Berlin. Die AfD rückt immer weiter nach rechts, ist aber beliebter als je zuvor. Wie kann das sein? Ein Rechtsextremismus-Experte im Interview.
Die AfD ist im Höhenflug, bei Umfragen erreicht sie immer neue Rekordwerte. Gleichzeitig bewegt sie sich immer weiter nach rechts. So sorgte zuletzt ein Geheimtreffen rechter Fanatiker, an dem auch AfD-Mitglieder teilnahmen, für reichlich Schlagzeilen. Zudem soll AfD-Chef Chrupalla vor einem rechtsextremen Netzwerk aufgetreten sein.
Wie kann es angesichts solcher Meldungen sein, dass die AfD immer mehr Anhänger findet? Warum ist die Partei so erfolgreich? Und wer sind die Menschen, die AfD wählen? Der Politologe und Rechtsextremismus-Experte Carsten Koschmieder von der Freien Universität Berlin gibt Antworten.
Die AfD hat sich in Deutschland etabliert. Sehen Sie eine Chance auf eine Regierungsbeteiligung?
Carsten Koschmieder: Nein. Das ist relativ eindeutig. Die AfDist eine in großen Teilen rechtsextreme Partei und wird auch von allen anderen Parteien so gesehen. Um an einer Regierung beteiligt zu werden, müsste die AfD ja Koalitionspartner finden oder die absolute Mehrheit erreichen. Beides scheint mir auf Bundesebene völlig ausgeschlossen, auf Landesebene sehr unwahrscheinlich. Wir wissen natürlich nicht, was sich die CDU in einzelnen Bundesländern – vor allem Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt – noch so einfallen lässt.
Das klingt nach einem Aber…
Koschmieder: Von den unwahrscheinlichen Szenarien das wahrscheinlichste wäre wohl, dass in einem Bundesland nach der Wahl alles sehr kompliziert wird, dass es keine klaren Mehrheiten gibt, weil AfD und Linke sehr stark abschneiden. In Thüringen hatten wir das ja schon. Möglich wäre es dann, dass sich ein Ministerpräsident von der AfD tolerieren oder irgendwie wählen lässt, so wie es Thomas Kemmerich 2020 getan hat.
Bei der kommenden Wahl in Thüringen könnte es sein, dass die CDU zwar keine eigene Mehrheit hat, aber verhindern will, dass Ramelow weiter regiert und deshalb Stimmen der AfD nutzt. Das nennt man dann sicher nicht Kooperation – aber es wäre eine Minderheitsregierung, die auch immer wieder auf Stimmen der AfD angewiesen ist.
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Trauen sie der CDU so einen Schritt zu?
Koschmieder: Dagegen gäbe es innerhalb der CDU sicherlich erhebliche Widerstände. Für die öffentliche Wirkung der Partei wäre es eine Katastrophe, die Parteiführung auf Bundesebene wäre bestimmt dagegen. Bei so einer Zusammenarbeit würde die Union in anderen Bundesländern und in anderen Wählerschichten enorm verlieren.
Die Brandbauer der Union steht also?
Koschmieder: Nein, die Brandmauer steht nicht. Eine Brandmauer stelle ich mir so vor, dass da nichts rüber geht. Aber wir haben ja viele Situationen, in denen in einzelnen Kommunalparlamenten oder auch auf Landesebene, in Thüringen zum Beispiel, Union und AfD zusammenarbeiten – auch bewusst zusammenarbeiten und sich absprechen.
Ich würde daher nicht von einer Brandmauer sprechen. Aber ich glaube, dass die Abwehrkräfte innerhalb der Union und innerhalb der Gesellschaft stark genug sind, um eine Koalitionsbildung zu verhindern.
Sprechen wir über den aktuellen Erfolg der AfD in den Umfragen. Was macht die Partei derzeit so attraktiv?
