Essen. Stau, Warteschleife, Schlange stehen - geduldig warten ist nicht jedermanns Sache. Unser Autor ist so ein notorisch Ungeduldiger. Ein Geständnis.
Letztens war es wieder soweit. In der Gegend von Dortmund, in der ich wohne, wurde die Hauptstraße aufgerissen für irgendwelche Bauarbeiten, eine Fahrspur ist seit Wochen dicht. Deshalb hat man auch die Ampelschaltung an der Kreuzung geändert. Pro Grün-Phase schaffen es jetzt noch gerade drei bis maximal vier Autos rüber. Und das auch nur, wenn man sich beeilt. Letztens also, ich war spät dran, hatte es der Golf-Fahrer in der Ampelschlange vor mir so gar nicht eilig. „Nun mach schon!“, rief ich laut gegen die Windschutzscheibe, während mein Fuß das Gaspedal malträtierte.
Es half, natürlich, nichts: Genau zwei Wagen konnten die Straße überqueren, dann sprang die Ampel wieder auf rot. Es folgten einige, sagen wir: verbale Äußerungen meinerseits, in Richtung des davon schleichenden Golf. Wohl nicht alle waren jugendfrei. Meine Frau auf dem Beifahrersitz verdrehte die Augen. Sie kennt das schon. „Auf die zwei Minuten kommt es doch nicht an“, meinte sie nur kopfschüttelnd. „Du und deine Ungeduld.“
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Ja, ich gestehe: Ich bin ungeduldig.
Wenn ich im Job eine Idee habe, möchte ich am liebsten, dass sie umgehend umgesetzt wird. Entdecke ich beispielsweise ein Buch, das mich interessiert, will ich es gleich in die Hand bekommen. Und, ja, wenn die Ampel auf grün springt, sollte man meiner Meinung nach losfahren, und nicht erst umständlich den ersten Gang suchen müssen.
Über Probleme lachen statt sich ärgern
Ungeduld gilt allgemein als nervige Angewohnheit – jedenfalls beim jeweils anderen. Wenn Partner, Kollege oder Kumpel ständig mit dem Fuß wippt, unablässig den Kugelschreiberkopf drückt oder seinen – vermeintlich – schlafmützigen Mitmenschen unflätige Tiernamen gibt, macht das keinen wirklich guten Eindruck auf die Umwelt. Was tun?
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„Ich kann gut warten und bin vom Typ her nicht ungeduldig“, sagt Monika Scheddin über sich. Sie arbeitet als Business-Coach in München. „Das hat auch was mit Werten zu tun.“ Geduld sei eine Art von Großzügigkeit anderen Menschen gegenüber. Wichtig sei zudem, die Situation zu akzeptieren und nicht dagegen anzukämpfen, indem man etwa aggressiv, eingeschnappt oder beleidigend reagiert. Zudem sei Humor dabei hilfreich. „Wer über Probleme lachen kann, schmust schon mit der Lösung“, so Scheddin. Haha.
Ungeduld als Zeichen fürs Anpacken
Es gibt aber auch die andere Seite der Ungeduld. Manche Leute bezeichnen sich selbst als ungeduldig – und sprechen dies sogar mit einem gewissen Stolz aus. Schaut man in die beliebten Fragebögen, die gelegentlich Politikern und anderen Prominenten vorgelegt werden, findet man unter der Rubrik „Welche negative Eigenschaft entschuldigen Sie bei sich selbst am ehesten?“ nicht selten die Antwort: „Ungeduld“. Da schwingt dann im Subtext gleich eine andere Erzählung mit, etwa: „Okay, ich bin ungeduldig. Aber ich will ja, dass es voran geht, dass die Mitarbeiter mitziehen.“ Ungeduld wird da gleichsam zum Synonym für Engagement, fürs Anpacken.
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So oder so: Das Phänomen Ungeduld ist längst ein Thema für die Wissenschaft geworden. Der Soziologe Andreas Göttlich von der Universität Konstanz, der zum Thema Warten geforscht hat, empfiehlt eine relaxte Einstellung. „Wenn man nicht ständig mit dem Verdacht herumläuft, dass man vielleicht ungerecht behandelt wird oder Dinge schlecht gemacht werden, fällt das Warten leichter“, erklärt er. „Man kann auch einfach mal akzeptieren, dass Dinge ihre Zeit brauchen.“ Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Wartezeit angenehmer empfunden werde, wenn der Mensch sich dabei beschäftige. Es sei daher sinnvoll, sich auf Wartezeiten vorzubereiten.
