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Nicht den traditionellen Medien, sondern Bloggern ist die Brisanz der Äußerung von Bundespräsident Horst Köhler aufgefallen, die ihn nun zum Rücktritt bewegte. Ein einmaliger Vorgang von Gegenöffentlichkeit.

Jonas Schaible klang am 25. Mai einigermaßen ratlos. „Bliebe noch die Frage, warum die Medien nicht auf Köhlers Aussagen reagieren?“, grübelte er auf seinem Blog „Beim Wort genommen“. Andere Blogger rätselten über „Das unheimliche Schweigen im (Blätter)Wald“. Einen Tag begann es auf Internetportalen zu rauschen, dann stürmte es im Blätterwald. Jetzt hat dieser Sturm den Bundespräsidenten weggefegt. Ein einmaliger Vorgang. Ein Vorgang, der ohne die kritische, aufmerksame Gegenöffentlichkeit im Internet nicht vorstellbar gewesen wäre.

Redakteuren fällt Brisanz der Aussage nicht auf

Rückblick: Am 22. Mai besucht Horst Köhler überraschend das Bundeswehr-Feldlager in Masar-I-Scharif, Afghanistan. Dort gibt er einem Reporter des Deutschlandfunks ein Interview, in dem er unter anderem sagt, dass das Militär im Notfall auch für die Sicherung freier Handelswege eingesetzt werden müsse. Das Interview wird in den Redaktionen des Deutschlandfunks (Köln) und Deutschlandradios (Berlin) geschnitten und um 12 Uhr gesendet. Im Deutschlandfunk fehlt allerdings die Aussage zu den freien Handelswegen, deren Brisanz fast niemandem auffällt. Nicht den Redakteuren des Senders, nicht den Nachrichtenagenturen. Nur in Politikblogs wie „querblog“ oder „UnPolitik“ erregen sich Autoren, die das Interview im Deutschlandradio gehört haben.

Verschwörungstheorien

Einige Stunden später kochen die ersten Verschwörungstheorien hoch, wie das so oft im Internet der Fall ist. Der Deutschlandfunk habe die umstrittenen Äußerungen aus der MP3-Datei des Interviews geschnitten und in der Transkription des Gespräches weggelassen. Selbstzensur bei einem öffentlich-rechtlichen Sender? Unsinn, sagt Sprecher Dietmar Boettcher. Die Online-Redaktion der beiden Sender habe lediglich die vom Deutschlandfunk gesendete Version des Interviews abgeschrieben, aus der die später so umstrittene Passage herausgeschnitten worden war - mit Selbstzensur habe das nichts zu tun gehabt, eher mit einer falschen Einschätzung.

„Es hat auch keine Intervention von Seiten des Bundespräsidialamtes gegeben“, betont Dietmar Boettcher. In den Tagen danach rumort es weiter im Internet. Immer mehr Blogs und Kommentatoren nehmen sich der Aussagen Köhlers an, kritisieren sie scharf, erregen sich über einen „Verlust der Maskenkontrolle“ des Präsidenten oder seine vermeintliche „imperialistische“ Attitüde und seine „neoliberale“ Vergangenheit als IWF-Direktor.

Medien nehmen sich des Themas an

Und sie wundern sich, warum in den Medien nichts darüber zu lesen ist, beziehungsweise zu sehen ist. Auch Blogger Schaible. Er lässt sich aber nicht auf die mancherorts im Internet übliche generelle Kritik an den Medien ein. „Ich halte den deutschen Journalismus für so gut, dass von der Politik verordnete Maulkörbe keine Wirkung hätten“, schreibt er.

Und tatsächlich: Offenbar, weil etliche Blogger und Internetkommentatoren sie angeschrieben haben, nehmen sich die Medien am 27. Mai des Themas an. Zuerst der Deutschlandfunk, der an diesem Morgen ein Interview mit dem CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz führt. Der Bundespräsident habe sich „missverständlich“ ausgedrückt, sagt Polenz. Vorausgegangen ist dieser Sendung heftige interne Kritik am Umgang mit dem Köhler-Interview. Wenige Stunden später taucht das Thema auf großen Internetportalen auf, inklusive der geharnischten Reaktionen von SPD, Grünen und Linken. Am 28. Mai schließlich berichten etliche Zeitungen über den Vorgang.

Der Rest ist Geschichte.