Berlin. .

Der weinerliche Abgang passt zu Köhler - einem politischen Seiteneinsteiger, der stets mit dem System fremdelte. Auf der anderen Seite wurde nie so respektlos mit dem Amt des Bundespräsidenten umgegangen, wie in seiner Zeit. Eine Analyse.

Von ihm ging immer eine gewisse Melancholie aus, und zuletzt war die Stimmung in Schloss Bellevue arg gedrückt. Mehrere Mitarbeiter kündigten. Hinter den Kulissen tobte ein Kampf um die Nähe und den Einfluss auf den Hausherren, der stumm, entgeistert und politisch abwesend und vor allem wundgerieben wirkte. Man sprach in Berlin schon vom „Schlossgespenst“, was eine Respektlosigkeit ist. Gemeint war damit nämlich Horst Köhler, der erste Mann im Staat, der Präsident, über den man seit Montag jäh und unvermittelt in der Vergangenheitsform reden muss, der Missverstandene.

Eigentlich galt die Sache ja als ausgestanden, jenes fatale Interview auf dem Rückflug aus Afghanistan. Die Einladungen für das nächste Sommerfest waren verschickt, die nächste „Berliner Rede“ terminiert, am Dienstag wollte der 67-jährige Präsident seine neue Pressesprecherin vorstellen. Hätte sie bloß ein paar Tage früher angefangen, die verhängnisvollen O-Töne wären vielleicht gar nicht oder nicht ohne Erklärung über den Äther gegangen. Der Zufall, das Schicksal, sind freilich listige Regisseure. Der weinerliche etwas mimosenhafte Abgang - im Krach mit dem System - passt zum Mann, den man mal den „Anti-Politiker“, mal den „Apo-Präsidenten“ nannte, weil Köhler seit Amtsantritt 2004 mit der Politik, mit den Parteien, den Medien fremdelte, mit einem Wort: Mit dem System.

Gestaltungmöglichkeiten im Amt überschätzt

Es beruhte auf Gegenseitigkeit. Köhler hat zumindest am Anfang die Gestaltungsmöglichkeiten seines Amts überschätzt, hat sich bis in die Niederungen der Parteipolitik (etwa beim Streit über die Bezugsdauer von ALG I) eingemischt, hat Gesetze nicht unterschrieben und sich mit den Kanzlern Schröder und Merkel angelegt. Die Politiker haben ihn wiederum nach Kräften ignoriert und öffentlich gescholten. Nie ist mit diesem Amt so respektlos umgegangen worden wie bei ihm; wobei die Politisierung früher eingesetzt hatte. Bereits sein Vorgänger Johannes Rau war bisweilen darüber irritiert.

Er trat an mit dem Vorsatz, Mut zu machen und die Erneuerung im Land voranzutreiben. Aber er wurde sehr bald ignoriert. Die Bürger haben es gespürt. Als Köhler im Sauerland war, in Brillon, rief ihm eine Passantin zu: „Lassen Sie sich von denen nicht unterkriegen.“ Das ist zwei Jahre her und nun entschieden: Er hat sich unterkriegen lassen. Bis 2014 hätte Köhler noch Zeit gehabt. Gerade auf ihn, auf den weltgewandten Finanzexperten, wäre es jetzt angekommen, auf seinen Rat, auf seine Erfahrung. Aber von Köhler kam wenig.

Der Seiteneinsteiger

Mit seiner Amtszeit verbindet sich wenig Substanzielles. Sein großes Engagement galt Afrika. Seine beste Rede hielt er wohl 2009 zur Finanzkrise. Bei den Bürgern war er sehr beliebt - das macht die Episode in Brillon so bezeichnend -, gerade weil sie Köhler außerhalb des Systems wähnten, wie einen Aufpasser.

Schon die Wahl des Karriere-Beamten - ein Seiteneinsteiger aus dem Dunstkreis der Macht - - war 2004 ein Politikum. Guido Westerwelle hat ganz freimütig von der Nacht der Nächte, vom Ringen der Parteichefs von CDU, CSU und FDP erzählt. Köhler war der Kandidat von Westerwelle und Angela Merkel. „Sie war sehr einsam in ihrem Gremium, und so leicht hatte ich es in meiner Partei zum damaligen Zeitpunkt auch nicht. Hätten wir in der Bundesversammlung Professor Horst Köhler nicht durchgesetzt oder vielleicht erst im dritten Wahlgang, wäre Frau Merkel nicht Kanzlerkandidatin geworden, und ich wäre nicht Parteivorsitzender der FDP geblieben.“ So, genau so, nahm die Personalie ihren Anfang - als Coup von Machtpolitikern. Ihm war eine Rolle zugewiesen: Als Vorbote von Schwarz-Gelb.

Wie verletzend gerade diese Instrumentalisierung war, hat sich keiner gefragt. Genauso wie keiner nach der Kritik an seinem Afghanistan-Interview den Filmriss voraussah und dass er sich als verfolgte Unschuld davon machen würde. Er verbrachte zwar sein Leben in der Politik, aber eigentlich war er fürs Geschäft zu weich. Mit einem Glaskinn stieg er in den Ringe. Seine Kritiker fühlen sich bestätigt, dass er dem Amt politisch nicht gewachsen war. Indes war Köhler deshalb „ein ungewöhnlicher Präsident“, so SPD-Chef Sigmar Gabriel, weil er „nicht in die Schemata gepasst hat.“ Er ist Mensch geblieben, empfindsam und verletzbar. Den Rücktritt legt er als Hilferuf an, pfleglicher, mit dem Amt(sträger) umzugehen.