Das mahnende Beispiel von Michael Douglas
Das hat beispielsweise der Komiker und Schauspieler Armin Nagel aus Köln getan. Er schrieb während der Coronazeit das Buch „Schöner warten“. Er hat sich auf seinem Handy einen Ordner für „Wartemomente“ angelegt und darauf Podcasts geladen hat, die er hören möchte. Zudem nutzt er sein Handy, um bewusst zur Ruhe zu kommen. Dann stellt er die Stoppuhr auf 4 Minuten und 33 Sekunden, macht die Augen zu und konzentriert sich darauf zu hören, was um ihn herum geschieht. Inspiriert wurde er dazu von dem Stück „4’33’“ des amerikanischen Komponisten John Cage. In dieser Zeit wird kein Ton gespielt, zu hören sind nur die Umgebungsgeräusche.
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Ob mir Nagels Tipp beim nächsten Ampelstopp wirklich helfen könnte, möchte ich allerdings infrage stellen. Mir fällt der Schauspieler Michael Douglas ein, der in dem Film „Falling Down“ einen genervten Büroangestellten darstellt, der im Berufsverkehr hinterm Steuer verzweifelt und Amok läuft. Die Geschichte geht für Michael nicht gut aus.
Aber auch Business-Coach Scheddin empfiehlt, die Wartezeit als Gelegenheit zu nutzen: Man könne zum Beispiel lesen, meditieren, Leute ansprechen, ein Gedicht auswendig lernen, schlendern oder einfach nur mal da sitzen, sagt sie. Die Hauptsache ist, man verbringt die Zeit des Wartens selbstbestimmt. Dann ist man raus aus der Opferrolle, die das Warten schwierig macht.
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Eine Joker-Karte zum Vordrängeln bei Ungeduld
Wartezeit als Gelegenheit? Das erinnert mich so ein bisschen an eine Bekannte, die mir vor Jahren einmal ein Buch mit dem Titel „Krankheit als Chance“ empfahl. Ich hab’ ihr das dann ziemlich schnell zurückgegeben, weil es sich ebenso esoterisch verschwurbelt las, wie der Titel vermuten ließ. Vielleicht fehlte mir aber auch nur die nötige Geduld, mich darauf einzulassen...
Sehr geschickt ist laut dem Soziologen Göttlich ein Freizeitpark vorgegangen, der seinen Kunden beim Eintritt eine Art Joker zum Vordrängeln übergibt. Diesen können die Menschen dazu nutzen, um an einem Fahrgeschäft ihrer Wahl an der Warteschlange vorbeizugehen - und so in eine aktive Rolle zu schlüpfen. Ich frage mich, ob es sinnvoll sein könnte, solche Joker-Karten an Autofahrer zu verteilen.
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Nützlich ist laut Göttlich zudem reflektiertes Denken während der nervigen Wartesituation. Der Verkehr staut sich? Ich bin nicht der Einzige, auch die anderen haben Termine, wäre ein hilfreicher Gedanke, findet der Wissenschaftler. Warten zu können und Geduld zu beweisen, habe nicht in allen, aber in vielen Fällen Vorteile – auch für die Gesellschaft. „Es ist eine soziale Tugend, ohne die eine Gesellschaft nicht funktionieren kann.“ Denn wenn einer wartet, profitieren meist andere, zum Beispiel im Straßenverkehr. Für jeden persönlich bringe mehr Gelassenheit nicht nur den kurzfristigen Vorteil von besseren Nerven, sondern sogar langfristig mehr Erfolg.
Alles nur eine Frage des Willens?
Göttlich verweist hierzu auf das sogenannte Marshmallow-Experiment mit Vorschulkindern in den Vereinigten Staaten. Das ging so: Den Mädchen und Jungen wurde etwas Leckeres zum Essen hingestellt. Dann erklärte man ihnen, sie würden mehr davon bekommen, wenn sie warten würden. „Diejenigen, die warten konnten, waren später erfolgreicher im Leben“, so Göttlich. „Sie konnten ihre Zeit strategisch besser einsetzen.“ Alles eine Frage des eisernen Willens, also?
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Nicht nur: Es hängt angeblich auch von der Kultur ab, ob jemand gut warten kann. Das zeigte laut Göttlich eben jenes Marshmallow-Experiment, bei dem Kinder aus Kamerun deutlich besser als der Nachwuchs aus Deutschland abgeschnitten hätten. Denn die Menschen im Westen tun sich laut Göttlich generell schwerer mit dem Gefühl der Ungerechtigkeit und der Ungewissheit – das macht sie zu eher schlechten Wartenden. Auch ist ihr Leben oft vollgepackt, sie sind ungeduldig und wollen schnell sein.
Ich frage mich gerade, ob es in Kamerun wohl viele Ampelkreuzungen gibt. mit DPA
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei.Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent?Hier geht es zu unseren Angeboten.