Koschmieder: Die Bundesregierung gibt im Moment ein unglaublich schlechtes Bild ab. Unabhängig davon, ob ich finde, dass die Politik der Ampel-Koalition gut oder schlecht ist, ist das natürlich günstig für Oppositionsparteien. Und davon sind ja nicht mehr so viele übrig. Die Linke ist eher mit sich selbst beschäftigt und zerlegt sich, bleiben also nur noch Union und AfD. Dann steht die CDU im Moment auch nicht besonders gut da. Friedrich Merz ist nicht der charismatische Anführer, den sich viele erhofft hatten.
Das ist alles?
Koschmieder: Am wichtigsten ist: Wenn man in der öffentlichen Debatte monatelang Migration als wichtigstes Problem darstellt und fast nur noch darüber spricht, dann wählen die Menschen AfD, weil sie glauben, die Partei könnte dieses vermeintliche Problem lösen. Würden wir mehr über andere Themen diskutieren, die vielleicht ebenfalls wichtig sind, zu denen die AfD aber überhaupt nichts beitragen kann, dann würden die Umfrageergebnisse der AfD auch wieder geringer. Das ist an Beispielen aus vielen Ländern gut untersucht und völlig unstrittig.
Wenn aber die CDU auf Migration als wichtigstes Thema setzt, ist das im Endeffekt vor allem Wahlkampf für die AfD. Und das wissen auch alle. Deswegen halte ich diese Schwerpunktsetzung aus Sicht der CDU für einen Fehler.
Denken sie, dass die AfD – sollte sie irgendwann an die Macht kommen – die Hoffnungen ihrer Wählerinnen und Wähler erfüllen kann?
Koschmieder: Das ist mir ein fast zu dystopisches Szenario. Selbst wenn die AfD irgendwann die Bundesregierung stellen sollte, hätten wir ja immer noch den Bundesrat, das Bundesverfassungsgericht und eine auf die Verfassung eingeschworene Polizei, die verhindert, dass die AfD ihre verfassungsfeindlichen Ziele umsetzen kann. Was sie aber machen könnte, ist in vielen kleinen Punkten daran zu arbeiten, unsere liberale Demokratie zu zerstören. Demokratischen Medien oder Lehrkräften könnte sie beispielsweise das Leben schwerer machen. Möglich wäre auch, an vielen kleinen Stellen den Kampf gegen die Klimakatastrophe zu sabotieren.
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Die AfD hat es in wenigen Jahren geschafft, zahlreiche Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Woher kommen diese Menschen, wen haben sie früher gewählt?
Koschmieder: Die AfD schafft es sehr gut, aus sehr unterschiedlichen Gruppen Stimmen zu bekommen. Sie ist in allen Schichten, in allen Altersgruppen stark. Ausgenommen sind vielleicht die ganz Alten: Die ändern ihre Parteipräferenz in der Regel nicht mehr und wählen häufig das, was sie immer gewählt haben.
Davon abgesehen hat die AfD von allen Parteien Wähler gewonnen. Am Anfang hat sie viele ehemalige NPD-Wählerinnen und Wähler erreicht, aber sie bekommt auch Stimmen von ehemaligen Linken-Wählern. Von den Grünen weniger, weil die ideologische Entfernung am größten ist. Die meisten stammen von der Union und der FDP.
Und warum entscheiden sich Menschen für die AfD?
Koschmieder: Da gibt es natürlich Leute, die rechtsextreme Einstellungen haben und sich daher in der AfD wiederfinden. Hinzu kommen alle, die allgemein unzufrieden mit der Demokratie sind. Um die wirbt die AfD auch gezielt. Dann gibt es Wählerinnen und Wähler, die mit einem bestimmten Thema unzufrieden sind, oft ist das die Migrationspolitik.
Und dann gibt es eine große Gruppe, die sich Sorgen macht, vor Veränderungen oder wie es mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Situation oder der deutschen Wirtschaft insgesamt weitergeht. Das sind in der Regel Leute, die nicht so gut abgesichert sind, oft einfache Arbeiter. Es sind nicht unzufriedene Arbeitslose, die schon alles verloren haben. Es sind Menschen, die Angst davor haben, zu verlieren.
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Der Zuspruch für die AfD ist in Ostdeutschland höher als in vielen Teilen Westdeutschlands. Woran liegt das?
