Teheran. Der Islamwissenschaftler Udo Steinbach hält den Wahlsieg von Mahmud Ahmadinedschad für beschlossene Sache. Deshalb habe dessen Konkurrent Mir-Hossein Mussawi keine Chance mehr auf das Präsidentenamt. Am vierten Tag in Folge protestierten Hunderttausende Iraner in Teheran.
Der Islamwissenschaftler Udo Steinbach sieht keine Chancen für Mir-Hossein Mussawi und seine Anhänger, das Wahlergebnis im Iran noch zu ihren Gunsten zu wenden. «Man wird sehen, ob noch etwas Kosmetik gemacht werden kann, aber im Prinzip wird es sich nicht wesentlich ändern», sagte Steinbach der Nachrichtenagentur AFP. «Der Wahlsieg von Mahmud Ahmadinedschad war beschlossene Sache». Der geistlichen Führer des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, habe auf Ahmadinedschad gesetzt - «nicht zuletzt mit Blick auf eine Zukunft mit US-Präsident Barack Obama», sagte der Nahostexperte. «Mussawi bedeutet für Chamenei eine gewisse Gefahr, nämlich dass der Prozess der Annäherung an Obama gewissermaßen außer Kontrolle gerät», sagte Steinbach.
Warnung vor Eskalation
Steinbach warnte vor einer Eskalation. Die Hoffnung der Führung in Teheran sei, dass sich der Massenprotest «früher oder später verläuft». Sollte sich diese Hoffnung nicht erfüllen, drohe eine Niederschlagung wie die der chinesischen Studentenproteste 1989 in Peking. «Wenn es doch zu einer Radikalisierung kommt, oder möglicherweise zu einer Radikalisierung infolge einer bewussten Provokation von Seiten der Sicherheitskräfte (...), dann wäre das Szenario Tiananmen», sagte der Steinbach. Für Chamenei sei das jedoch die «ultima ratio». Denn Chamenei wolle nicht «den Eindruck einer Islamischen Republik vermitteln, die auf Bajonetten aufgebaut ist». Vielmehr hoffe er noch, dass das Modell Iran «für den Rest der islamischen Welt attraktiv erscheint».
In grundsätzlichen Fragen bestehe zwischen Mussawi und Ahmadinedschad kein Unterschied, sagte Steinbach. Beide seien «Männer des Systems, das durch die Macht des anerkannten Gottesgelehrten, also ein theokratisches Element, mit Chamenei an der Spitze, charakterisiert ist». Sobald Mussawis Anhänger «nieder mit Chamenei, nieder mit der Islamischen Republik rufen würden, würde er aussteigen». Erhebliche Unterschiede gebe es aber in anderen Punkten: Mussawi würde den Weg des früheren Staatschefs Mohammed Chatami weitergehen, also «mehr Demokratie, mehr Freiheit für den einzelnen innerhalb des Systems» zulassen.
Der zweite große Unterschied wären Außen- und Atompolitik. Mussawi würde pragmatischer handeln. Zwar würde auch er, «wie fast alle Iraner», das Atomprogramm nicht stoppen, aber er würde ohne die «systematischen Provokationen» Ahmadinedschads «gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft nach Alternativen jenseits des Regimes von Sanktionen» suchen.
Ausländische Journalisten dürfen weiter nicht berichten
Auch am vierten Tag in Folge haben Anhänger des iranischen Oppositionsführers Mir Hossein Mussawi mit Massenkundgebungen gegen das amtliche Ergebnis der Präsidentenwahl protestiert. Hunderttausende Iraner folgten am Donnerstag dem Aufruf Mussawis und beteiligten sich an einer Trauerkundgebung für die bei den Protesten der vergangenen Tage getöteten Demonstranten beteiligt. Die Schätzung der Teilnehmerzahl stammt von Press TV, einer englischen Ausgabe des iranischen Staatsfernsehens. Ausländischen Journalisten ist verboten worden, von dem Straßen Teherans direkt zu berichten.
