stuttgarter Oberlandesgericht wies am Dienstag eine Klage zurück. In Berlin debattierte der Bundestag über Stuttgart 21.
Dem Teilabriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs für das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ stehen keine juristischen Hindernisse mehr im Weg. Das Oberlandesgericht (OLG) bestätigte am Mittwoch eine Entscheidung des Landgerichts vom Mai, nach der das Abtragen der Seitenflügel und einer Treppe des Gebäudes vom Eigentümer der Urheberrechte hinzunehmen sei.
Auch Schadenersatzklage abgewiesen
Geklagt hatte der Stuttgarter Architekt Peter Dübbers, Enkel des Bahnhoferbauers Paul Bonatz (1877-1956). Der Nordflügel des Gebäudes steht seit September nicht mehr, der geplante Abriss des Südflügels war am Dienstag vorerst ausgesetzt worden.Dübbers war gegen die Entscheidung des Stuttgarter Landgerichts in Berufung gegangen. Weil der Nordflügel des Bahnhofs bereits abgetragen ist, führte der Bonatz-Nachkomme gegen die Deutsche Bahn (DB) nun auch eine Schadenersatzklage, die ebenfalls abgewiesen wurde. Bei Abwägungen zwischen Urheber- und Nutzungsrechten verschöben sich „besonders bei Zweckbauten die Gewichte mit zunehmender Zeit zugunsten des Eigentümers“, begründete der Zivilsenat des Stuttgarter OLG nun sein Urteil und folgte damit im Wesentlichen der Argumentation des Landgerichts.
Dübbers hatte in der Vergangenheit erklärt, das Projekt „Stuttgart 21“ nicht verhindern zu wollen, der Bonatzbau müsse in seiner Geschlossenheit aber erhalten bleiben. Bei einem Erfolg seiner Klage wäre die Realisierung des neuen Stuttgarter Tiefbahnhofs gefährdet gewesen. Die Bahn muss sich an einen Planfeststellungsbeschluss halten, der den Abriss der fraglichen Gebäudeteile vorsieht. Die Arbeiten hätten auf dieser Grundlage nicht fortgeführt werden können.“Für den ausstehenden Abriss des Südflügels bestehen nun keine rechtlichen Hindernisse mehr“, sagte eine Bahnsprecherin nach dem Urteil. Bonatz-Nachkomme Dübbers wollte prüfen, das Urteil dem Bundesgerichtshof für eine Revision vorzulegen.
Debatte in Bundestag über Stuttgart 21
SPD, Grüne und Linke im Bundestag sehen den Streit über „Stuttgart 21“ als Bewährungsprobe für die Demokratie. In einer Aktuellen Stunde forderten sie am Mittwoch einen Baustopp und eine Abstimmung der Bürger. Union und FDP bekannten sich zu dem umstrittenen Bahnprojekt, zeigten sich aber bestürzt über die Eskalation des Konflikts. Die CDU ließ Zweifel erkennen, ob der Polizeieinsatz gegen Demonstranten in Stuttgart vor einer Woche verhältnismäßig war. Dort hatte es zahlreiche Verletzte gegeben.
„Der Einsatz hat sich anders entwickelt als geplant“, sagte der CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann. Zwar sei vorsätzliche Gewalt der Beamten ausgeschlossen, und die Polizei habe Vertrauen verdient. Doch gebe es „Zweifel, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (...) hinreichend gewahrt wurde“, sagte Kaufmann. Der Stuttgarter CDU-Politiker räumte zudem Fehler bei den Planern und Befürworter ein, darunter den „Kardinalsfehler“, nicht alle Bürger ausreichend über die Vorteile des Bahnprojekts informiert zu haben.Wie Kaufmann sagte aber auch der FDP-Abgeordnete Patrick Döring, dass es für einen Volksentscheid und einen Stopp des Projekts jetzt zu spät sei. Beide betonten, „Stuttgart 21“ sei demokratisch legitimiert, und rechtsstaatliche Prozesse müssten verteidigt werden.
„Es geht um das Vertrauen der Bürger“
Die Opposition argumentierte hingegen, die Proteste dürften nicht ignoriert werden. „Es geht um das Vertrauen und die Akzeptanz der Bürger“, sagte die baden-württembergische SPD-Abgeordnete Ute Vogt. Sie griff gleichzeitig Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) scharf an. Die Eskalation des Konflikts sei politisch bewusst herbeigeredet worden, meinte Vogt: „Den starken Mann machen, das war das Ziel, und dafür hat der Ministerpräsident Verletzte in Kauf genommen.“ Ihr Parteikollege Peter Friedrich sagte, ein Ministerpräsident, der bei sich selbst keine Fehler erkenne, „scheint mir der Aufgabe nicht gewachsen“. Der bayerische SPD-Abgeordnete Florian Pronold attestierte Mappus eine „Rambo-Mentalität“.
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi sagte, die Proteste in Stuttgart seien ein Zeichen, dass sich „ein neuer Zeitgeist, so etwas wie ein rebellischer Geist“ entwickle. „Stuttgart 21“ sei „einfach Wahnsinn“. Nötig sei ein sofortiger Baustopp. Nur so mache es Sinn, die Landtagswahl im März zur Abstimmung über das Projekt zu erklären, sagte Gysi. „Die Zeit ist reif, wo wir etwas ändern müssen, die Zeit ist reif für Volksentscheide“, rief er Union und FDP zu. „Geben Sie sich einen Ruck. Wir brauchen eine attraktivere Demokratie.“
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast betonte ebenfalls: „Demokratie heißt auch, ein wenig Respekt vorm Souverän und seiner Meinung zu haben.“ Das Bahnprojekt habe seine Geschäftsgrundlage verloren, da die erwarteten Kosten gestiegen seien. „Da gehört es zur Demokratie, noch einmal inne zu halten“, sagte Künast. Sie lobte die Benennung des CDU-Politikers Heiner Geißler zum Moderator für „Stuttgart 21“. Doch müsse er auch die Möglichkeit zum Vermitteln haben. Nötig sei ein „Gesprächsprozess, der wirklich offen ist“, sagte Künast. (dapd)