Kabul. .
Mit dem Abzug niederländischer Soldaten kommt der Nato-Einsatz in Afghanistan zusätzlich unter Druck. Ab diesem Sonntag machen sich die ersten der knapp 2000 Soldaten auf den Heimweg. Auch Briten, Kanadier und Polen gelten als kriegsmüde.
Es ist soweit: Der 1. August ist das geschichtliche Datum für den Abmarsch der ersten westlichen Truppen aus Afghanistan. Die Niederländer machen den Anfang. Bis zum Jahresende soll der letzte der 1950 niederländischen Soldaten afghanischen Boden verlassen haben. Die Taliban jubeln. Ihr Anführer, Mullah Omar, habe in seinem pakistanischen Versteck Belutschistan erklärt: „Die Zeit für unseren Sieg ist gekommen“. Das erfuhr die Nachrichtenagentur ddp am Wochenende aus Kreisen des afghanischen Geheimdienstes NDS in Kabul.
„Wir möchten den Bürgern und der Regierung der Niederlande von ganzem Herzen dazu gratulieren, dass sie den Mut hatten, diese unabhängige Entscheidung zu fällen“, sagte Taliban-Sprecher Kari Jusuf Ahmadi in einem in der niederländischen Zeitung „Volkskrant“ veröffentlichten Gespräch. Ein Vertreter des US-Geheimdienstes CIA wertete in Washington gegenüber ddp diesen „Vorgang“ als ein Zeichen dafür, wieweit es den Taliban schon gelungen ist, die öffentliche Meinung in den westlichen Ländern in ihrem Sinn zu beeinflussen.
Polen wollen raschen Abzug ihrer Truppen
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat den Niederländern für ihren Einsatz in der südafghanischen Provinz Urusgan gedankt und ihren Abzug bedauert. Gegen die Bitte Rasmussens, die Niederländer möchten noch ein Jahr bleiben, hatten sich die in Den Haag mitregierenden Sozialdemokraten gesperrt. Die Regierung zerbrach und es blieb beim ursprünglichen Abzugstermin. Die Niederländer hatten in den vergangenen vier Jahren mehr als 24 Mann verloren.
Als nächste „Wackelkandidaten“ gelten die Briten, Kanadier und Polen. Besonders die Kanadier mussten einen großen Blutzoll in ihren südlichen Stationierungsorten entrichten. Ähnlich wie die Briten beklagen die Kanadier, dass sie mehr in der Schusslinie der Taliban stünden als die anderen Nato-Partner. Ottawa will seine Soldaten spätestens 2011 aus Afghanistan zurückholen.
Am Hindukusch sind rund 10.000 britische Soldaten im Einsatz. Damit ist Großbritannien nach den USA die zweitgrößte ausländische Militärmacht in Afghanistan. Nach der Abwahl der Labour-Regierung drängte der neue britische Verteidigungsminister Liam Fox auf einen schnellen Rückzug der britischen Soldaten aus Afghanistan. Sie hätten die Grenze der Belastbarkeit erreicht. In der südlichen Provinz Helmand, in der die Briten gegen die Taliban kämpfen, kamen bisher an die 290 britische Soldaten ums Leben.
Nach einer Umfrage des Magazins „Newsweek Polska“ plädieren weit über 60 Prozent der Polen für einen schnellen Rückzug der 2000 polnischen Soldaten aus Afghanistan. Sie sind in der östlichen Provinz Ghazni stationiert. Weit über zehn polnische Soldaten sind bisher gefallen.
US-Truppen sehen eigenen Abzugstermin als kaum zu halten an
Die Amerikaner haben in ihren afghanischen Kampfgebieten hauptsächlich im Osten Afghanistans an die 1100 Soldaten verloren. Aus CIA-Kreisen war in Kabul zu erfahren, dass der von Washington geplante Termin zum Abzug erster US-Truppen Mitte nächsten Jahres, den auch die Bundeswehr in Angriff genommen hat, „auf keinen Fall zu halten ist“. Es werde es immer schwieriger, wie die jetzt schon nacheinander vom Hindukusch abziehenden Truppen aus verschiedenen Ländern ersetzt werden können.
Spätestens Ende dieses Jahres werde US-Präsident Barack Obama eine „strategische Entscheidung“ treffen müssen, „wie und wann tatsächlich die Lage am Hindukusch in den Griff gebracht werden kann“, sagten CIA-Vertreter in Washington. Es sei „überhaupt nicht auszuschließen, dass die Amerikaner letztlich allein gegen die Taliban antreten müssen“, prophezeiten die CIA-Leute.
Aus den gerade in der Internetplattform WikiLeaks“ veröffentlichten geheimen US-Militärdokumenten geht hervor, dass der Einsatz der westlichen Allianz in Afghanistan einem „Fiasko gleichkommt“. Die Chancen für militärische Erfolge der ISAF-Truppen seien „dahin“. In anderen Berichten wird im Zusammenhang mit dem von den USA seinerzeit verlorenen Krieg in Vietnam auf eine Aussage des damaligen Außenministers Henry Kissinger hingewiesen, der 1971 gefordert hatte, den Krieg in Asien mit „Würde zu verlieren“. Trotzdem dauerte der Vietnamkrieg noch zwei Jahre länger und kostete weitere Hunderttausende Menschenleben. (ddp)