Reinsberg/Berlin. Kaufen Rechtsextremisten Immobilien, werden unbescholtene Orte zu Szenetreffs. In Sachsen stellen sich Anwohner den Rechten entgegen.
Das Schloss liegt da wie ein Fels in einem Meer aus Bäumen. Der helle Stein schimmert matt in der Maisonne, die grauen und roten Dachziegel glänzen. Eine schmale Brücke führt zum Eingangstor. „Schloss Reinsberg“ ist über die Säulen graviert. Gras wächst aus den Fugen der Steinplatten vor dem Tor.
In den Gewölben drin gebe es ein Schwimmbad, eine Küche mit Edelstahleinbauten, ein Kaminzimmer, das berichten Anwohner. Auf Fotos sind rote Fliesen mit weißen Kronen zu sehen. Doch Zutritt zum Schloss gibt es nicht. Draußen vor den Steinmauern und den Bäumen versperren Metallzäune den Eingang zum Gebäude.
Seit Jahren passiert nichts mit dem Schloss in Reinsberg
„Betreten des Grundstückes verboten!“, steht auf Schildern. Seit vielen Jahren passiert nichts mit dem Schloss, hier in der sächsischen Provinz zwischen Dresden und Leipzig. Das Restaurant ist dicht, Gras wächst im Innenhof. Der Herrensitz an einem Steilhang über dem Fluss Bobritzsch, schon im 12. Jahrhundert erwähnt, er droht zu verfallen.
Mehrfach wechseln die Besitzer des Schlosses, zuletzt gehört es zwei Spaniern. Aber sie wollen es loswerden. Neue Investoren kommen, schauen sich um, gehen wieder. Im vergangenen Sommer aber wird es ernst.
Ein Geschäftsmann aus Leipzig taucht auf
Ein Geschäftsmann aus Leipzig, der Geld mit Software-Produkten verdient, taucht am Schloss auf. Er kommt nicht allein. Anwohner berichten, dass an diesem Tag mehrere andere Personen anreisen. Offenbar bringt der Investor gleich Handwerker mit. Mit bei der Besichtigung auch: mindestens ein, womöglich zwei Mitglieder der selbsternannten „Identitären Bewegung“, eine Organisation, die durch Stimmungsmache gegen Zuwanderer und Flüchtlinge auffällt – und die der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft.
Die Besichtigung markiert den Beginn einer Geschichte, an der sich vieles ablesen lässt. Zum Beispiel, wie professionell Rechtsextreme mittlerweile versuchen, Strukturen auch mit Hilfe von eigenen Grundstücken aufzubauen. Es ist aber auch eine Geschichte, die zeigt, dass engagierte Bürger die Rechten vertreiben können. Die Gefahr einer Landnahme abwenden können.
Die „Identitäre Bewegung“ war interessiert
Nach Informationen unserer Redaktion wollen die „Identitären“ Teile des Schlosses von dem Geschäftsmann mieten. Der sächsische Verfassungsschutz bestätigt auf Nachfrage: „Beim Erwerb von Schloss Reinsberg traten bekannte Angehörige der Identitären Bewegung in Erscheinung.“ Die Namen der beiden Extremisten sind unserer Redaktion bekannt. Der Verfassungsschutz sagt: „Die Identitäre Bewegung wollte dieses leerstehende Schloss offenbar als Jugendtreff und Hotel nutzen.“
Das Schloss Reinsberg ist kein Einzelfall. Immer wieder kaufen, mieten, pachten Rechtsextremisten Immobilien, rund 150 nutzt die Szene bundesweit. Mal für Konzerte von Rechtsrock-Bands oder als Schulungszentrum, mal für Kampfsport-Events oder Vorträge.
In Sachsen steigt die Zahl der rechtsextremen Immobilien
Eine Umfrage unserer Redaktion zeigt: In allen Bundesländern außer Bremen besitzen Neonazis Grundstücke und Gebäude. In Sachsen-Anhalt listen die Innenbehörden 22 Orte – ein deutlicher Anstieg. So waren es Anfang 2019 noch neun. Thüringen zählt aktuell 16 von Rechtsextremen genutzte Immobilien.
Unter den Immobilien sind Gaststätten, alte Höfe oder Betriebe, Wohnhäuser und Gebäude mit Büros. Manche sind seit Jahren in der Hand von Extremisten, so wie das „Thinghaus“ in Mecklenburg-Vorpommern oder das Büro der rechtsextremen Splitterpartei „Der III. Weg“ im sächsischen Plauen.
In Sachsen und Thüringen sucht der neurechte Rap-Musiker Chris Ares gerade nach „Paten“ für sein „Chris Ares Dorf“. Er wolle in einem Ort 20 Familien ansiedeln. Günstig solle es sein, mit Landbau und Tierwirtschaft. „Ich möchte, dass dort Patrioten leben“, schreibt der Rapper.