Mussawi hielt eine kurze Rede vor den Demonstranten, von denen viele schwarze Kleidung und schwarze Kerzen trugen, die sie bei Anbruch der Dunkelheit anzündeten, wie Press TV berichtete. Andere trugen Bänder in Grün, der Kennfarbe Mussawis. Der laut offiziellem Ergebnis klar unterlegene Präsidentschaftskandidat habe zur Ruhe und Selbstbeherrschung aufgerufen. Einige Demonstranten riefen «Tod dem Diktator», andere Schilder mit der Aufschrift: «Wo sind unsere Stimmen?»
Die Demonstranten widersetzten sich damit dem geistlichen Führer Ali Chamenei, der sich hinter Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad gestellt hat. Das iranische Fernsehen berichtete, Chamenei werde am Freitag das wöchentliche Gebet leiten. Üblicherweise nimmt daran auch Ahmadinedschad teil. Dem Wächterrat liegen nach eigenen Angaben inzwischen 646 Beschwerden gegen das Ergebnis der Präsidentenwahl vor. Das Gremium habe Mussawi und zwei weitere Kandidaten zu einem Treffen am Samstag eingeladen, meldete der staatliche Rundfunk.
Loyale Prügeltruppe geht brutal gegen Demonstranten
Bei den Massenprotesten im Iran haben nicht nur Polizisten, sondern auch in Zivil gekleidete Angehörige der islamischen Bassidsch-Miliz auf Demonstranten eingeprügelt. Der paramilitärischen Einheit gehören nach offiziellen Angaben zehn Millionen Freiwillige an, rund 500.000 Milizionäre sind militärisch geschult. Die meist in Zivil auftretenden Kämpfer werden von den Revolutionsgarden kontrolliert und sind der konservativen geistlichen Führung um Ayatollah Ali Chamenei treu ergeben.
Ins Leben gerufen wurde die Volksmiliz, die sich vor allem aus der iranischen Mittel- und Unterschicht rekrutiert, nach der Islamischen Revolution 1979 von Republikgründer Ayatollah Khomeini. Für Aufsehen sorgte die Bassidsch-Miliz erstmals in den 80er Jahren im Ersten Golfkrieg mit dem Irak. Damals sollen zahlreiche jugendliche Bassidsch-Kämpfer bei Himmelfahrtskommandos getötet worden sein, als sie als «menschliche Wellen» über Minenfelder liefen, um den Weg für die regulären iranischen Truppen frei zu machen.
Heute beteiligt sich die Bassidsch-Miliz an sozialen Aktivitäten wie Impfkampagnen, die Einheiten werden aber auch im Kampf gegen Oppositionelle und Regimekritiker eingesetzt. Als Sittenwächter machen sie Jagd auf unzureichend verhüllte Frauen, stürmen illegale Partys und montieren Satellitenschüsseln ab. 1999 und 2003 schlug die Freiwilligen-Miliz Studentenproteste nieder.
Auch in den vergangenen Tagen war die Bassidsch-Miliz nach Darstellung der Opposition in Gewalttaten verwickelt. In Teheran setzten Bassidsch-Kämpfer Schlagstöcke und Tränengas gegen Demonstranten ein, nachts sollen sie Studenten in einer Wohnsiedlung im Norden der Hauptstadt angegriffen haben.
Die Anhänger des zweitplatzierten Präsidentschaftskandidaten Mir-Hossein Mussawi, die den Wahlsieg von Staatschef Mahmud Ahmadinedschad bezweifeln, werden von der Bassidsch-Miliz als «Aufständische» bezeichnet. Mussawi machte die loyalen Truppen der iranischen Führung im Gegenzug für Wahlmanipulationen verantwortlich. Es gebe «Zeugnisse über Einflussnahme» von Mitgliedern der Revolutionsgarden und der Bassidsch-Miliz, kritisierte er nach der Wahl.