Berlin. Am kommenden Montag geht es los. Dann beginnen die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP in der Hauptstadt. Noch werden die richtigen Rezepte gesucht, einige lässt Chef-Köchin Angela Merkel jedoch im Schrank: Mindestlöhne, Kündigungsschutz und Gesundheitsfonds etwa.

Dabei geht das Ganze sozusagen von nordrhein-westfälischem Territorium aus. Am Montag werden sich vor der NRW-Landesvertretung die schwarzen Aktenrollkoffer drängeln. Die Chef-Delegationen von Union und FDP, 27 Köpfe an der Zahl, beginnen dann in dem gläsernen Bau am Berliner Tiergarten mit dem Koalitionspoker, der bis zum Jahrestag des Mauerfalls am 9. November zügig in eine schwarz-gelbe Bundesregierung einmünden soll.

Sagt jedenfalls die Kanzlerin, also die Chef-Köchin in dieser Versuchsanordnung, und legt vorsorglich schon mal fest, welche Rezepte getrost im Schrank gelassen werden können: Mindestlöhne. Kündigungsschutz. Gesundheitsfonds. Dem Kellner, der FDP, gefällt das natürlich nicht. „Für uns gilt Vorrang des Inhalts vor Tempo”, sagte gestern einer aus dem Unterhändler-Tross der WAZ, „und Tabus stören da natürlich nur.”

Geschacher um Positionen

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mischt mit beim Koalitions-Poker. (c) Imago
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mischt mit beim Koalitions-Poker. (c) Imago © imago stock&people

Geschichte wiederholt sich also doch. Fast wortgleich äußerte sich vor 15 Jahren der damalige FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms mitten in den 94er-Koalitionsverhandlungen mit der damaligen CDU von Helmut Kohl. Getrieben von der Sorge, die liberale Handschrift könnte sich am Ende des Geschachers um Positionen und Posten im Schriftzug der FDP unter dem Koalitionsvertrag erschöpfen.

Solms, inzwischen 69, ist diesmal wieder dabei. Genauso wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die seinerzeit der Rechts- und Innenpolitik ihren Stempel aufdrücken wollte und am Ende wegen des Großen Lauschangriffs als Justizministerin zurücktrat. Das soll diesmal nicht wieder passieren.

Muskelspiele

Anders als 1994 sehen sich die Liberalen mit einem Wahlergebnis von annähernd 15 Prozent in einer weitaus komfortableren Verhandlungsposition. So erklären sich auch die ersten verbalen Revier-Markierungen in der Sache – immer versehen mit dem Zusatz: „Wir verhandeln ergebnisoffen.” Die FDP will Steuerentlastungen. Die FDP will den Kündigungsschutz lockern. Die FDP will den Gesundheitsfonds schleifen. Die Union unter Angela Merkel will all das nicht, jedenfalls nicht so, jedenfalls nicht heute. Und nun?

Maximalforderungen sind Muskelspiele. Sie gehören zum Repertoire jeder Koalitionsverhandlung. Markige Ankündigungen aus dem Wahlkampf sind noch stets auf eine ernüchternde Realität getroffen. So manche „Wahlgeschenke” der FDP auf dem Berliner Packtisch, sagen Beobachter im Konrad-Adenauer-Haus der CDU, werden dort noch lange liegen. Welche?

Geringe Chancen auf Verwirklichung

Nur ein Beispiel: Im Wahlprogramm der Liberalen ist das Kapitel über Bürger- und Freiheitsrechte das zweitlängste; nach dem zur Marktwirtschaft. Autorin: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Wer es liest, ahnt, wo das FDP-Verhandlungsteam ansetzen wird: keine gesperrten Seiten im Internet. Keine Vorratsdatenspeicherung; jedenfalls nicht solange, bis das Bundesverfassungsgericht darüber entschieden hat. Keine Ausweitung der nachträglichen Sicherheitsverwahrung für Straftäter. Keine Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechtes. Kein Ausbau staatlicher Abhörmaßnahmen. Und: Kein Einsatz der Bundeswehr im Innern.

Chancen auf Verwirklichung? „Gering”, sagte ein Innenpolitiker der Union der WAZ, „wir werden mit Sicherheit nicht alles zurückdrehen.” Alles, was die FDP gewinnen könne, seien nicht nur auf diesem Feld Zusicherungen, man werde dieses in Erwägung ziehen und jenes prüfen. Schließlich seien Koalitionsverhandlungen das, was sie immer waren: ein hübscher Strauß von Absichtserklärungen, die aufzeichnen, was angestrebt und was vermieden werden soll.