Essen. Die Schlacht ist geschlagen, die Wahl entschieden, die Sieger stehen fest. Doch alle reden vom Verlierer. Es ist nicht das einzige Kuriosum dieser Tage. Eine Momentaufnahme der Republik im Nach-Wahl-Stadium.

Guido ist der große Sieger. Da waren sich alle Kommentatoren einig, als am frühen Wahlabend die Ergebnisse über die Bildschirme flimmerten. Im dritten Anlauf hatte es Guido Westerwelle, unumschränkter Herrscher in der künftigen Regierungspartei FDP, geschafft, sich und seine Partei in eine Koalition zu hieven. Und dies mit satten 14,6 Prozent der Wählerstimmen. Das hatte nicht mal sein Ziehvater und Liberalen-Ikone Hans-Dietrich Genscher geschafft.

Große Bühne für die Wahlverlierer

Doch wer nun gedacht hatte, Triumphator Westerwelle würde die TV-Bilder und Schlagzeilen der kommenden Tage beherrschen, sah sich getäuscht. Nur einmal sorgte er für Aufmerksamkeit, als er nämlich bei einer Pressekonferenz vor internationalen Medienvertretern die Bitte eines BBC-Journalisten um eine Antwort in englischer Sprache abschlägig beschied: „Wir sind hier in Deutschland.“ Wenig souverän für den Anwärter auf das Außenministerium.

Da auch Westerwelles künftige Vorgesetzte, Kanzlerin Angela Merkel von der CDU, sich rar machte in den Tagen nach dem Wahlsieg, gehörte die Berliner Bühne fast allein den Verlierern. Die Sozialdemokraten, mit 26 Prozent auf einem historischen Tiefpunkt angelangt, hatten es eilig mit der Neuorientierung. Müntefering weg, Steinmeier fast weg, stattdessen wollen künftig Gabriel, Nahles und Wowereit das Steuer der SPD in die Hand nehmen. Da wurden Fakten geschaffen, so schnell, dass man sich als Beobachter verwundert die Augen rieb. Die Medien waren gleichwohl dankbar für die Schlagzeilen, angesichts der schwarz-gelben Sendepause.

Wenig Gelegenheiten zum Glänzen in Sicht

Was sagt all dies über den Zustand der Politik im Land? Was bedeutet es, wenn Wahlsieger sich nach ihrem Erfolg umgehend zurückziehen wie eine Schnecke in ihr Haus, gleichsam als suchten sie Deckung vor wem auch immer? Hat die Macht zumindest einen Teil ihres Reizes verloren, noch bevor die Sieger so richtig im Amt sind? Wenigstens so viel ist klar: Das Regieren in den nächsten vier Jahren wird wenig Gelegenheit geben zum Glänzen.

Dafür sorgt allein schon die finanzielle Situation. Die Zeit des Verteilens von Wohltaten ist ohnehin längst vorbei, doch die Krise hat der Republik eine Rekordverschuldung beschert, die ein stures „Weiter so“ unmöglich macht. Die FDP wird ihre vollmundigen Wahlversprechen von Steuersenkungen nach und nach einsammeln müssen. Mehr als hier und da ein paar mehr oder weniger kosmetische Korrekturen mit Symbolwert darf der Bürger nicht erhoffen. Stattdessen werden Westerwelle und seine Leute versuchen müssen, ihr liberales Profil an anderer Stelle zu schärfen; etwa bei den Bürgerrechten und beim Datenschutz.

Die CDU hat sich sozialdemokratisiert

Und auch Angela Merkels CDU ist weit davon entfernt, wie 2005, als die Christdemokraten kurzzeitig vom „Durchregieren“ träumten, glasklare konservativ-wirtschaftsfreundliche Politik durchzusetzen. Die CDU ist längst sozialdemokratischer geworden als viele Christdemokraten es zugeben wollen. Will die Union nicht Gefahr laufen, wie die SPD den Status einer Volkspartei zu verlieren, darf sie nicht auf sozialpolitische Rambo-Politik setzen. Angela Merkel weiß das und wird danach handeln.

Somit hat die Politik in diesen Tagen zwischen Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb weder einen großen Aufbruch, noch einen dramatischen Umbruch zu bieten. 1969 hatte der SPD-Kanzler Willy Brandt mit der mutigen Parole „Mehr Demokratie wagen“ den Muff der Adenauer-Republik endgültig vertrieben; 1982/83 reklamierte Helmut Kohl für seine christlich-liberale Regierung eine „geistig-moralische Wende“ und 1998 weckte SPD-Mann Gerhard Schröder mit seinem rot-grünen Projekt viele Hoffnungen vor allem bei jungen Menschen.

Die künftige Regierung Merkel/Westerwelle wird vor allem eines leisten müssen: Den Laden zusammenhalten. Für fette Schlagzeilen reicht das nicht. Aber die, darauf darf man getrost zählen, wird die SPD schon liefern.