Berlin. .

Im Streit um die Unterstützung von Kindern aus Hartz-IV-Familien hat sich eine Ländermehrheit für Sachleistungen an die Eltern ausgesprochen. Ob es zur Umsetzung des Chipkartensystems kommt, bleibt weiter offen.

Die Einführung der von Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) geplanten elektronischen Bildungskarte für bedürftige Kinder bleibt umstritten. Bei einem Spitzentreffen von Bund, Ländern und Kommunen gab es am Freitag in Berlin zwar Zustimmung für das Vorhaben von der Leyens, aber erneut auch Kritik. Weitgehende Einigkeit herrschte darüber, zusätzliche Hilfen in erster Linie als Sachleistung zu gewähren.

Über die Chipkarte, die nach dem Willen von der Leyens bedürftigen Kindern besseren Zugang zu Bildungs-, Kultur und Sportangeboten ermöglichen soll, soll zunächst weiter beraten werden. Die Ministerin wies darauf hin, dass mehrere Bundesländer ihre Bereitschaft erklärt hätten, 2011 an entsprechenden Modellversuchen mitzuwirken. Andere Ländervertreter äußerten sich allerdings erneut skeptisch, darunter auch Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU). Von der Leyen selbst relativierte die Bedeutung ihres Vorschlags: „Die Chipkarte ist ein Instrument, ein Vehikel.“ Entscheidend sei aber das Ziel.

Kritik aus den Ländern

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU, v.l.) Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) und Niedersachsens Sozialministerin Ayguel Özkan (CDU)  am Rande der Beratungen über die Einföhrung einer Bildungs-Chipkarte. (Foto: ddp)
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU, v.l.) Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) und Niedersachsens Sozialministerin Ayguel Özkan (CDU) am Rande der Beratungen über die Einföhrung einer Bildungs-Chipkarte. (Foto: ddp) © ddp

Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) warf von der Leyen in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Freitag vor, sie wolle mit der Bildungskarte vor allem darüber hinwegtäuschen, dass sich die Bundesregierung um klare Aussagen zum Anspruch von Familien auf höhere Hartz-IV-Leistungen für Kinder herumdrücke. Von einer „Phantomdebatte“ sprach Thüringens Sozialministerin Heike Taubert (SPD). Grünen-Fraktionsvize Renate Künast warf von der Leyen vor, ihrer Verpflichtung zu einer Neuberechnung der Regelsätze nicht nachzukommen.

Bei den Beratungen der Sozial- und Bildungsminister von Bund und Ländern sowie der kommunalen Spitzenverbände ging es um die Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Leistungen an Kinder von Langzeitarbeitslosen bis Anfang kommenden Jahres verbessert werden müssen. Dies soll zunächst durch ein Basisgeld, ein Schulbasispaket und weitere auf die Bedürfnisse von Kindern ausgerichtete Leistungen der Jobcenter erfolgen. Ergänzt werden soll dies durch Bündnisse für Bildung auf lokaler Ebene.

„Keine zusätzliche Belastung der Kommunen“

„Es gibt eine große, breite Mehrheit dafür, dass die Hilfe als Sachleistung zu den Kindern kommt“, sagte von der Leyen. Sie sprach nach dem Treffen von einer „außerordentlich konstruktiven Diskussion“ mit „wertvollen Anregungen“ aus dem Kreis der Länder. Auf den genauen Umfang der geplanten Leistungen legte sie sich weiterhin nicht fest. Sie verwies dabei erneut auf im Herbst erwartete neue Daten der Einkommens- und Verbrauchsstatistik. Von der Leyen sicherte aber zu, dass es keine zusätzliche Belastung der Kommunen geben werde.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hob ebenfalls die „Übereinstimmung“ der Länder hervor, die Kinder und Jugendlichen mit Sachleistungen stärker zu unterstützen. Dies sei ein „gutes Fundament“ für die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Lokale Bündnisse für Bildung in Städten und Gemeinden könnten das Projekt voranbringen.

Bayern für Bargeld

Der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Stephan Articus, zeigte sich nach den Beratungen zufrieden. Die Befürchtungen, dass massive Belastungen auf die Kommunen zukommen, hätten sich nicht bestätigt. Zugleich mahnte er, dass neue Leistungen auch für Kinder von Geringverdienern „auf Rechnung der Kommunen finanziell nicht möglich sind“. Er betonte: „Wir sind bereit, veränderte Leistungen anzubieten, wenn das gewünscht wird, brauchen dann aber auch die finanzielle Ausstattung dafür.“

Bayerns Arbeitsministerin Christine Haderthauer (CSU) äußerte sich weiterhin skeptisch. Zwar stimme sie Sachleistungen für bestimmte Bedarfe zu, zum Beispiel das Schul-Mittagessen. Ganz grundsätzlich halte sie aber an ihrer Forderung fest, den Regelbedarf durch Bargeld zur Verfügung zu stellen und nicht über Gutscheine oder Chipkarten. Die Ministerin fügte hinzu, das Hauptproblem bei den Chipkarten sei der bürokratische und technische Aufwand sowie die Gefahr der Diskriminierung. Bei dem Treffen in Berlin habe es dafür „keine überzeugenden Antworten“ gegeben.

Die Kinder- und Jugendexpertin der Links-Fraktion, Diana Golze, bezeichnete die Chipkarte als „Humbug“. Der Auftrag des Verfassungsgerichts, dass jedes Kind in „Hartz IV“ ein verfassungskonformes Existenzminimum erhält, werde gezielt umgangen, um Geld zu sparen. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warf von der Leyen „viel mediales Getöse“ vor. Der Aufgabe der Neuberechnung der Regelsätze komme sie aber nicht nach. (afp/ddp)