Berlin. Der Bundestagspräsident ist sauer: Statt die konstituierende Sitzung des Bundestages zu übertragen, zeigten die öffentlich-rechtlichen Sender seichte Unterhaltung. Aber auch am Alltag der Parlamentsarbeit hatter der Bochumer einiges auszusetzen.
Der wiedergewählte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF heftig kritisiert, weil sie die konstituierende Sitzung des Bundestags am Dienstag nicht übertragen haben. „Mir fehlt jedes Verständnis, dass ein gebührenpflichtiges Fernsehen, das dieses üppig dotierte Privileg allein seinem besonderen Informationsauftrag verdankt, auch an einem Tag wie heute mit einer souveränen Sturheit der Unterhaltung Vorrang vor der Information einräumt“, sagte der Politiker mit dem zweithöchsten Staatsamt. Seine Kritik werde er an sich jeder bietenden Gelegenheit wiederholen.
"Alisa - folge Deinem Herzen"
Stattdessen strahlte die ARD die Komödie „Schaumküsse“ aus und das ZDF je eine weitere Folge der Serien „Alisa – folge deinem Herzen“ und Bianca – Wege zum Glück“. Die Eröffnung des 17. Bundestags, die sowohl Bundespräsident Horst Köhler als auch die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (beide CDU) im Plenarsaal verfolgten, lief dafür auf dem Sender Phoenix.
Kritik an der Entscheidung von ARD und ZDF kam auch von der ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. „Norbert Lammerts Mahnung ist berechtigt“, sagte dessen Vorvorgängerin der WAZ und verwies auf den Informationsauftrag der beiden öffentlich-rechtlichen Sender. Durch den Verzicht der Übertragung sendeten ARD und ZDF die Botschaft aus, das der Bundestag gar nicht so wichtig sein. „Dem kann ich mich nicht anschließen“, sagte Süssmuth weiter.
In einer über weite Strecken kritischen Ansprache plädierte Lammert dafür, die Legislaturperiode des Bundestags von vier auf fünf Jahre zu erhöhen. „Darüber lohnt es nachzudenken.“ Nach Einschätzung der meisten Wähler gebe es in Deutschland nicht zu wenige sondern eher zu viele Wahlen.
Weiter forderte Lammert eine bessere Organisation der Plenardebatten. So seien in der vergangenen Legislaturperiode 464 Tagesordnungspunkte ohne Debatte verhandelt worden. Diese Praxis sei mit der Verfassung - „der Bundestag verhandelt öffentlich“ - nur schwer vereinbar. Vor diesem Hintergrund ermahnte er die Abgeordneten, künftig weniger Gesetzesentwürfe und Resolutionen im Bundestag einzubringen. Andernfalls sollten sie die Zahl der Sitzungswochen entsprechend erhöhen.
Herz der Verfassung
Zugleich ermunterte Lammert die Parlamentarier, selbstbewusst aufzutreten. Der Bundestag dürfe sich hinter den Regierungen und dem Verfassungsgericht nicht verstecken. „Er ist nicht Hilfsorgan, sondern Herz der politischen Verfassung.“
Nach einer launigen Ansprache des Alterspräsidenten Heinz Riesenhuber (CDU) – „wer älter ist als ich, der spreche jetzt oder schweige für immer“ – bestätigten die 617 Abgeordneten Lammert mit 522 Ja-Stimmen im Amt. 66 Parlamentarier votierten gegen ihn, 29 enthielten sich. Lammerts Stellvertreter sind Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), Hermann Otto Solms (FDP), Petra Pau (Linke), Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Gerda Hasselfeldt (CSU).