Berlin. Vor allem der linke Flügel der SPD will verhindern, dass Frank-Walter Steinmeier der neue große Mann der SPD wird. Zwar wählte ihn die neue Bundestagsfraktion in einer turbulenten Sitzung zu ihrem Vorsitzenden, doch neuer Parteichef wird Steinmeier nicht.

Er setzt sich einfach an die Spitze der Bewegung. Bevor er zum Fraktionschef gewählt wird, schenkt Frank-Walter Steinmeier den 146 SPD-Abgeordneten reinen Wein ein. Es sei sein Vorschlag, „dass wir die Neuordnung der Partei auf mehreren Schultern verteilen”. Damit ist klar: Der gescheiterte Kanzlerkandidat strebt nicht den Doppelvorsitz von Fraktion und Partei an.

Dazu hätte es einer Kampfkandidatur bedürft. Denn: Zuvor hatten sich der scheidende Umweltminister Sigmar Gabriel und Andrea Nahles arrangiert: Er soll Parteichef, sie Generalsekretärin werden. Nahles wollte den Job schon vor vier Jahren und ist gescheitert. Nun versucht sie es im zweiten Anlauf.

Nur einer sträubt sich: Franz Müntefering. Vor der NRW-Landesgruppe pochte der scheidende SPD-Chef gestern Mittag noch auf seinen Zeitplan und warnte vor einer Lösung „im Hinterzimmer”. Andere wissen die Zeichen besser zu deuten. Der bisherige Generalsekretär Hubertus Heil und Parteivize Peer Steinbrück kündigen ihren Verzicht an.

Nun wird man Müntefering allenfalls pro forma gerecht: In den nächsten Wochen wird die SPD-Führung einen Vorschlag machen. Gewählt wird die neue Spitze von einem Parteitag erst Mitte November in Dresden. Aber so viel Zeit wollen sich Nahles und Gabriel nicht lassen.

Kraft in NRW stärken

Es war Olaf Scholz, der sie zusammenbrachte, dazu den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit. Sie sind die vier bestimmenden Figuren. Scholz und Wowereit sollen nämlich SPD-Vizechefs werden. Dazu gestellt sich die Chefin der NRW-SPD, Hannelore Kraft. Die Landespartei ist ein Machtfaktor und steht 2010 vor einer Wahl; zwei Gründe, Kraft zu stärken.

Steinmeier folgt der Stimmung. Kritisiert hatte ihn im Präsidium zwar keiner. Aber der Mann hat aufmerksam zugehört.

Ersehnter Kurswechsel

Bei der Analyse der SPD-Niederlage fielen fünf Stichworte, die alle mit ihm zu tun haben: Hartz-Gesetze, ALG I, Rente mit 67, der Einsatz in Afghanistan, die Abgrenzung gegenüber der Linkspartei. Er wolle helfen. Aber man müsse ihn helfen lassen, warf der Spitzenkandidat dünnhäutig in die Runde hinein. Es war keine Drohung mit Rücktritt.

Doch der Verlauf der Sitzung am Montag gibt ihm zu denken. Die SPD sehnt einen Kurswechsel herbei. Als er die Witterung bei der Fraktion übernimmt und dort dieselbe Stimmung spürt, da ist Steinmeier sofort klar: Der Parteivorsitz ist für ihn nicht drin.

Steinmeier kann nur nahe bei sich sein, wenn er nicht die SPD-Politik der letzten elf Jahre dementieren muss. Die sind ein Teil seiner politischen Biografie. Gerade der Zwang zu einem Minimum an Kontinuität und Stabilität spricht für Steinmeier als Fraktionschef. Im Bundestag kann die SPD nicht alles in Bausch und Bogen verdammen, was sie in vier Jahren große Koalition beschlossen hat.

Der Wunsch der Partei ist – ein Kurswechsel. Mutmaßlich ist das die Stimmung, die Steinmeier in Dresden unter den Delegierten des SPD-Parteitags antreffen wird. Er war unsicher und hat zweimal darüber geschlafen, ob er sich den Job wirklich antun soll. Es war eine Nacht zu viel. Da hatten Gabriel und Nahles schon erste Fakten geschaffen.

Nahles, Gabriel, Steinmeier: Drei Köpfe, aber wer hat den Hut auf? Es ist eine typische Lösung - alle Flügel werden bedient und ruhig gestellt. Die Gemäßigten könnten sich um Steinmeier scharen, die Linken um Nahles, die Netzwerker um Gabriel. Damit wäre quasi die innerparteiliche Machtbalance gewahrt. Es ist allerdings auch eine Situation, wie sie die SPD aus den 90er Jahren kennt, unter Björn Engholm oder unter Rudolf Scharping: Allzu viele Machtzentren und auch allzu viele Interessengruppen.