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Ein Bild schockt Amerika. Das aktuelle Cover des Time-Magazins zeigt das entstellte Gesicht eines afghanischen Mädchens und löst damit in Amerika eine Debatte um den Militär-Einsatz am Hindukusch aus.
Das Cover des aktuellen Time-Magazins in Amerika zeigt das entstellte Gesicht eines 18-jährigen Mädchens in Afghanistan. Bibi Aisha floh vor häuslicher Gewalt aus ihrer Familie – Der eigene Ehemann, ein Taliban-Kämpfer, hatte der heute 18-jährigen Aisha im letzten Jahr nach einem Urteil seines lokalen Kommandanten Nase und Ohren abgeschnitten. Aisha, die nach ihrer Verstümmelung mit letzter Kraft und traumatisiert herumirrte, ehe US-Helfer sie fanden und zu einem Lager der Hilfsorganisation „Frauen für Afghanistan“ in Kabul brachten, wurde grausam dafür bestraft, dass sie den Misshandlungen in der Familie ihres Mannes entfliehen wollte. Das Foto ist ein Statement, ebenso wie die Schlagzeile, die „Time“ daneben gesetzt hat: „Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen“ – auf ein Fragezeichen hatte „Time“ verzichtet.
In den USA hat der Titel eine kräftige Kontroverse ausgelöst. Kritiker sprachen von „emotionaler Erpressung“, gar von „Kriegs-Porno“, um Stimmung für die Fortsetzung eines Krieges zu machen, der in der Öffentlichkeit immer mehr an Kredit verliert. Andere wiederum lobten „Time“ dafür, aufgezeigt zu haben, was vor allem Afghanistans Frauen droht, wenn die USA und ihre Alliierten das Land demnächst wieder sich selbst überlassen. Es ging – man erinnere sich – auch um die Rechte der brutal unterdrückten afghanischen Mädchen und Frauen, als die westliche Koalition 2001 nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center in Afghanistan einmarschierte, dem sicheren Hafen der Kaida-Terroristen unter den Taliban.
Heute, fast neun Jahre später, haben die Taliban wieder Oberwasser, während die zermürbte Kriegskoalition Afghanistan lieber heute als morgen verlassen würde. „Time“ lässt in seiner Titelgeschichte Frauen zu Wort kommen, die aus guten Gründen Angst davor haben, auf dem Altar von westlicher Gesichtswahrung und afghanischem Scheinfrieden geopfert zu werden. Den Beteuerungen von US-Außenministerin Hillary Clinton („wir werden immer an eurer Seite stehen“) glauben die Frauen, die „Time“ zu Wort kommen lässt, nur begrenzt. „Frauenrechte dürfen nicht das Opfer sein, um einen Frieden zu erreichen“, sagt die frühere Parlamentssprecherin Fawzia Koofi.
Das westliche Dilemma wird offensichtlich
Aussöhnung mit denen, die ihr die Nase und die Ohren abschnitten – Aisha jagt allein schon die Vorstellung Schauer über den Rücken. „Wie soll man sich mit denen versöhnen?“, fragt die junge Frau verängstigt. Abziehen, Mädchen und Frauen wieder ihrem traurigen Schicksal überlassen wie schon in den Jahren vor dem Einmarsch oder weiter kämpfen, endlos, ohne Aussicht auf einen militärischen Sieg – das westliche Dilemma in Afghanistan ist seit langem offensichtlich. Auch „Time“ drückt sich vor einer klaren Position. „Wir sind nicht für oder gegen den Krieg“, schreibt Chefredakteur Richard Stengel in seinem Vorwort. Das Bild sei lediglich ein Fenster in die Wirklichkeit.
Zehn Monate hat Aisha, die nicht lesen und schreiben kann, in ihrem Versteck gelebt. Als Zwölfjährige war sie der Familie ihres späteren Ehemanns, zusammen mit ihrer jüngeren Schwester, als Entschädigung für eine Bluttat ihrer eigenen Familie übergeben worden. Inzwischen ist sie auf dem Weg in die USA, wo ihr Gesicht wieder hergestellt werden soll. Die Kosten für die Operationen übernimmt eine kalifornische Stiftung für die nächsten acht Monate. Ein Happy End? Wohl kaum. Ihre jüngere Schwester lebt noch in der Familie ihres Peinigers – „und sie werden wohl all ihren Ärger an ihr auslassen“, fürchtet Manizha Naderi, die Aisha in Kabul sicheren Unterschlupf gewährte.
Juli war blutigster Monat
Die Debatte um den Afghanistan-Einsatz wird von einer aktuellen Studie noch weiter befeuert. Der Militäreinsatz der internationalen Truppen in Afghanistan ist in den USA so unpopulär wie nie zuvor. Laut einer Umfrage des Instituts Gallup und der Zeitung „USA Today“ sind 43 Prozent der Befragten der Meinung, der Beginn des Einsatzes in Afghanistan nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei ein „Fehler“ gewesen. Ende 2008, kurz nach der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten, waren nur 28 Prozent der Bürger dieser Meinung.
Der Umfrage zufolge schätzen 62 Prozent der US-Bürger die Lage in Afghanistan zudem als „ziemlich schlecht“ oder „sehr schlecht“ ein. Erst kürzlich waren über das Internetportal WikiLeaks zehntausende Dokumente aufgetaucht, die ein düsteres Bild von der Situation in dem Land gezeichnet hatten. Weil der Juli dieses Jahres mit 66 getöteten US-Soldaten der bislang blutigste Monat seit Beginn des Konfliktes war, wird der Einsatz in der US-Bevölkerung aber zunehmend kritischer gesehen.
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist nicht mit Obama zufrieden
Die Befragten der Studie bescheinigten ihrem Präsidenten zudem mehrheitlich schlechte Führungsqualitäten in Bezug auf den Konflikt in Afghanistan: 57 Prozent der Befragten sind mit der Art und Weise, wie Obama den Einsatz lenkt, nicht einverstanden, im Februar hatten sich 47 Prozent negativ dazu geäußert.
Obama hatte Ende 2009 seine neue Strategie für den Einsatz am Hindukusch vorgestellt und die Entsendung von mehr als 30.000 zusätzlichen Soldaten in das Land angekündigt, um den Kampf gegen die Taliban zu verstärken. Noch am Montag hatte Obama erklärt, trotz erheblicher Schwierigkeiten machten die USA „Fortschritte“ in Afghanistan. (AFP)