Berlin. Martin Sellner ist führende Figur der Neurechten. Er prägt Propaganda der Radikalen. Dabei inszeniert er vor allem eines: sich selbst.
Martin Sellner macht es wie immer: Er inszeniert sich. In dieser Woche hat die Stadt Potsdam ein Einreiseverbot gegen den Rechtsextremisten aus Österreich erwirkt. Und Sellner präsentiert das Schreiben der deutschen Behörden stolz bei einer „Pressekonferenz“ auf seinem Telegram-Kanal und bei X, ehemals Twitter. Dort schauten nach seinen Angaben 1000 Menschen live zu.
Der Oberbürgermeister der brandenburgischen Hauptstadt hatte sich für das Einreiseverbot starkgemacht, da Sellner Ende November in Potsdam an einer Tagung von extremen Rechten, AfD-Politikern und CDU-Mitgliedern teilgenommen und dort sein Konzept der „Remigration“ vorgestellt hatte. Recherchen über das Treffen hatten bundesweit Demonstrationen gegen Rechtsextremismus ausgelöst. Die Idee der „Remigration“ sieht die Ausweisung Hunderttausender Menschen mit Fluchtgeschichte oder Migrationshintergrund vor, es ist ein Konzept, das auf völkisch-rassistischen Denkmustern aufbaut.
Wer ist Martin Sellner, gegen den nun die Bundesrepublik mit einer der schärfsten Maßnahmen des Rechtsstaats vorgeht, der Einschränkung der Reisefreiheit? Sellner ist 1989 in Wien geboren, wuchs laut Recherchen von Rechtsextremismus-Experten als Sohn eines Homöopathen und einer Englischlehrerin auf. Schon früh, als Jugendlicher, knüpft er Kontakte zur österreichischen Neonazi-Szene.
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Bekannt durch Medienberichte wurde Martin Sellner vor knapp zehn Jahren als Anführer der sogenannten „Identitären Bewegung“ (IB) in Österreich. Er stieg schnell zu einer führenden Figur der Gruppierung und der Neuen Rechten in Europa auf. Sellner ist umtriebig, vernetzt sich mit Ideologen der Szene, vor allem ist er sehr eng verbunden mit Götz Kubitschek, einem rechtsextremen Verleger und Publizisten. An dessen „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda (Sachsen-Anhalt), einer Art neurechter Denkfabrik, taucht Sellner immer wieder auf.
Sellner will Radikalismus „hip“ machen, trägt „Undercut“, lässige Großstadtkleidung und Brille
Sellner trägt keine Springerstiefel und keine Bomberjacke, der „Look“ der Neonazi-Szene in den 1990er-Jahren. Sellner will Rechtsradikalismus „hip“ machen, trägt „Undercut“, oft lässige Großstadtkleidung und Brille mit dickem Rand. Die „Identitären“ grenzen sich auch begrifflich von der traditionellen Neonazi-Szene ab, betreiben keinen Führer-Kult, rechtfertigen nicht den Holocaust. Die Neurechten, und Sellner zählt mit mehreren Publikationen etwa in Kubitscheks Verlag „Antaios“ zu ihren Schlüsselfiguren, propagieren einen „Ethnopluralismus“. Was intellektuell klingt, ist eine verschrobene Version von getrennten „Rassen“. Jede Ethnie soll in „ihrem Lebensraum siedeln“.
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Zentraler Begriff im Propaganda-Repertoire der Neurechten ist auch: Remigration – ein Begriff, der schon für das 19. Jahrhundert freiwillige Massenrückwanderungen in Heimatländer beschreibt. Die Neue Rechte aber hat diesen Begriff adaptiert und zu einem rechten Kampfbegriff geformt. Das Ziel auch hier: Menschen mit vor allem muslimischer Zuwanderergeschichte sollen aus Europa weichen, Sellner und Co. wollen eine kulturelle Hegemonie einer „weißen Ethnie“ etablieren. Remigration ist am Ende eine verkappte Version eines alten Neonazi-Slogans: „Ausländer raus“.
Die Neue Rechte setzt weniger auf Demonstrationen, sondern mehr auf „Aktionen“. Was die „Identitären“ nutzen, haben sie von früheren Kampagnen kopiert, etwa von Umweltschützern: Sie stiegen auf das Brandenburger Tor und hissten ein Banner mit ihrer Propaganda. Gerade erst besetzten sie in Wien die EU-Agentur für Grundrechte. Die Gruppierung ist nicht groß, zählt in Deutschland ein paar Hundert Mitglieder. Und doch fallen sie mit ihren Aktionen auf, Medien berichten regelmäßig. Sellner hat sich mittlerweile aus der Bewegung zurückgezogen – und doch bleibt er eine prägende Figur der rechtsextremen Szene.
Identitäre Bewegung: Sellner ist eng vernetzt mit Mitgliedern der AfD in Deutschland
Was Sellner geschickt nutzt, sind die sozialen Medien. Auf dem Messengerdienst Telegram hat er knapp 70.000 Follower, er nutzt aber auch Nischen-Netzwerke wie „Odysee“. In Videos verbreitet er seine Ideologie, inszeniert sich und die Neurechte als „Opfer“ und „Ausgegrenzte“ des „Systems“, zuletzt etwa, als die Schweizer Polizei Sellner festhielt und seine Teilnahme an einem Treffen der rechtsextremen Gruppierung „Junge Tat“ verhinderte.
Immer wieder lässt Martin Sellner private Details aus seinem Leben in die politischen Videos einfließen, etwa, dass er sich gerade um sein kleines Kind kümmere und daher nur kurz Zeit für ein Statement habe. Sellner ist längst zu einer Marke der neurechten Szene gewachsen. Mittlerweile ist er auch mit der „Alternative für Deutschland“ (AfD) gut vernetzt. Als nun das Einreiseverbot gegen Sellner ausgesprochen wurde, bekam er gleich Unterstützung von Mitgliedern der AfD, etwa von Jan Wenzel Schmidt, Bundestagsabgeordneter der AfD.
In einer vorherigen Version hatten wir berichtet, dass Jan Wenzel Schmidt Landesvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt ist und bei dem sogenannten „Vernetzungstreffen“ unter anderem mit Martin Sellner Ende November in Potsdam teilgenommen hat. Das ist nicht korrekt. Er ist Generalsekretär der Landespartei. Ein Mitarbeiter von Jan Wenzel Schmidt war laut Recherchen von „Correctiv“ bei dem Treffen dabei. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.