New York. .
Außenminister Guido Westerwelle hat sich bei seiner Antrittsrede vor der UN-Vollversammlung für einen nicht-ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat stark gemacht.
In der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York geht es ziemlich steil nach oben. Der an der Kopfseite vertäfelte Saal ist geformt wie ein Trichter, der mit zunehmender Höhe immer enger wird. Das signalisiert großen Auftrieb. Und birgt gleichzeitig die Gefahr des Abhebens. Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der hierzulande schon so ziemlich auf jedem Marktplatz und in jeder großen Halle gesprochen hat, bleibt an diesem Samstagmittag auf dem Teppich.
Nur 15 Minuten
Ein paar Sekunden dauert es, der Mann ist ja keine Maschine, bis die Stimme Halt gefunden hat. Dann ist es wie immer. Wie alle anderen, so hat auch der 88. Redner der Generalaussprache offiziell nur 15 Minuten Zeit, einen möglichst bleibenden ersten Eindruck zu hinterlassen. Wer ans Marmorpult des gefühlten Welt-Parlaments tritt, will ernst genommen werden. Bei den Vereinten Nationen finden aber, mit Ausnahme des amerikanischen Präsidenten vielleicht, die Redner nie ungeteilte Aufmerksamkeit. Viele Delegierten stehen ständig auf, begrüßen den Kollegen von nebenan, plaudern in den Gängen. Oder erholen sich von den Vorrednern, zu denen in diesem Fall Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gehörte, der mit reichlich Beifall bedient wurde.
Anders als Obama, der am Donnerstag mal nach links, mal nach rechts schaute, um rechtzeitig den nächsten Satz vom Teleprompter zu erwischen, las der Vizekanzler zum Abschluss seiner fünftägigen UN-Premiere konzentriert vom Blatt ab. Vorweg: Zwei kleine Verhaspeler. Besondere Vorkommnisse keine. Artiger Applaus. Afghanistan (die Übergabe der Verantwortung an die dortigen Sicherheitsbehörden bis 2014), Iran (der Atom-Konflikt), Nahost (die Zweit-Staaten-Lösung für Israel und Palästina), Klimawandel, die Lage im Sudan - routiniert und abgewogen arbeitete Westerwelle die derzeit größten „Baustellen“ der Vereinten Nationen ab. Botschaft: Deutschland hat ein Auge drauf. Deutschland fühlt sich verantwortlich.
Gediegene Bewerbungsrede
Seinem Lieblingsthema - nukleare Abrüstung, eine atomwaffenfreie Welt - widmete er einige Sätze zusätzlich und warb für die Einrichtung einer „Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten“. Das „frei“, im Redemanuskript noch klar enthalten, fiel sprachlich irgendwie durchs Rost, was aber nicht weiter auffiel. Ein Glück. Der rote Faden dieses Premierenbeitrags gleichwohl war anders gewebt. Westerwelle hielt in New York eine gediegene Bewerbungsrede. Wenn zum Jahreswechsel im Sicherheitsrat insgesamt fünf nicht-ständige Sitze frei werden, davon zwei für westliche Länder, soll einer davon Deutschland zufallen; zum vierten Mal in der deutsch-deutschen Geschichte. Das ist die offizielle Strategie, für die Deutschlands Diplomaten seit Monaten rund um den Globus ackern. Die Entscheidung fällt am 12. Oktober. Und jede der 192 Stimmen zählt gleich viel. 128, dann wär` man über den Durst. Damit nichts schiefläuft, fliegt Westerwelle am Vorabend wieder hin.