„Neonazis gehen gezielt nach Sachsen und in andere ostdeutsche Bundesländer“
Vor allem der Osten Deutschlands ist Hochburg der rechten Landnahme. Aber nicht nur: In Bayern registrieren die Sicherheitsbehörden 21 Immobilien in rechter Hand, in Nordrhein-Westfalen Gebäude in „geringer zweistelliger Zahl“. In den Metropolen Hamburg und Berlin sind es dagegen nur wenige.
In Sachsen, dort wo das Schloss Reinsberg liegt, registrieren die Sicherheitsbehörden ebenfalls einen Anstieg von Immobilien, die in rechtsextremer Hand sind. 27 waren es 2019, 2018 noch 22. „Wir erleben gerade, wie dynamisch das Immobiliengeschäft ist. Und wir nehmen wahr, wie die rechtsextreme Szene darauf anspringt“, sagt Henry Krentz im Gespräch mit unserer Redaktion. Er ist Rechtsextremismus-Experte beim Verfassungsschutz in Sachsen. „Neonazis und extreme Rechte gehen gezielt nach Sachsen und andere ostdeutsche Bundesländer und suchen vor allem im ländlichen Raum nach Grundstücken und Gebäuden.“ Krentz ist besorgt, der Trend nehme zu.
Knapp 600.000 Euro für das Schloss
In Reinsberg kommt der Leipziger Investor mehrfach vorbei. Im Sommer 2019 einigt er sich mit den Besitzern aus Spanien, unterzeichnet einen Kaufvertrag. Für knapp 600.000 Euro soll das Schloss in seinen Besitz übergehen. Doch in der kleinen Gemeinde Reinsberg herrscht bereits Alarmstimmung.
Nach der Besichtigung mit Kadern der Identitären meldet sich ein Anwohner beim Bürgermeister. Er habe die Information bekommen, dass Rechte offenbar das Schloss nutzen wollen, sie seien bei dem Termin mit dem Geschäftsmann dabei gewesen, jemand hätte sie erkannt.
In Reinsberg zeigt sich ein Dilemma, in dem viele deutsche Gemeinden stecken: Einerseits sucht der Ort händeringend jemand, der sich um das Schloss kümmert. Der Denkmalschutz wurde über Jahre vernachlässigt, Geld in der Kasse der Kommune fehlt.
Im Ort wachsen bei Anwohnern die Bauchschmerzen
Andererseits wachsen die Bauchschmerzen. Was Sicherheitsexperten seit vielen Jahren beobachten, ahnen auch manche Anwohner in Reinsberg: Ist das Schloss erst einmal in der Hand von Rechtsextremisten, könnte es über viele Jahre zum Treffpunkt der Szene werden. Zu einem Ort radikaler Ideologien. Extremisten könnten gerade das Herzstück des Ortes besetzen. Ganz legal.
In Reinsberg machen sich im vergangenen Sommer einige Anwohner auf, den Verkauf des Schlosses zu verhindern – und damit die mögliche Vermietung an extreme Rechte. Mitten in Sachsen, dort, wo die ausländerfeindliche Pegida-Bewegung ihre Hochburg hat, dort wo die AfD Rekordergebnisse einfährt und es immer wieder zu Übergriffen von Neonazis kommt – hier nun stellen sich einige entschlossene Reinsberger der rechten Landnahme entgegen.
Die Anwohner wollen nicht öffentlich reden, sie haben Angst vor den Rechten
Reporter unserer Redaktion haben in den vergangenen Wochen mit Anwohnern gesprochen, mit Menschen, die das Schloss gut kennen und Einblicke in die Gemeindepolitik haben. Mit Reinsbergern, die aufgebracht und sorgenvoll auf die Übernahmeversuche der Rechtsextremen blickten. Und andere, denen das egal war. Manche erzählten, was sie über den Fall wissen. Andere schwiegen.
Viele wussten nichts genaues, hörten nur Gerüchte. Aber niemand will zitiert werden, niemand will mit Namen in der Zeitung stehen. Einige sagen, sie befürchten, dass die Rechten wiederkommen könnten – und dann vor ihrem Haus stehen würden.
Der Geschäftsmann aus Leipzig lehnt ein Gespräch ebenfalls ab, lässt stattdessen seinen Anwalt antworten, verneint Bezüge zu extremistischen Akteuren – und droht mit juristischen Schritten, sollte man doch berichten.
Auch im Spreewald wächst die Angst vor einem rechten Szenetreff
Genauso schweigt der Bürgermeister von Reinsberg. Dabei beschreiben mehrere Menschen aus dessen Umfeld den CDU-Politiker als „sehr alarmiert“, als er die Nachricht über eine mögliche rechte Landnahme in dem Ort hört. Das berge Risiken für den Zusammenhalt in der Gemeinde. Eine Gefahr.
