Berlin. Bundespräsident Horst Köhler setzt für seine Wiederwahl auf Volksnähe und seinen Amtsbonus. Würde der Präsident tatsächlich vom Volk gewählt, wäre der 23. Mai, der Tag der Wahl, für Köhler schon gelaufen. Dabei ist die Versetzung in die zweite, endgültig letzte Amtszeit riskant.

Halten sie ihn etwa für einen Amateur? Um die Bilanz seiner Amtszeit wird Horst Köhler gebeten. „Die ziehe ich erst, wenn sie zu Ende ist”, erwidert der Bundespräsident. „Alles zu seiner Zeit.” Köhler redet und fährt durchs Land, als wäre Halbzeit, die nächsten fünf Jahre bloß Formsache und die Bundesversammlung am 23. Mai nur ein Zwischenzeugnis.

Dabei ist die Versetzung in die zweite, endgültig letzte Amtszeit riskant. Er könnte ein ehernes Gesetz der Deutschen brechen: Kanzler wählt man ab, einen Bundespräsidenten nie. Köhler wäre der erste. Seine Vorgänger ließen es nie so weit kommen.

Köhler wäre lieber auf Flügeln getragen worden, so wie einst Richard von Weizsäcker. Bei ihm war keiner auf die Idee gekommen, ihm die Wiederwahl streitig zu machen.

Es kam aber anders. Die SPD bescherte Köhler Gesine Schwan. Die Parteien, die ihn noch 2004 ins Amt trugen, Union und FDP, haben keine Mehrheit. Köhler braucht die freien Wähler – und zwar jeden einzelnen Wahlmann.

Den Wahlkampf, den Schwan ihm aufdrängte, nahm er an. Seither, seit dem Frühsommer 2008 hat er die Karten optimal ausgespielt. Sein Trumpf: der Amtsbonus. Der Präsident – wer sonst? – spricht das Grußwort auf dem Kirchentag. Köhler – wem sonst? – gehört die Bühne beim Staatsakt zum 60-jährigen Bestehen der Republik.

Alles souverän. Aber einmal konnte man ahnen, dass dem Staatsoberhaupt das kleine Karo nicht fremd ist. Da hatte Schwan vor sozialen Unruhen im Zuge der Finanzkrise gewarnt. Nun hätte der Mann Souveränität zeigen, ja, die Herausforderin beschämen können. Er ließ die Chance verstreichen, nahm Schwan nicht in Schutz. Er stimmte in den Chor der Kritiker ein, die „Panikmache” riefen.

Sein Amt sorgt dafür, dass er die richtigen Leute trifft

Sein Amt sorgt dafür, dass er die richtigen Leute trifft. Wie Peter Danckert, Vorsitzender des Sportausschusses und einer von Schwans Wackelkandidaten. Mit wem haben die Köhlers gerade in Berlin ihr Sportabzeichen gemacht? Mit Danckert. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Köhler war oft mit dem Zeitgeist im Bunde. Er startete – vom Weltwährungsfonds zurück – als ungeduldiger Reformer und als Neoliberaler. Heute steht der Volkswirt nicht an, den Casino-Kapitalismus zu kritisieren.

Mit Einmischungen und Kritik am Parteienstaat verschaffte er sich Respekt. Mehreren Gesetzen verweigerte er die Unterschrift. In Berlin raunte man sich bald zu, das Verhältnis zur Kanzlerin sei gestört, und nicht wenige rümpften die Nase über seine Beifallssucht. Beim Volk kam er nicht trotz, sondern wegen der Parteienferne gut an. Aus „Horst Wer?” wurde „Super-Horst”. So testete er die Grenzen seines Amts und emanzipierte sich von Union und FDP. Die Distanz zu den Parteien hatte Folgen. Selten ist ein Präsident so geflissentlich und hartnäckig überhört worden wie er, von Westerwelles FDP mal abgesehen. „Wir haben keine Bataillone”, war oft in Schloss Bellevue zu hören. Der unerhörte Präsident fand eine neue Rolle: die des Volkshirten.

Er ist durchs Land getourt und hat den Draht zu seinen Bürgern gesucht. Bei Besuchen wie letzte Woche in Sachsen-Anhalt kommt man ihm auf die Spur. Einer wie Köhler baut Distanz ab. Keiner muss einen Knicks machen. Ob am Blumenstand mit Frauen oder mit den Arbeitern bei den Förderanlagen Magdeburg, unverkrampft kommt Köhler ins Gespräch. Die Leute mögen ihn, seine Art und seine unpolitische Philosophie („Wir sitzen alle in einem Boot”), seine Parteienferne.

„Det is ein richtig Netter”, sagt ein Besucher im Magdeburger Dom. „Den werde ich wieder wählen”, behauptet ein anderer. Und würde der Präsident tatsächlich vom Volk gewählt, wäre der 23. Mai für Köhler schon gelaufen.