München. Der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk wartet jetzt in deutscher Haft auf seinen Prozess. Alles hängt von der Entscheidung der Ärzte ab. Sie müssen den 89-Jährigen für verhandlungsfähig erklären. Demjanjuk wird Beihilfe zum Mord an 29.000 Juden vorgeworfen.
Nach vergeblichem juristischen Kampf gegen seine Auslieferung sitzt der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk jetzt in deutscher Haft. Dem 89-Jährigen, der am Dienstagmorgen mit einem Krankenflug aus den USA nach München gebracht worden war, wird Beihilfe zum Mord in 29.000 Fällen vorgeworfen. Sollten ihn die Ärzte für verhandlungsfähig erklären, dürfte einer der letzten großen NS-Prozesse bevorstehen.
Der Ermittlungsrichter im Münchner Gefängnis Stadelheim verlas am Nachmittag den Haftbefehl gegen Demjanjuk. 66 Jahre nach der Ermordung von 29.000 Juden im Vernichtungslager Sobibor sitzt der mutmaßliche KZ-Aufseher nun im selben Gefängnis wie einst Adolf Hitler.
Anwalt: "Beweise nicht stichhaltig"
Sein Anwalt Günther Maull sagte am Nachmittag, er habe sofort Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. Die Beweise seien nicht stichhaltig und die Zuständigkeit der deutschen Justiz fraglich. Ulrich Busch, Demjanjuks zweiter Verteidiger, erwägt bereits Verfassungsbeschwerde gegen den Haftbefehl, wie er der Nachrichtenagentur AP sagte. Die Abschiebung von den USA nach Deutschland zum Zwecke der Strafverfolgung sei ungesetzlich. Demjanjuks Grundrecht auf ein faires Verfahren sei tangiert.
Die Staatsanwaltschaft München will nach eigenen Angaben schon in den nächsten Wochen Anklage gegen den 89-Jährigen erheben. Ein ärztlicher Sachverständiger sei bereits mit der Begutachtung der Verhandlungsfähigkeit Demjanjuks beauftragt, erklärte der leitende Oberstaatsanwalt Manfred Nötzel.
Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, forderte mit Blick auf das hohe Alter und die angegriffene Gesundheit Demjanjuks einen raschen Prozessbeginn und sprach von einem «Wettlauf gegen die Zeit». Der Kölner Publizist Ralph Giordano sagte im «Weser-Kurier» (Mittwochausgabe): «Ich hoffe, dass Demjanjuk für den Rest seines Lebens in den Knast kommt.»
Auf Deutsch mit "Ja" und "Nein" geantwortet
Die US-Behörden hatten den 89-Jährigen in der Nacht in Begleitung eines Arztes und weiterer Begleitpersonen nach München geflogen, wo er gegen 09.15 Uhr gelandet war. Während des Fluges habe er überwiegend geschlafen, erklärte Nötzel. Ein Arzt habe nach einer ersten Untersuchung bereits auf dem Flughafen keine Bedenken gehabt, Demjanjuk weiter in das Münchner Gefängnis Stadelheim transportieren zu lassen. Dort hatte Adolf Hitler im Juli 1922 wegen Landfriedensbruchs für sechs Wochen eingesessen.
Demjanjuk sei ansprechbar gewesen, habe verstanden, was zu ihm gesagt worden sei, und auf Deutsch mit «Ja» und «Nein» geantwortet, sagte Nötzel. Der Haftbefehl wurde ihm auf Deutsch mit ukrainischer Übersetzung eröffnet. Die dazugehörigen Akten sind rund 6.000 Seiten dick, wie sein Pflichtverteidiger sagte.
Die Münchner Staatsanwaltschaft wirft Demjanjuk vor, 1943 als KZ-Wachmann für die SS im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen bei der Vergasung Zehntausender Menschen geholfen zu haben. Wichtigstes Beweismittel ist ein Dienstausweis. Er bestreitet alle Vorwürfe und behauptet, lediglich in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen zu sein.
Demjanjuk hatte sich mit Hinweis auf Prä-Leukämie und andere Krankheiten seit Wochen vor Gerichten in den USA und Deutschland gegen seine Abschiebung gewehrt.
"Es geht nicht um Rache"
Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte Demjanjuks Auslieferung und forderte, ihn schnellstmöglich vor Gericht zu stellen. Es sei ein Erfolg mit hohem symbolischen Stellenwert, wenn einer der letzten noch lebenden mutmaßlichen NS-Verbrecher in Deutschland zur Rechenschaft gezogen werden könnte, erklärte die Präsidentin Knobloch. «Es geht nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit», betonte sie.
Der Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, erwartet allerdings noch zwei weitere Verfahren. Der eine Tatverdächtige lebe in Österreich, der andere in den USA. In beiden Fällen gebe es Parallelen zu Demjanjuk, sagte Schrimm der AP.
Demjanjuk war 1952 in die USA ausgewandert. Wegen einer Verwechslung mit einem als «Iwan der Schreckliche» berüchtigten KZ-Aufsehers in Treblinka saß Demjanjuk in Israel bis 1993 sechs Jahre lang in einer Todeszelle. In München droht ihm bei einer Verurteilung eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren. (ap)