Wie schwierig es ist, die Immobilienkäufe durch Extremisten zu verhindern, zeigt ein anderer Fall: Vor wenigen Wochen kaufte ein Mann mit engen Kontakten in die Neonazi-Szene einen Gasthof im Spreewald in Brandenburg und pachtete dort auch ein Hotel. Die Geschäfte liefen über die Bühne – ohne dass die Sicherheitsbehörden zunächst etwas bemerkten. Und schon nach wenigen Wochen warnen die Innenbehörden, dass unmittelbar nach Lockerung der Corona-Maßnahmen der Gasthof von zahlreichen Anhängern der rechtsextremistischen Szene aufgesucht worden sei.
Das Land lehnt einen Kauf ab – die Gemeinde muss die Sache allein stemmen
Wird auch Reinsberg bald zum Szenetreff? Im Ort sehen Anwohner und Politiker noch eine Chance. Der Staat kann das Schloss selbst erwerben. Rechtlich ist dieses Vorkaufsrecht festgeschrieben, wenn im öffentlichen Interesse ist, dass ein Grundstück oder Gebäude im Besitz der Gemeinschaft bleiben soll. Wenn es als Denkmal erhalten bleiben müsste.
Zum einen hat die Landesverwaltung diese Möglichkeit. Doch im Fall Reinsberg lehnt Sachsen einen Kauf des Schlosses ab. Die klamme Gemeinde muss den Kauf nun alleine stemmen.
Auch die Sicherheitsbehörden sind in den Wochen nach der Besichtigung des Schlosses durch „Identitäre“ alarmiert. Uniformierte und Kriminalbeamte in Zivil schauen sich das Schloss an, gehen durch die Räume. Und sie befragen Menschen im Ort, die etwas von den Plänen des Verkaufs und über die Vermietung wissen könnten. Auch Fotos von den „Identitären“ bringen die Polizisten mit, fragen vor Ort nach, wer die Personen identifizieren kann. Mit dabei ist auch die Extremismus-Beauftragte des Landkreises. Ein Gespräch zu dem Fall lehnt sie ab.
Neonazis ziehen dorthin, wo die Mietpreise günstig sind – und der Widerstand schwach
Der Verfassungsschutz schaltet sich ebenfalls ein. Experte Krentz sagt heute, dass „gerade durch die Razzien, die Verbotsverfahren und die zahlreichen Ermittlungen“ die Rechtsextremen unter Druck seien. Um dieser Verfolgung zu entgehen, weiche die Szene auch auf das Land aus. „Dorthin, wo die Miet- und Kaufpreise günstig sind und die Zivilgesellschaft schwach ist. Und dorthin, wo sie auch Zustimmung und Sympathie erhoffen.“
Vorbild für viele deutsche Rechte ist die neofaschistische italienische „Casa Pound“, eine Gruppierung, die bereits vor fast 20 Jahren mit einer Hausbesetzer-Aktion in Rom für Aufsehen sorgte. Strategien und Protestformen schauten sich europaweit zahlreiche Neonazis ab, vor allem aber die „Identitäre Bewegung“. Ihr Ziel: ein Kulturkampf von rechts.
„Patriotisches Hausprojekt“ in Halle muss weichen
Schnell baute die Casa Pound ihren Immobilienbesitz aus, verbreitete ihre Ideologie über einen Buchladen, ein Konzert-Areal, ein Kneipe. Sogar als Partei formierte sich die rechtsextreme Organisation.
Auch die „Identitäre Bewegung“ nutzt mehrere Gebäude bundesweit. In einem Mietshaus in Rostock steuert sie laut Innenbehörden ihre Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern. Mitten im Universitätsviertel in Halle hatten die Rechten ein „patriotisches Hausprojekt“ gegründet. Nach etlichen lautstarken Gegenprotesten, aber auch Farbbeutelattacken und Auseinandersetzungen mit Linksradikalen sind die „Identitären“ nun gewichen. Sollte Reinsberg ihr neuer Stützpunkt werden?
Versuche unserer Redaktion, mit den beiden „Identitären“ ins Gespräch zu kommen, scheitern. Anfragen bei der „Bewegung“ und des ihr nahestehenden Vereins „Ein Prozent“ bleiben unbeantwortet, ebenso ein Fragenkatalog, den unsere Redaktion per Direktnachricht an die Kader beim Kurznachrichtendienst Twitter schickt. Eine persönliche Nachfrage an dem Haus in Halle läuft ins Leere.
