Düsseldorf. .

Rot-Grün feiert mit tosendem Applaus die neue Landeschefin Hannelore Kraft. Peer Steinbrück frohlockt über das Ende einer unerfüllten CDU-Ära. Christdemokraten und Liberale kehren zähneknirschend auf die Oppositionsbank zurück.

Oben auf der Zuschauertribüne steht Udo Kraft und dokumentiert mit einer Videokamera, wie seine Frau Hannelore um kurz vor zwölf unten im Plenarsaal ihren Platz in der ersten Reihe einnimmt. Für diesen Tag, der den vorläufigen Höhepunkt ihrer steilen politischen Karriere markieren soll, hat die 49-Jährige sich als Kleidung ein dunkelblaues Kostüm mit Blumenmuster ausgesucht. Nicht zu übersehen: Die rote SPD-Nadel am Revers.

Ihre Familie, Ehemann Udo, Sohn Jan (17) und Mutter Anni Külzhammer, wird auf der Empore vom früheren NRW-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück (SPD) und dem ehemaligen SPD-Parteichef Franz Müntefering eingerahmt. Jürgen Rüttgers (CDU) ist in diesem Moment noch geschäftsführender NRW-Ministerpräsident. Er sitzt ebenfalls unten im Saal in der ersten Reihe, würdigt Kraft mit keinem Blick. Zeitweise kehrt er ihr sogar demonstrativ den Rücken zu.

Als SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Carina Gödecke um kurz nach zwölf Hannelore Kraft zur Wahl der Ministerpräsidentin vorschlägt, bricht erster tosender Applaus bei den Abgeordneten von SPD und Grünen aus. Ein Teil der Linken klatscht ebenfalls, der Rest verharrt ebenso still auf den Plätzen wie die Mitglieder von CDU- und FDP-Fraktion.

Papke: Kraft macht sich von marxistischen Verfassungsgegnern abhängig

Für Christ- und Freidemokraten ist dies ein schwarzer Tag. Sie müssen zurück auf die harte Oppositionsbank, weil, so schimpft CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann, sich Krafts Minderheitsregierung „durch die Linke tolerieren lässt”. Oder, wie FDP-Fraktionschef Gerd Papke es noch eine Tonlage schärfer ausdrückt, sich die SPD-Landeschefin „von marxistischen Verfassungsgegnern abhängig macht”.

Die Uhr zeigt 13.13 Uhr, da hat Hannelore Kraft aller politischen Angriffe zum Trotz ihr Ziel erreicht. Im zweiten Wahlgang genügen ihr die 90 Ja-Stimmen von SPD und Grünen, damit ist sie gegen 80mal Nein (CDU/FDP) und elf Enthaltungen (Linke) zur Ministerpräsidentin gewählt. Die Abgeordneten von SPD und Grünen springen auf, feiern die neue Landeschefin mit tosendem Applaus. Jürgen Rüttgers knöpft sich die Jacke zu, geht schnell zu seiner Nachfolgerin. Er ist der Erste, der Kraft mit kräftigem Händedruck gratuliert. Anschließend fallen der SPD-Chefin reihenweise Genossen und Grüne um den Hals. FDP-Landesvorsitzender Andreas Pinkwart und FDP-Fraktionschef Gerd Papke überbringen ihre Glückwünsche kurz und distanziert, um so länger und herzlicher schütteln die Fraktionsvorsitzenden der Linken, Wolfgang Zimmermann und Bärbel Beuermann, der neuen Ministerpräsidentin die Hand.

Ihre „Wegmarke” sei, dass sie die Zusammenarbeit mit allen Fraktionen des Landtages sucht, sagt Kraft in einer kurzen Ansprache nach ihrer Vereidigung durch Landtagspräsident Eckhard Uhlenberg (CDU). Sie hofft, CDU und FDP für eine gemeinsame Linie in Sachfragen gewinnen zu können – spätestens, wenn die Verletzungen aus dem Wahlkampf abgeklungen sind.

Peer Steinbrück freut sich

Die neue Ministerpräsidentin wird mit Blumengebinden überhäuft. Außerdem erhält sie 66 Rosen – von jedem Mitglied ihrer SPD-Fraktion eine. Nun darf auch Krafts Familie in den Plenarsaal. Zuerst umarmt sie innig ihren Sohn, dann ist der Ehemann mit einem Küsschen dran.

Auf dem Flur vor dem Landtag drängeln sich die Journalisten. Ab sofort wird Kraft von Sicherheitsbeamten eskortiert. Die Bodyguards kann sie sofort gut gebrauchen, sonst wäre wohl kein Durchkommen. Geduldig gibt Kraft ihre Interviews. Dann will sie aber ein wenig feiern mit den vielen anderen, die bei Bier und Schnittchen auf den Fluren stehen. Darunter auch Peer Steinbrück, der 2005 von Rüttgers gestürzte NRW-Ministerpräsident. Er freut sich: „Alle haben gesagt, es würde eine längere CDU-Ära. Das wurde heute widerlegt.”

Gleich am Nachmittag bezieht Kraft die Staatskanzlei. Dort ist Amtsübergabe mit Rüttgers. Der überreicht ihr den Landesorden, weil dies seit 1986 nach der Verdienstorden-Verordnung so vorgesehen ist. Es findet eine erste Personalversammlung statt. Kraft richtet sich in ihrer Regierungszentrale ein. Spät am Abend wird sie erstmals mit Rüttgers alter gepanzerten Limousine und Bewachern heim nach Mülheim gefahren.

Rüttgers blase jetzt „keine Trübsal”, flüstern enge Mitarbeiter den Journalisten zu. Er feiert am Abend eine Party. Seine Frau Angelika wird 55. Vielleicht eine willkommene Abwechslung am Ende eines solchen Tags.