Wie die Chancen stehen? Am Rande der UN-Versammlung, die in der alljährlichen Steuben-Parade und einer Art „Oktoberfest“ im Central Parc gewisse deutsche Konkurrenz erfuhr, blieb Westerwelle beharrlich bei seiner Linie: Wir haben gute Karten - aber die anderen sind starke Konkurrenten. Die anderen, das sind Portugal und Kanada. Auf ihre Kosten wollte sich Westerwelle gleichwohl nicht profilieren. Stattdessen streicht er selbstbewusst, aber nicht auftrumpfend deutsche Stärken heraus: „Deutschland ist der drittgrößte Geber für die Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben die Finanz- und Wirtschaftskrise weitestgehend überwunden, und wir sind mit robustem Wirtschaftswachstum auf gutem Kurs. Mit dieser starken Wirtschaft ist Deutschland auch ein starker Partner in der Welt.“ Ein Partner, keine aufdringliche Übermacht. In den Vereinten Nationen arbeiteten „größere und kleinere Nationen, reichere und ärmere, sehr mächtige und solche mit weniger Einfluss“, sagte Westerwelle.
„Unsere Richtschnur auch für die Arbeit hier in den Vereinten Nationen ist die Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe, ist die Zusammenarbeit unter Gleichberechtigten. Jedes Land schuldet jedem Land Respekt.“ Dass man sich für Respekt allein nichts kaufen kann, weiß der Außenminister. Und widmet einen auffälligen Teil seiner Rede denen, die auf Hilfe angewiesen sind: Pakistan etwa. „Wir helfen denen, die schon jetzt am stärksten unter dem Klimawandel leiden. Das Schicksal vor allem der kleinen Inselstaaten liegt uns am Herzen“, sagt Westerwelle und belobigt seine Landsleute fast schon pathetisch: „Die deutsche Regierung hilft, wenn Menschen weltweit von Naturkatastrophen und Schicksalsschlägen betroffen sind. Aber das Gewissen eines Landes findet man in den Herzen der Bürgerinnen und Bürger. Ich bin stolz, dass meine Landsleute großzügig helfen, wenn die Not am allergrößten ist.“
Überholte Architektur des Sicherheitsrates
Apropos Inselstaaten: Bei Palau und den Seychellen etwa blieben die Sitzbänke leer. Wenigstens das exotische Tuvalu war zum Zuhören gekommen. Dass die geltende „Architektur“ des Sicherheitsrates nicht mehr zeitgemäß ist, auch diese seit Jahren weit verbreitete Meinung fasste Westerwelle in gemäßigte Worte, die sich sinngemäß in etwa entlang dieses Befundes bewegten: Der Sicherheitsrat - besetzt mit den fünf ständigen Mitgliedern USA, China, Frankreich, Großbritannien und Russland, im UN-Kauderwelsch die „P5“ genannt, und mit zehn nichtständigen, für jeweils zwei Jahre gewählten Mitgliedern, die „Touristen“ genannt - gilt in vielen Hauptstädten als Absurdität.
Er sei anachronistisch, weil Afrika und Südamerika nicht ständig vertreten sind, weil die islamische Welt nicht dabei ist, weil die zahlungskräftigen Beitragszahler Japan und Deutschland immer in die Röhre gucken, weil die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs auch 60 Jahre danach das Machtmittel namens Vetorecht in den Händen haben. Was zum Beispiel dazu führen kann, dass sie gegen die Abschaffung des Vetorechts ihr - na, was wohl? - einlegen können: richtig, ihr Veto.
Eher abgespannt denn aufgeregt wirkte Westerwelle, der im blauen Anzug und mit taubenblauer Krawatte vors Mikrofon trat, bei seiner Jungfern-Rede. 32 offizielle Termine in knapp fünf Tagen, Gespräche im Halbstundentakt, ständige wechselnde Themen, dazwischen noch ein Zahnarztbesuch - „für ganz große Gefühle“, sagte er kurz zuvor den mitgereisten Journalisten, habe er gar keine Zeit gehabt. Vielleicht darum geriet die 13 Minuten lange Rede so unspektakulär und routiniert. Halt, am Ende sorgte Westerwelle, dem weiland ja mal durch einen verunglückten Auftritt in einer Pressekonferenz das Gegenteil angedichtet worden war, noch für eine persönliche Note. „You can count on Germany. Youn can rely on Germany“, rief er zum Abschluss den Delegierten zu: Auf Deutschland können Sie zählen! Auf Deutschland können Sie sich verlassen! Damit weiß jetzt endlich die ganze Welt: Unser Außenminister spricht wirklich ordentlich Englisch.