Hamburg/Halle. In den östlichen Bundesländern sollen nach Medienberichten noch rund 17.000 ehemalige Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit (Stasi) im öffentlichen Dienst stehen. Opferverbände reagierten empört, zugleich werden Rufe nach einer Überprüfung laut.
Nach einem Zeitungsbericht sind rund 17 000 ehemalige Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit trotz Prüfungen im öffentlichen Dienst der Landesverwaltungen verblieben. Die «Financial Times Deutschland» berichtet in ihrer Donnerstagsausgabe, davon seien 2247 in Mecklenburg-Vorpommern tätig, 2942 in Brandenburg, 800 in Thüringen, 4400 in Sachsen-Anhalt, 2733 in der Berliner Verwaltung und 4101 in Sachsen. Experten und ehemalige DDR-Bürgerrechtler forderten Konsequenzen.
Angeblich erneute Überprüfungen nötig
Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) hält die Beschäftigung der Ex-Stasi-Mitarbeiter für einen «Skandal erster Güte». «Es ist ein Schlag ins Gesicht der Stasi-Opfer, dass ausgerechnet die Täter von einst in sensible Bereiche übernommen wurden», erklärte VOS-Sprecher Ronald Lässig in Berlin. Nach den Stasi-Fällen in Brandenburg und nun im Bundeskriminalamt dränge sich der Verdacht auf, dass der öffentliche Dienst von Stasi-Kadern «durchsetzt» sei. Die Opfervereinigung forderte von der Bundesregierung Aufklärung darüber, wo und wie viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter im bundesdeutschen Staatsdienst beschäftigt seien.
Ungeahnte Dimensionen
Der Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin, Klaus Schroeder, forderte eine klare Offenlegung der Bundesländer. Er gehe von mehreren 10 000 ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi in Ministerien und Behörden aus. «Das sind Dimensionen, die bisher keiner geahnt hat», sagte Schroeder der Zeitung. Die Überprüfungen seien sehr standardisiert und oberflächlich gewesen. Beispielsweise seien Zollbeamte oder Personenschützer zu großzügig behandelt worden. Sie hätten politisch als eher unbedenklich gegolten.
Der Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen in Magdeburg, Gerhard Ruden, sagte, er halte eine neue Überprüfung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst für erforderlich. «Das ist eine Frage der politischen Hygiene», sagte Ruden dem Blatt. Die Stasi-Akten seien erst heute zum allergrößten Teil erschlossen. Mitte der 90er-Jahre seien drei Viertel der Akten noch gar nicht ausgewertet gewesen. «Damals unbeschriebene Blätter könnten inzwischen zu einer großen Belastung geworden sein», sagte Ruden.
"Manches nicht mehr zu reparieren"
Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Bürgerrechtler Stephan Hilsberg sagte der «Mitteldeutschen Zeitung» (Donnerstagausgabe) laut Vorabbericht: «Die Beschäftigung im öffentlichen Dienst an sich ist noch nicht das Problem. Das Problem ist, in welchen Positionen sie da landen." Es sei zu akzeptieren, wenn solche Leute als Pförtner arbeiteten. Wenn sie aber wie beim Landeskriminalamt Brandenburg in Leitungspositionen tätig seien, sei das nicht hinnehmbar. Ähnliches gelte in Schulen. So sei ein früherer Stasi-Mitarbeiter als Lehrer für Werken oder Mathematik vorstellbar. Unvorstellbar sei, dass er politische Bildung oder Geschichte unterrichte.
Der Bürgerrechtler Ehrhart Neubert beklagte, die Gesetze hätten kurz nach der Wende nicht voll gegriffen, da noch nicht alle Informationen vorgelegen hätten. «Man hat nicht durchgesehen», sagte Neubert dem Blatt. Zwar sei klar: «Führende Stasi-Leute haben im öffentlichen Dienst nichts zu suchen.» Andererseits sei heute «manches nicht mehr zu reparieren».
Der frühere sächsische Innenminister Heinz Eggert (CDU) sagte, in Sachsen habe man intensiv geprüft. So seien nach der Wende mehr als 1000 Polizisten wegen Stasi-Tätigkeit entlassen worden, 600 seien von allein gegangen - und das in einer Zeit, in der dem Land 2000 Polizisten gefehlt hätten. Andererseits seien viele «Leute, die ich nicht haben wollte, von den Gerichten zurück geschickt worden. Wir mussten sie wieder nehmen», sagte Eggert der Zeitung. (ddp/afp)