Brüssel. Das europäische Parlament und die Unterhändler der 27 EU-Staaten einigen sich auf Spielregeln zur Stilllegung von Netz-Zugängen: Dies soll nur nach einer Anhörung des Betroffenen möglich sein. Sogar die Piratenpartei ist mit dem Kompromiss zufrieden. Jetzt müssen noch die Länder zustimmen.
Die EU will die Sperrung von Internet-Anschlüssen nur unter strengen Auflagen zulassen. Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Regierungen einigten sich am Donnerstag auf Regeln zur Wahrung der Verteidigungsrechte betroffener Verbraucher. Die Hürde eines richterlichen Beschlusses für jede Sperrung ließ sich zwar nicht durchsetzen, betroffene Nutzer müssen vor einer Sperrung ihres Anschlusses aber angehört werden. Nur «in dringlichen Fällen», etwa bei Verdacht auf Verbreitung von Kinderpornographie, kann darauf verzichtet werden.
Mit diesem Kompromiss, der noch vom Parlamentsplenum und allen 27 EU-Regierungen gebilligt werden muss, werden den nationalen Behörden Schranken für ihr Vorgehen gegen mutmaßliche Raubkopierer auferlegt. Dies sei «ein Durchbruch für die Bürgerrechte», sagte der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul. Die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin erklärte, der Zugang zum Internet dürfe "nicht willkürlich abgeklemmt werden. Das gilt jetzt europaweit" - zuvor hatten alle beteiligten Staaten individuelle Regelungen. Selbst der Vertreter der Piraten-Partei im Europaparlament, der Schwede Christian Engström, zeigte sich zufrieden: «Es ist ein Kompromiss, aber ich denke, ein sehr guter.»
Richtervorbehalt kann nur national festgeschrieben werden
Kritik kam vom Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur. Eine Abschaltung des Internet-Zugangs ohne richterlichen Beschluss würde es ermöglichen, «außerhalb des ordentlichen Rechtsweges Menschen von einem heute unverzichtbaren Kommunikations- und Informationsstrang auszuschließen», erklärte der Arbeitskreis.
Das Europaparlament hatte sich ebenfalls einen Richtervorbehalt gewünscht, eine entsprechende EU-Vorschrift wäre aber ein unzulässiger Eingriff in die Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten gewesen. Als EU-weiter Mindeststandard wurde stattdessen das Recht auf Anhörung vor Sperrung des Anschlusses festgeschrieben. Die Einführung eines Richtervorbehalts auf nationaler Ebene bleibt möglich.
Die Grünen kündigten an, sie würden die Umsetzung der neuen EU-Vorgaben genau beobachten. Wenn einzelne Regierungen etwa die Ausnahmeklausel für Notfälle missbrauchten, «müssen die Demokraten vor Gericht ziehen», forderte der belgische Grünen-Europaabgeordnete Philippe Lamberts. Ähnlich äußerte sich der Europäische Verbraucherschutzverband BEUC: «Wir werden ein Auge auf die Entwicklungen in allen Mitgliedstaaten haben.» Wenn das Parlamentsplenum und der EU-Ministerrat die neuen Regeln wie erwartet Ende November annehmen, müssten sie bis Mitte 2011 in nationales Recht umgesetzt werden.
Wechsel des Telefonanbieters wird erleichtert
Zusammen mit den Auflagen für Internet-Sperren werden auch Verbesserungen für Telefonkunden in Kraft treten. Die neuen Regeln sind Teil eines umfassenden Gesetzespakets zur Reform der Telekommunikationsmärkte. Es sieht unter anderem vor, dass Verbraucher innerhalb eines Tages den Anbieter wechseln und dabei ihre Telefonnummer mitnehmen können.
Die Reform soll überdies den Ausbau der Breitbandnetze erleichtern, um auch ländliche Regionen mit leistungsfähigen Internet-Anschlüssen zu versorgen. Die Eingriffsrechte der Regulierungsbehörden werden gestärkt. Zudem sollen die nationalen Regulierer in grenzüberschreitenden Fragen künftig gemeinsam entscheiden. Dazu wird eine neue EU-Behörde geschaffen.