München/Hamburg. .
Darmstädter Öko-Institut deckt Zeitungsberichten zufolge 80 Sicherheitsmängel beim Atomkraftwerk Biblis B auf. Greenpeace protestiert am Dienstagmorgen gegen die geplante Laufzeitverlängerung der Bundesregierung.
Das hessische Atomkraftwerk Biblis B hat nach einem Gutachten zahlreiche Schwachstellen. Die „Süddeutsche Zeitung“ (Dienstagsausgabe) berichtete vorab unter Berufung auf ein bislang unveröffentlichtes Gutachten des Darmstädter Öko-Instituts im Auftrag des Bundesumweltministeriums, in dem Kraftwerk gebe es mindestens 80 sicherheitstechnisch relevante Defizite. In zahlreichen Punkten entspreche der Anfang der 70er Jahre gebaute Atommeiler nicht mehr dem heutigen Stand der Technik.
Die Zeitung schrieb, das Gutachten habe klären sollen, inwieweit Vorwürfe der Ärzteorganisation IPPNW berechtigt sind, nach denen Biblis insgesamt 210 sicherheitstechnische Defizite aufweist. Es liste Mängel auf, zum Beispiel im Notstandssystem oder beim Schutz gegen Erdbeben und Überflutungen. So könne eine „anlageninterne Überflutung“, etwa durch ein geplatztes Rohr, dazu führen, dass alle vier Aggregate des nuklearen Zwischenkühlsystems ausfallen. Auch seien mittlerweile viele Materialien veraltet, beispielsweise Kabel aus PVC oder Rohrleitungen mit anfälligen Schweißnähten. Für eine Verbesserung müsste das Atomkraftwerk aufwendig nachgerüstet werden.
Der Kraftwerksbetreiber RWE betonte, Biblis sei sicher
Nach Ansicht des Bundesumweltministeriums gibt die Novelle des Atomgesetzes den Aufsichtsbehörden in den Ländern zusätzliche Möglichkeiten, schärfere Sicherheitsauflagen einzufordern, schrieb das Blatt. Es sei nun an der hessischen Atomaufsicht, die Liste zu überprüfen und gegebenenfalls auf Nachrüstungen zu pochen. Das Umweltministerium in Wiesbaden habe indessen mitgeteilt: „Wir haben die Vorwürfe bereits geprüft, können aber keine sicherheitsrelevanten Defizite feststellen“. Der Kraftwerksbetreiber RWE betonte, Biblis sei sicher. Dagegen erklärte der IPPNW: „Die Anlage muss jetzt nach geltendem Recht stillgelegt werden.“
Zu den wichtigsten Auftraggebern des Öko-Instituts gehören nach dessen Angaben Ministerien auf Bundes- und Landesebene, Unternehmen sowie die EU. Darüber hinaus arbeitet das gemeinnützige Institut für Nicht-Regierungsorganisationen und Umweltverbände.
Durch die Verlängerung der Atom-Laufzeiten kann Biblis B nun bis 2020 laufen
Biblis B ist seit 1976 am Netz und zählt zu den ältesten deutschen Kernkraftwerken. Ursprünglich hätte es Anfang 2012 abgeschaltet werden sollen. Durch die Verlängerung der Atom-Laufzeiten kann es nun bis 2020 laufen. Das Bundeskabinett will die längeren Laufzeiten am Dienstag beschließen.
An allen zwölf Standorten von Atomreaktoren in Deutschland haben Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace am Dienstagmorgen gegen die von der Bundesregierung geplante Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke protestiert. Sie projizierten nach Angaben einer Sprecherin den Spruch „Atomkraft schadet Deutschland“ an die Reaktoren und Kühltürme der Kraftwerke. Greenpeace forderte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) auf, bei den Kabinettsberatungen über das Energiekonzept am Dienstag seine Zustimmung zu den Gesetzentwürfen zu verweigern.
Röttgen müsse „auf sein Gewissen hören und gegen diese Politik stimmen“
„Wer heute für die Laufzeitverlängerung stimmt, entscheidet sich gegen die Menschen in diesem Land“, erklärte Greenpeace-Energieexperte Tobias Münchmeyer. „Das sogenannte Energiekonzept der Bundesregierung ist nicht mehr als die Verpackung für ein milliardenschweres Geldgeschenk an die Atomkonzerne.“ Röttgen müsse „auf sein Gewissen hören und gegen diese Politik stimmen“, ergänzte Münchmeyer.
Das Bundeskabinett entscheidet am Dienstag über die Pläne zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten und das Energiekonzept für die kommenden Jahrzehnte. Dabei werden die geplante Laufzeitverlängerung um durchschnittlich zwölf Jahre und Änderungen der Sicherheitsauflagen für Atomkraftwerke auf zwei Gesetzentwürfe aufgeteilt. Zudem geht es um das Gesetz zur Einführung einer Kernbrennstoffsteuer für Akw-Betreiber und um die Errichtung eines Energie- und Klimafonds, der unter anderem aus Zahlungen der Energiekonzerne gespeist werden soll. Mit dem Geld will die Regierung den Ausbau erneuerbarer Energien fördern. (dapd/AFP)