Berlin. .

Herber Rückschlag für die etablierten Parteien: Laut einer Umfrage würde fast jeder fünfte Deutsche eine bürgerliche Protestpartei unter Führung von Thilo Sarrazin wählen. Auch Joachim Gauck und Friedrich Merz stehen weit oben in der Wählergunst.

Das Potenzial für eine bürgerliche Protestpartei in Deutschland ist zur Zeit offenbar groß. Wie eine repräsentative Emnid-Umfrage für „Bild am Sonntag“ ergab, würde fast jeder fünfte Deutsche (18 Prozent) eine neue Partei wählen, wenn ihr Chef der Migrationskritiker Thilo Sarrazin wäre. Besonders viel Zuspruch bekäme eine Sarrazin-Partei bei Anhängern der Linkspartei (29 Prozent). Auch 17 Prozent der Unionswähler würden eine Sarrazin-Partei wählen. Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner sagte dazu: „Für sie ist Sarrazin jemand, der endlich ausspricht, was viele denken.“

Auch andere Politiker könnten mit Parteigründungen Wähler überzeugen, ergab die Emnid-Umfrage. Eine Partei unter Vorsitz des ehemaligen Unions-Fraktionschefs und CDU-Finanzexperten Friedrich Merz würden 20 Prozent der Bundesbürger wählen. Bei den Anhängern der Union können sich das sogar 34 Prozent vorstellen.

Die größte Strahlkraft auf Unzufriedene hat der Umfrage zufolge der ehemalige Bundespräsidentschaftskandidat von SPD und Grünen, Joachim Gauck: Eine Partei unter seiner Führung würden 25 Prozent der Deutschen wählen. Besonders hohen Zuspruch hätte eine Gauck-Partei bei den Anhängern der Grünen (35 Prozent).

Wulff weist Sarrazins Schauprozess-Vorwurf zurück

Bundespräsident Christian Wulff (CDU) hat den Vorwurf des Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin (SPD) zurückgewiesen, ihm werde ein „Schauprozess“ gemacht. Wulffs Sprecher Olaf Gläseker sagte der Zeitung „Bild am Sonntag“: „Das Verfahren wird selbstverständlich und ausschließlich nach Recht und Gesetz durchgeführt.“ Sarrazin hatte Wulff im Nachrichtenmagazin „Focus“ gewarnt: „Der Bundespräsident wird sich genau überlegen, ob er eine Art politischen Schauprozess vollenden will, der anschließend von den Gerichten kassiert wird.“

In der Bevölkerung gibt es eine Mehrheit für Sarrazins Entlassung aus dem Bundesbankvorstand. Auf die Frage, ob Bundespräsident Wulff die Entlassung für Thilo Sarrazin unterschreiben sollte, antworteten 45 Prozent der Befragten in einer repräsentativen Emnid-Umfrage für „Bild am Sonntag“ mit „ja“. 41 Prozent sprachen sich gegen eine Entlassung aus.

Sarrazin informierte Bundesbank-Vorstand vorab über sein Buch

Der Konflikt zwischen Thilo Sarrazin und der Spitze der Bundesbank um Präsident Axel Weber hätte möglicherweise verhindert werden können. Nach Informationen von „Bild am Sonntag“ hat Sarrazin am 16. August alle anderen Mitglieder des Bundsbank-Vorstands schriftlich von der geplanten Veröffentlichung des Buches „Deutschland schafft sich ab“ unterrichtet. Doch weder Präsident Weber noch ein anderes Vorstandsmitglied hätten auf diese Information reagiert oder sich nach dem Inhalt des Buches erkundigt.

Sarrazin, für dessen Abberufung sich der Bundesbank-Vortand am vergangenen Donnerstag einstimmig ausgesprochen hatte, will am Montag seinen Dienst in der Frankfurter Zentrale der Bundesbank versehen. Erst wenn Bundespräsident Wulff seine Unterschrift unter den Antrag auf Abberufung gesetzt hat und die Abberufungsurkunde Sarrazin übergeben wurde, wird diese rechtswirksam. Nach dem ihm alle Geschäftsbereiche entzogen wurden, beantwortet Sarrazin dem Bericht zufolge zur Zeit „Bürgerpost“-Briefe, die an die Bundesbank geschickt wurden. (ddp)