Szenekenner rechnen die „Identitären“-Kader zum inneren Kreis der Bewegung
Dabei sind die beiden am Schloss interessierten „Identitären“ sonst weniger schweigsam. Szenekenner rechnen sie zum inneren Kreis der rechtsextremen Bewegung zu, die schon mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie der Besetzung des Brandenburger Tores in Berlin bildgewaltig aufgefallen ist.
Auch die beiden „Identitären“, die offenbar das Schloss in Reinsberg nutzen wollten, fielen in der Vergangenheit mit Aktionen der Gruppe auf, verfassten Propagandamaterial.
Immer wieder, das zeigen Recherchen unserer Redaktion, agieren Neonazis verdeckt, wenn sie Immobilien kaufen. Geben sich nicht zu erkennen: keine Szene-Kleidung, keine auffälligen Tattoos, keine T-Shirts mit rechten Parolen. Man gebe stattdessen vor „unpolitische Sportveranstaltungen“ auszutragen, oder „private Geburtstagsfeiern“, analysiert etwa der Hessische Verfassungsschutz. Die Extremisten würden sich für den Kauf einer Immobilie zudem „privater Dritter“ bedienen, die den Sicherheitsbehörden nicht als Szeneangehörige bekannt seien, berichtet das Thüringer Innenministerium.
„Das waren üble Monate“
Einige Anwohner in Reinsberg müssen dann auch erst einmal im Internet recherchieren, wer hinter der „Identitären Bewegung“ steckt und wer die möglichen neuen rechten Mieter des Schlosses sein sollen, schauen Propaganda-Videos auf Youtube, scannen Facebook-Profile. „Das waren üble Monate, wenn man sich diese Beiträge anschaut und sieht. Uns ging es beschissen dabei“, sagt einer der Anwohner.
Die Gemeinde zieht ihren Plan durch, auch wenn das Budget der Kommune massiv strapaziert wird. 600.000 Euro legt Reinsberg bereit für Kauf, Nebenkosten und Reparaturen. Im Amtsblatt vom Oktober 2019 ist es nur ein kleiner Eintrag, Beschluss Nummer VII/04/2019-26.
Doch dahinter, so berichten es Menschen, die involviert waren, steht ein Ringen um Budgets, um Denkmalschutz, um Optionen zum Kauf und Verkauf und zur Nutzung des Schlosses. Über Monate treffen sie sich mehrmals in der Woche, lassen sich rechtlich beraten, tauschen sich mit dem Bürgermeister aus. Immer mit dabei: die Angst, dass am Ende doch die Rechten ins Schloss einziehen könnten. Mittlerweile, fast ein Jahr später, ist der Kauf rechtlich unanfechtbar.
Am Ende half der Zufall im Kampf gegen die Rechtsextremen
In einigen Bundesländern gibt es staatliche Informationsstellen, die Gemeinden über rechtsextreme Immobilienkäufe aufklären. In Bayern allein berieten die Behörden 70 Kommunen in Fällen, in denen Neonazis Grundstücke kaufen oder mieten wollten. Oder schon im Besitz waren – ohne dass es jemand merkt.
Einzelne Bundesländer wie Hessen berichten von Fällen, in denen Gemeinden durch das Vorkaufsrecht einen Verkauf an Extremisten verhindern konnten. Doch noch mehr Innenministerien geben an, wie schwer es sei, diese Käufe rechtzeitig zu erkennen.
Und was nutzt ein Vorkaufsrecht, wenn die Gemeinde kein Geld für den Kauf hat? So zeigt der Fall Reinsberg, dass es am Ende wohl nur ein Zufall war, der eine Nutzung des Schlosses durch Extremisten verhindert hat. Jemand hatte die beiden „Identitären“ zufällig bei der Besichtigung erkannt. Wer das war, erzählen die Beteiligten im Ort nicht. Auch um ihn zu schützen.
Noch immer sucht die Gemeinde Reinsberg nach einem Investor
Der Fall Reinsberg zeigt aber auch, wie es durch den Einsatz von Anwohnern und Lokalpolitikern gelingt, eine rechte Landnahme zu stoppen. Jetzt blicken Beteiligte in die Zukunft. Im Ort wünscht man sich ein offenes Haus, mit Restaurantbetrieb wie einst. Vielleicht ein Museum, eine Begegnungsstätte. „Nach all den Jahren soll das Schloss wieder das Herz der Gemeinde werden“, sagt ein Anwohner.
Doch der Weg dahin ist weit. Mehrere Millionen Euro würde nun wohl noch einmal die Sanierung des alten Bauwerks kosten, durch den Denkmalschutz sind die Auflagen hoch, das Dach muss erneuert werden, die Regenrinnen, die Abflüsse. Die Gemeinde kann das nicht finanzieren. Sie braucht noch immer einen Investor.