Rom.
Vor genau fünf Jahren wurde Joseph Ratzinger zum Papst gewählt. Seitdem durchlebt er eine Zeit mit vielen Pannen. Heute schlingert die Kirche mehr denn je. Der Steuermann scheint zu wanken: Seit Menschengedenken ist kein Papst zu Lebzeiten so unmittelbar attackiert worden.
Es war am 6. April 2005 auf dem Petersplatz. Der Wind blätterte in dem Evangelienbuch, das man auf den Sarg Johannes Pauls II. gelegt hatte; Joseph Ratzinger, der als ranghöchster Kardinal die Totenmesse hielt, predigte gegen die „Diktatur des Relativismus“, der auch „das kleine Gedankenschiff vieler Christen nicht selten von einem Extrem ins andere schleudert“. 13 Tage danach wählten sie Ratzinger als einen, der das Steuer der Kirche in verlässlich festen Händen halten würde.
Heute schlingert die Kirche mehr denn je; sie wird aber nicht von einer anonymen „Diktatur des Relativismus“, sondern von handfesten Vorwürfen vieltausendfachen Kindesmissbrauchs durchgerüttelt. Der Steuermann selbst scheint zu wanken: Seit Menschengedenken ist kein Papst zu Lebzeiten so unmittelbar für – angebliche oder echte – Unterlassungen attackiert worden wie Benedikt XVI.
Mit der „Regensburger Rede“ finf es an
Eine der gröbsten Fehleinschätzungen, was Benedikt XVI. betrifft, ist dem Jesuiten Federico Lombardi unterlaufen. Als der Papst den damals 64-jährigen Chef von Radio Vatikan im Juli 2006 zu seinem Pressesprecher berief, sagte Lombardi, er werde seine Arbeit darauf beschränken können, „den Journalisten die nötigen Dokumente zur Verfügung zu stellen“. Diesem Papst seien „Kommunikation und Medien ein Herzensanliegen. Seine Gedanken sind klar, er drückt sich exzellent aus und sagt immer etwas, wenn er es für richtig hält. Einen, der für ihn spricht, braucht Benedikt XVI. nicht.“
Zwei Monate später baut genau dieser Papst in seine „Regensburger Rede“ jenes mohammed-kritische Zitat ein, das Muslime in aller Welt als Angriff auf den Propheten betrachten – seither wird Lombardi mit dem Geraderücken, dem korrekten Interpretieren, dem Rechtfertigen, dem Verteidigen nicht mehr fertig. Der Job sei „doch anstrengender als vermutet“, hat Lombardi vor einem Jahr zugegeben; damals hat er noch gelächelt.
Wie schnell schon eine kurze Vergangenheit zu einem „Damals“ werden kann, das zeigt sich heute im Vergleich zum April 2008. Damals „eroberte“ – wie italienische und amerikanische Zeitungen das nannten – Benedikt die USA. Pädophile müssten „absolut vom Priestertum ausgeschlossen“ werden, sagte Benedikt, dafür werde man auch „juristische Wege gehen“. Er verlangte eine „Reinigung“ der Kirche und traf sich in Washington demonstrativ mit Missbrauchsopfern. Zwei Jahre später wühlen US-Medien noch tiefer als andere in den Akten, um Joseph Ratzinger ganz persönlich eine geradezu amtliche Vertuschung von Missbrauchsfällen nachweisen zu können.
Fatales Zitat
Von einer „für mich unvorhersehbaren Panne“ sprach Benedikt XVI., als er im März 2009 im Schmollton die Rehabilitierung von vier Traditionalistenbischöfen rechtfertigte; zu spät hatte er entdeckt, dass sich unter diesen der notorische Holocaust-Leugner Richard Williamson befand. Ob die Panne „unvorhersehbar“ war, ob Benedikts Berater in der Kurie ihn über den Tisch ziehen wollten oder schlicht geschlafen haben, werden irgendwann Historiker klären. Im Prinzip aber kann, wer will, das ganze Pontifikat des Papstes als eine Geschichte von Irritationen erzählen; nicht alle waren unausweichlich.
Es begann mit jener Regensburger Rede; Benedikt zitierte einen byzantinischen Herrscher mit den Worten, Mohammed habe „doch nur Schlechtes in die Welt gebracht“. Es ging wenige Wochen danach weiter mit dem „Fall Wielgus“, der zum ersten Mal zeigte, dass die vatikanische Maschinerie alles andere als rund läuft: da sollte Stanislaw Wielgus auf den prestigereichen Erzbischofsitz von Warschau befördert werden; seine frühere Verstrickung mit dem Staatsicherheitsdienst war dem Vatikan durchgegangen. Minuten vor der feierlichen Amtseinführung zog Wielgus zurück.
Bischöfe schicken Solidaritätsbekundungen
Bei seiner Brasilienreise im Mai 2007 empörte Benedikt die Vertreter der Ureinwohner mit den geschichtsverdrehenden Sätzen, Südamerikas Urvölker „vor Kolumbus“ hätten geradezu auf die Christianisierung gewartet; die Missionierung habe „den eingeborenen Völkern zu keiner Zeit eine fremde Kultur aufgedrängt“.
Die Verbindung zwischen Pädophilie und Homosexualität, die Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone mitten im Gebrause um die Schuld der Kirche herstellte, war nur die zeitlich letzte in einer Reihe von Pannen, die auf das Konto von Benedikts „Chefpolitiker“, des zweiten Manns im Vatikan, gehen.
Gerade im Sturm der letzten Tage aber hat sich gezeigt, dass nun – je mehr sich die Attacken auf die Person des Papstes zuspitzen – die Kirche ihren Steuermann umso stärker stützt. Bischöfe aus aller Welt schicken Solidaritätsadressen an den „makellosen Fels der Kirche“, und an die Stelle der Zerknirschung tritt zunehmend die Empörung über „die ungerechtfertigten Angriffe aus den Medien“.
Benedikt selbst aber scheint diese polemische Wende nicht mitzumachen; insofern hat sich seine alte Unabhängigkeit selbst vom Kurienapparat bewahrt. „Wir Christen“, sagte er am Donnerstag, „haben auch in jüngster Zeit oft das Wort Buße vermieden, weil es uns zu hart schien. Jetzt, unter den Angriffen der Welt, die uns unsere Sünden vorhalten, erkennen wir, dass büßen zu können eine Gnade, dass Buße notwendig für die Erneuerung ist.“