Berlin. .

Einen Tag nach Horst Köhlers Rücktritt ist die Kandidatensuche angelaufen. Viele prominente Namen kursieren. Offenbar liegt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gut im Rennen.

Nach dem überraschenden Rückzug von Bundespräsident Horst Köhler wird am 30. Juni ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) berief am Dienstag für diesen Tag die Bundesversammlung ein. Es ist nach der Verfassung der letztmögliche Termin, da innerhalb von 30 Tagen ein Nachfolger feststehen muss.

Der Bundesversammlung obliegt allein die Aufgabe, den Bundespräsidenten zu wählen. Das Verfassungsorgan besteht aus den Mitgliedern des Bundestages und der gleichen Zahl von Mitgliedern aus den Bundesländern. Nach Berechnungen des Wahlinformationsdienstes election.de hat Schwarz-Gelb in der Bundesversammlung eine deutliche Mehrheit. Danach verfügen Union und FDP in dem Gremium über mindestens 646 der 1244 Sitze.

Die Favoritin von der Leyen

Bei den Gesprächen der Koalitionsspitzen hat sich Arbeitsministerin Ursula von der Leyen als Favoritin für das Amt als Bundespräsidentin herausgestellt. „Es gibt eine sehr starke Präferenz für von der Leyen im Kanzleramt“, sagten Koalitionskreise am Dienstag der Nachrichtenagentur DAPD in Berlin.

Auch in der Union zeichne sich Zustimmung ab, hieß es weiter. Jetzt hänge es an der FDP, ob diese einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken wolle oder aber den Unions-Vorschlag unterstütze. Das Präsidium der Freidemokraten wollte am Abend zusammenkommen und darüber entscheiden. Das CSU-Präsidium will sich am morgigen Mittwoch festlegen, noch vor der Sitzung des Bundeskabinetts um 9.30 Uhr, wie es weiter hieß.

Die am 8. Oktober 1958 in Brüssel geborene von der Leyen, die Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, hat eine schnelle politische Karriere hinter sich. Erst im September 2001 übernahm sie erstmals ein kommunalpolitisches Mandat für die CDU, wurde Ratsfrau und Chefin der CDU-Ratsfraktion in Sehnde, einer kleinen Nachbarstadt von Hannover. Eineinhalb Jahre später kandidierte die Mutter von sieben Kindern für den niedersächsischen Landtag und zog nach dem CDU-Wahlsieg gleich als Sozialministerin in das Landeskabinett ein. Nach weiteren gut eineinhalb Jahren saß die gelernte Ärztin schon im CDU-Präsidium. Im November 2005 wurde sie dann Familienministerin, seit dem Amtsantritt der schwarz-gelben Regierung ist sie Arbeitsministerin.

Köhler verabschiedet sich

Köhler verabschiedete sich am Dienstag im Schloss Bellevue von Mitarbeitern seines persönlichen Büros. Derweil begann in der Koalition die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin. Im Kanzleramt trafen sich am Vormittag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit FDP-Chef Guido Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer zum vierstündigen Gespräch. Regierungskreise betonten, dass bei dem Treffen nur technische Fragen der Bundespräsidentenwahl beraten worden seien. Die Runde wenige Tage vor der Haushaltsklausur, zu der später auch noch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dazukam, sei bereits länger angesetzt gewesen.

Merkel hatte bereits am Montagabend darauf hingewiesen, dass Schwarz-Gelb in der Bundesversammlung eine Mehrheit habe. Die Koalition wolle aber mit einem Vorschlag auf die anderen Parteien zugehen. „Wir haben durchaus den Anspruch, dass der nächste Bundespräsident von den Menschen im Lande geachtet wird“, betonte die Kanzlerin.

In der Nachfolgedebatte werden neben Ursula von der Leyen (CDU) auch Lammert genannt. Aus der CSU wurde Ex-Parteichef Edmund Stoiber ins Spiel gebracht. Hochrangige FDP-Kreise ließen wiederum verlauten, man würde sich anders als 2004 nicht gegen Schäuble als Kandidaten sperren.

Bundesratspräsident Jens Böhrnsen, der laut Verfassung nun kommissarisches Staatsoberhaupt ist, forderte die Spitzen in Politik und Gesellschaft auf, nicht sofort über die Nachfolge zu debattieren. Dies gebiete der Respekt vor der Persönlichkeit Köhlers und vor seiner Leistung als Bundespräsident. „Ab Mittwoch können wir den Blick nach vorn richten“, sagte der SPD-Politiker dem Bremer „Weser-Kurier“.

Linke ohne eigenen Kandidaten

Die SPD erwägt einen eigenen Kandidaten für das Amt. Wenn die Regierung das tue, was Merkel angekündigt habe, „nach dem Motto, sie finden eine Person und dann sagen sie der Opposition, friss, Vogel, oder stirb, dann werden wir mit Sicherheit jemand eigenes aufstellen“, sagte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Er fügte allerdings hinzu: „Natürlich sind wir gesprächsbereit auch mit der Regierung.“

Die Linke will zunächst keinen eigenen Kandidaten aufstellen. Linkspartei-Chefin Gesine Lötzsch sagte, es solle abgewartet werden, „welche Vorschläge von den anderen politischen Parteien kommen“. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin betonte, man sollte es sich „durchaus überlegen“, einen Anwärter jenseits der Parteigrenzen zu finden. Sein Parteikollege Rezzo Schlauch schlug Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) vor: „Wenn es die Kanzlerin Ernst meint mit dem Kriterium, dass es eine Persönlichkeit sein soll, mit der möglichst alle leben können, dann ist Joschka Fischer für mich die erste Wahl!“

Vor dem Rücktritt Köhlers hat Merkel offenbar noch mit drastischen Worten versucht, den Bundespräsidenten umzustimmen. Wie „Spiegel Online“ unter Berufung auf Unions-Kreise berichtete, warnte Merkel in dem Telefonat mit Köhler am Montag, sein Rücktritt könne eine schwere Krise für Deutschland nach sich ziehen und das Vertrauen vieler Bürger in die Institutionen des Staates erschüttern. Mehrfach habe sie ihn vergeblich aufgefordert, seine Entscheidung zu überdenken. (apn/ddp)