Koschmieder: Dabei spielen unter anderem strukturschwache Regionen eine Rolle. In solchen Gebieten ist die AfD auch in Westdeutschland stärker. In Ostdeutschland haben viele Menschen erlebt, dass es – auch wenn es erstmal gar nicht so schlecht aussieht – relativ schnell bergab gehen kann, dass man schnell alles verlieren kann. Ein weiterer Punkt: In Westdeutschland gibt es eine starke Tradition von demokratischen Parteien. Da gibt es in jedem Dorf eine organisierte, demokratische Partei und sozial engagierte Demokratinnen und Demokraten, die etwas auf die Beine stellen. Das gibt es so in Ostdeutschland nicht überall.
Partei | Alternative für Deutschland (AfD) |
Gründung | 6. Februar 2013 |
Ideologie | Rechtspopulismus, Nationalkonservatismus, EU-Skepsis |
Vorsitzende | Tino Chrupalla und Alice Weidel (Stand: April 2023) |
Fraktionsstärke | 83 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023) |
Bekannte Mitglieder | Jörg Meuthen (ehemals), Alexander Gauland, Björn Höcke |
Oft heißt es, die AfD lebe vor allem von Protestwählern. Ist da was dran?
Koschmieder: Wenn man damit Wählerinnen und Wähler meint, die unzufrieden sind, ist die Antwort ja. Wer zufrieden ist, wählt nicht die AfD. Unter Protestwähler verstehe ich aber eher Menschen, die sagen: Ich wähle immer eine Partei und will auch bei der bleiben. Aber um meiner Partei zu zeigen, dass ich mit ihr unzufrieden bin, wähle ich jetzt die AfD. Dass das oft passiert, stimmt nicht.
Generell glaube ich, dass uns der Begriff nicht weiterbringt. Er lenkt nur davon ab, dass wir ein Problem haben. Es ist eben nicht so, dass die demokratischen Parteien nur einen netten Typen nach vorne stellen und zweimal in einer Talkshow besser rüberkommen müssen, damit die Leute wieder zufrieden sind.
Würden Sie sagen, dass von der AfD derzeit eine Gefahr für die Demokratie ausgeht?
Koschmieder: Auf jeden Fall. Die AfD arbeitet aktiv und sehr engagiert daran, unsere pluralistische Demokratie zu zerstören. Dafür hat sie eine Menge Geld und Ressourcen zur Verfügung. Außerdem sorgt sie dafür, dass andere Parteien aus Angst vor der AfD in Debatten, etwa beim Thema Migration, zum Teil ihre menschenverachtende Sprache übernehmen.
Ein Problem ist zudem, dass die Union gegen die Grünen agitiert, als wären sie kein Mitbewerber, sondern der Feind. Das ist ja alles ein Teilerfolg der AfD, die diesen Diskurs mitbestimmt und vergiftet. Ich glaube sogar, das ist das größere Problem. Mir macht es Sorge, dass die demokratischen Parteien der AfD zu sehr hinterherlaufen und ihr den Weg bereiten, indem sie ihre Themen platzieren.
Zuletzt wurde immer wieder ein Verbot der AfD gefordert. Halten sie das für sinnvoll?
Koschmieder: Das ist eine sehr komplizierte Frage. Ich bin kein Jurist, aber soweit ich das verstehe, könnte ein Verbotsverfahren Erfolg haben. Die AfD hat definitiv rote Linien überschritten, die das Bundesverfassungsgericht im Verbotsverfahren gegen die NPD gezogen hat. Aber man weiß natürlich nicht vorher, wie es ausgeht. Und wenn es nicht klappt, wäre es ein großer Schaden für die Demokratie.
Zudem muss man fragen, was AfD-Anhänger machen würden, wenn man die Partei verbietet. Verfallen die in Apathie, radikalisieren die sich? Wird die Situation besser oder schlechter? Das ist etwas, das man vorab erörtern muss. Ich werde ihnen jetzt nicht sagen: Man sollte die AfD verbieten oder man sollte es nicht tun. Das ist sowohl politisch als auch juristisch eine Abwägungsentscheidung. Aber es gibt durchaus gute Gründe dafür.