Ankara.
Es wird kein Treffen der Gemeinsamkeiten, sondern eines der Gegensätze. Wenn Bundeskanzlerin Merkel am Montag Türkeis Ministerpräsident Tayyip Erdogan besucht, kommen viele heikle Themen auf den Tisch - unter anderem geht es um die türkischen EU-Beitrittsverhandlungen.
Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Einladung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan nach Ankara kommt, sind die meisten Positionen abgesteckt. In Interviews und Pressekonferenzen haben die beiden Regierungschefs bereits klar gesagt, wo sie in wichtigen Fragen stehen. Dabei wurden viele Gegensätze und nur wenig Gemeinsamkeiten deutlich.
Für Zündstoff sorgt jetzt vor allem Erdogans Forderung nach türkischen Schulen in Deutschland – eine Idee, die bei deutschen Politikern, aber auch bei großen Teilen der türkischen Gemeinde in Deutschland auf breite Ablehnung stößt. Schon bei seinem umstrittenen Auftritt in Köln 2008 hatte Erdogan den Eindruck erweckt, er versuche die Integration seiner Landsleute in Deutschland zu hintertreiben – um sie nicht als Wähler zu verlieren?
Vollmitglied oder kein Mitglied
Ähnlich schwierig wie die Integrationsproblematik ist das Thema der türkischen EU-Beitrittsverhandlungen. Kanzlerin Merkel wird in Ankara erneut versuchen, für ihr Modell einer „privilegierten Partnerschaft“ zu werben, aber auf Interesse darf sie nicht hoffen. Aus türkischer Sicht verhandelt man über einen Beitritt, nicht weniger: Entweder wir werden Vollmitglied oder wir werden gar kein Mitglied, lautet die Devise. Auch mit ihrem Wunsch, den Visumszwang für Türken in der EU aufzuheben, wird die türkische Seite bei Merkel auf Ablehnung stoßen. Immerhin rechnen es türkische Diplomaten der Kanzlerin positiv an, dass sie, getreu dem Grundsatz „pacta sunt servanda“, nie versucht hat, die 2005 vom Europäischen Rat einstimmig beschlossenen Beitrittsverhandlungen zu stoppen.
Breiten Raum dürfte bei Merkels Gesprächen auch die Entwicklung im Atomstreit mit Iran einnehmen. Erdogan hat sich kürzlich wieder dagegen ausgesprochen, Teheran mit Sanktionen abzustrafen. Der türkische Premier setzt auf weitere Verhandlungen, bei denen sein Land eine Mittlerrolle spielen könnte.
Neu aufgeflammter Streit
Auch der Annäherungsprozess zwischen der Türkei und Armenien wird zur Sprache kommen. Er bietet die Chance, auch den Konflikt um Bergkarabach zu lösen, ist aber wegen des jetzt neu aufgeflammten Streits um die Armenierverfolgungen und Erdogans Drohung, Zehntausende christliche Armenier zu deportieren, ins Stocken geraten.
Das heikle Thema Religionsfreiheit wird am zweiten Besuchstag der Kanzlerin in Istanbul bei Begegnungen mit Vertretern evangelischer und katholischer Gemeinden zur Sprache kommen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet am Dienstag ein Auftritt Merkels und Erdogans beim Deutsch-Türkischen Wirtschaftsforum. Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen sind ein erfreuliches Thema, sie entwickeln sich hervorragend und zeigen, wie eng beide Länder miteinander verbunden sind. Deutschland ist nicht nur wichtigster Handelspartner der Türkei. Inzwischen sind auch über 4000 deutsche Firmen in der Türkei tätig, manche von ihnen sogar seit dem 19. Jahrhundert, als Siemens in Istanbul die ersten Telefonleitungen verlegte.
In Zukunft werden energiepolitische Fragen immer stärker in den Mittelpunkt der deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen rücken. Mit dem geplanten Bau der von der EU geförderten Nabucco-Pipeline, die Erdgas aus Mittelasien über Anatolien und den Balkan nach Westeuropa bringen soll, wird die Bedeutung der Türkei als Energiekorridor weiter wachsen. Die fast 4,5 Millionen deutschen Touristen, die 2009 die Türkei besuchten, sind ebenfalls ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – und mit den über drei Millionen türkischstämmigen Menschen, die in Deutschland leben, ein bedeutendes Bindeglied zwischen beiden Ländern.