Düsseldorf. .

Die Ökostrom-Branche kritisiert die Bundesregierung wegen der geplanten längeren Laufzeit der Atomkraftwerke scharf. Die lokalen Energieversorger sehen sich durch den Atom-Kompromiss benachteiligt.

Die Ökostrom-Branche kritisiert die Bundesregierung wegen der geplanten längeren Laufzeit der Atomkraftwerke scharf. „Die Atomlobby hat sich mit ihren dreisten Forderungen auf ganzer Linie durchgesetzt“, sagte der Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE), Dietmar Schütz, am Montag. Dass die Atommeiler länger am Netz bleiben sollen, gefährde zukunftsweisende Milliardeninvestitionen in Erneuerbare Energien. „Damit wird das Energiekonzept der Bundesregierung zur Farce“.

„Investition in die Atomwirtschaft“

BEE-Geschäftsführer Björn Klusmann erklärte, „mit dieser Entscheidung zementiert die Bundesregierung das Oligopol der Stromkonzerne“. Die zusätzliche Abgabe stärke ihre Wettbewerbsposition noch, denn diese sei nichts weiter als eine staatlich verordnete Investition in die Zukunftsfähigkeit der Atomwirtschaft.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU, l.) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP).  (Foto: ddp)
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU, l.) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). (Foto: ddp) © ddp

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle rechnet durch die Laufzeitverlängerung mit Einnahmen von rund 30 Milliarden Euro. Die Summe ergibt sich nach Angaben des FDP-Politikers aus der geplanten Abgabe zur Förderung Erneuerbarer Energien und der Brennelementesteuer, die über sechs Jahre je 2,3 Milliarden Euro bringen soll.

Städtische Energieversoger enttäuscht

Die lokalen Energieversorger sehen sich durch die geplante Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke benachteiligt. „Die Stadtwerke sind enttäuscht“, sagte Stephan Weil, Chef des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), am Montag in München. „Die Bundesregierung hat sich leider einseitig auf Seiten der großen Versorger gestellt“, klagte er. Die Pläne behinderten die Einführung neuer Technologien, kleineren Stromanbietern würden große Investitionen in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen erschwert. Viele Energieunternehmen würden sich nun nochmals überlegen müssen, ob sie ihre entsprechenden Projekte angehen. Derzeit befinden sich nach VKU-Angaben neue kommunale Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 3500 Megawatt im Bau oder in der Genehmigungsphase und weitere mit einer Leistung von 5000 Megawatt in der Planung.

In der energiepolitischen Diskussion sei nur vordergründig Verlässlichkeit und Klarheit erreicht. Gesellschaftliche und verfassungsrechtliche Konflikte seien absehbar. Es werde sich erst nach zwei bis drei Jahren herausstellen, ob die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung recht behalten werde. „Wir sind weiter entfernt vom gesellschaftlichen Konsens denn je zuvor... Das ist eine schlechte Grundlage für Investitionen“, klagte der Verbandschef und Oberbürgermeister von Hannover. Rückendeckung bekam Weil von Münchens Vize-Oberbürgermeister Hep Monatzeder. „Die Laufzeitverlängerung ist ein Kniefall vor der Atomlobby, ein schwarzer Tag für die deutsche Energieerzeugung und ein Bremsklotz für die Investitionen in erneuerbare Energien“, sagte der Grünen-Politiker.

Sonderbeitrag für erneuerbare Energien

Die Bundesregierung hat sich am Sonntag auf eine durchschnittliche AKW-Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren geeinigt. Ältere Kraftwerke dürfen demnach acht Jahre länger betrieben werden, nach 1980 gebaute AKW sollen 14 Jahre länger am Netz bleiben. Nach dem bislang geltenden Atomkonsens aus dem Jahr 2000 müsste der letzte Meiler etwa 2023 vom Netz gehen. Zu den Akw-Betreibern in Deutschland gehören E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall.

Im Gegenzug zur Laufzeitverlängerung müssen die Energiekonzerne wie geplant ab 2011 die Brennelementesteuer von 2,3 Milliarden Euro jährlich zahlen - allerdings nur befristet auf einige Jahre. Ergänzend wird ein neuer „Sonderbeitrag“ zur Förderung erneuerbarer Energien fällig, auf den sich die Atomkonzerne vertraglich festlegen sollen.

Trittin wirft Bundesregierung Klientelpolitik vor

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, wirft der Bundesregierung Klientelpolitik vor. „Der Atombeschluss der Koalition ist kein Kompromiss, sondern ein Milliarden-Geschenk für RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall“, sagte Trittin am Montag in Berlin. Nach Berechnungen der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) könnten die Energieversorger bei einer Laufzeitverlängerung um zwölf Jahre mit Zusatzgewinnen von 119 Milliarden Euro rechnen, bei steigenden Strompreisen sogar mit bis zu 233 Milliarden Euro.

Trittin wies darauf hin, dass der Koalitionskompromiss weit über das hinaus gehe, was die Atomkonzerne seinerzeit bei den Verhandlungen über den Atomkonsens selbst gefordert hätten. „Damals wären sie mit 40 Jahren Laufzeit zufrieden gewesen“, sagte der Grünen-Politiker. Er bezeichnete die Laufzeitverlängerung zudem als verfassungwidrig, weil sie ohne Zustimmung des Bundesrates nicht in Kraft treten könne.

Merkel verteidigt Atom-Kompromiss

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Atomkompromiss der Regierung verteidigt. Die Unternehmen müssten in den kommenden Jahren noch erhebliche Summen in die Sicherheit der länger laufenden Atommeiler investieren, sagte sie am Montag in Berlin. Zudem würden gute Teile der Gewinne aus der Laufzeitverlängerung den erneuerbaren Energien zugute kommen. Ferner sollten ab 2013 sämtliche Erlöse aus dem Verkauf von Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten für den Ausbau des Öko-Stroms und des Klimaschutzes verwendet werden, sagte Merkel. „Das werden jedes Jahr deutlich über zwei Milliarden Euro sein.“

Brüderle bezeichnet Atomkompromiss als verfassungsgemäß

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat den Atomkompromiss der schwarz-gelben Koalition als verfassungsgemäß verteidigt. „Das Atomrecht ist zweifelsfrei eine Bundeszuständigkeit“, sagte Brüderle am Montag im ZDF-“Morgenmagazin“. Von den Verfassungsressorts sei sehr sorgfältig geprüft worden, „dass man sich hier auf sicherem Terrain bewegt“ und eine Zustimmung des Bundesrats nicht nötig sei.

Brüderle lobte den Kompromiss als „gutes Ergebnis“, das ein „Umsteuern in der Energiepolitik“ einleite. „Wir wollen in das Zeitalter der regenerativen Energien hineingehen.“ Mit den zusätzlichen Mitteln werde Deutschland bei den alternativen Energien „noch mehr Spitze sein“ als ohnehin schon.

Den Vorwurf aus der Opposition, er sei in den Verhandlungen der Koalition als „Atomlobbyist“ aufgetreten, wies der FDP-Politiker als „absurd“ zurück. Auch die alternativen Energien profitierten „mit riesigen Beiträgen“. Der Ökostrom sei „in vielen Bereichen gar nicht tragfähig ohne Staatssubventionen“ und eine „massivste Umverteilung“, durch die Strom aus anderen Bereichen „kräftig belastet“ werde. (rtr/ddp)