Essen. Wer am Impostor-Syndrom leidet hat Angst, aufzufliegen – obwohl er gar kein Hochstapler ist. Woher das Syndrom kommt und wie Betroffene leiden.
„Ich gehöre hier gar nicht hin“: Bei diesem Gedanken erwischt sich Mona (Name geändert) das erste Mal, als sie in ihren ersten Vollzeitjob einsteigt. „Im Studium hatte ich das noch nicht“, erinnert sich die 24-Jährige und grübelt: „Allerdings waren da die Noten auch immer gut.“ Jetzt also, im Job, hat sie Angst, erwischt zu werden, vom Chef, von Kollegen, von Kunden. Mona hat Angst davor, sie könne „auffliegen“, es könne herauskommen, dass sie überhaupt nicht qualifiziert ist für die Aufgaben, für die sie nun bezahlt wird.
Für diese überhöhten, beruflichen Selbstzweifel gibt es mittlerweile eine Bezeichnung: „Impostor-Syndrom“, auf Deutsch „Hochstapler-Syndrom“. „Ich merke ja, dass diese Zweifel, dieses Vergleichen mit den Leistungen anderer, schlecht für mich ist“, erzählt Mona, „aber abstellen kann ich es trotzdem nicht. Ich fahre morgens schon mit Bauchschmerzen zur Arbeit und denke mir: Du hast eh nichts beizutragen.“ Wo sie sich dieses Impostor-Syndrom eingefangen hat, kann Mona nicht genau sagen. „Vielleicht ist es Perfektionismus, vielleicht interpretiere ich zu viel in das Verhalten von Kollegen hinein“, überlegt sie.
Das Impostor-Syndrom: Denken die anderen schlecht über mich?
Manchmal glaube sie zu wissen, was die anderen über sie denken – meistens nichts Gutes. Paradox: Mona glaubt, dass die Zweifel bezüglich ihrer Qualifikation ihre beruflichen Leistungen beeinträchtigen. „Das hält mich im Job zurück, ich habe eigentlich viel mehr Potenzial, aber ich kreise zu sehr um mich selbst.“ Trotzdem sei sie auch schon kleinen Tricks auf die Schliche gekommen, um das Impostor-Syndrom in Schach zu halten. „Es hilft mir, mit anderen ehrlich über meine Zweifel zu sprechen“, erklärt Mona, „und wenn ich mir bewusst mache: Es hat einen Grund, dass ich jetzt hier arbeite, sonst hätte ich den Job nicht bekommen.“ Und wenn es ganz schlimm werde, helfe immer noch der Blick aufs große Ganze: „Heute Abend liege ich im Bett, die Welt dreht sich weiter und alles wird gut.“
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Dr. Monika Klinkhammer berät als Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin zum Impostor-Syndrom in der akademischen Welt. „Das Impostor-Syndrom ist eine emotionale Situation, in der sich Menschen wie Hochstapler fühlen, aber weder gelogen noch betrogen haben. Sie sind eigentlich das Gegenteil eines Hochstaplers“, erklärt die Expertin. Das Gefühl beschreibe Ängste, Selbstzweifel und vor allem die Sorge, dass man „auffliegen“ könnte, dass Menschen herausfinden könnten, dass man eigentlich unqualifiziert ist.
Das Impostor-Syndrom sagt: „Deine Erfolge waren nur Glück.“
Betroffene glauben, dass bisherige Erfolge nur durch Beziehungen, Glück oder gar Zufall, „aber jedenfalls nicht aufgrund der eigenen Leistung zustande gekommen sind“, so Klinkhammer weiter. Im akademischen Bereich, in dem die Wissenschaftlerin forscht, äußert sich das Syndrom bei Betroffenen oft auf ähnliche Weise. „Menschen, die ihr Studium oder ihre Promotion hervorragend abgeschlossen und insgesamt gute Referenzen haben, bewerben sich nicht auf Stellen, für die sie eigentlich qualifiziert sind, weil ihnen Selbstzweifel kommen“, berichtet Klinkhammer.
Prof. Dr. Myriam Bechtoldt forscht ebenfalls zum Impostor-Syndrom – behandelt als Psychotherapeutin aber auch Menschen, die an dem Phänomen leiden. „Selbstzweifel in Bezug auf die beruflichen Kompetenzen können mit allgemein niedrigem Selbstwertgefühl einhergehen und das psychische Wohlbefinden einschränken; auf der Verhaltensebene können sie mit verbaler Selbstabwertung und Vermeidungsverhalten einhergehen,“ erklärt sie.
Positive Konsequenzen aus krankhaftem Verhalten
Auf eine perfide Art und Weise könne das Syndrom Betroffenen aber auch helfen. „Die Betroffenen achten ganz besonders darauf, wie andere auf sie reagieren – eben weil sie fürchten, deren Erwartungen in fachlicher Hinsicht nicht zu genügen. Deshalb sind sie besonders aufmerksam und sensibel für deren Anliegen“, verdeutlicht Bechtoldt. „Das führt dazu, dass sie von anderen im Job als interpersonell kompetent angesehen werden und beliebt sind. Impostor-Gedanken können deshalb nachweislich positive Konsequenzen für die Betroffenen haben.“
Aber wie entsteht das Syndrom überhaupt, und wen trifft es besonders oft? „Die Wissenschaftlerinnen Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes, die als erstes zu dem Thema geforscht haben, haben beobachtet, dass es vor allem in den Herkunftsfamilien der Betroffenen bestimmte Muster gab“, erläutert Monika Klinkhammer. „So gab es etwa ein Geschwisterkind, das als besonders intelligent galt, während die Betroffene selber eher als ,bescheiden’ galt. Und wenn diese Person etwas im Leben erreicht, erinnert sie sich an die Erlebnisse der Kindheit und nimmt an, gar nicht so gut sein zu können.“ Kurz gesagt: Das Impostor-Syndrom kann auf eine Zuschreibung der Eltern zurückzuführen sein.
Genauso kann aber das andere Extrem schuld sein: „Wenn eine Überhöhung der Kompetenzen des Kindes von den Eltern kommt, kann sich das später in ein Impostor-Syndrom auswachsen“, erläutert Klinkhammer. Nach ihrer Erfahrung litten beispielsweise Hochbegabte und besonders ambitionierte Menschen oft unter dem Impostor-Syndrom, genauso wie Menschen, die in Führungspositionen rücken. „Dass man in einer neuen, unbekannten beruflichen Situation erstmal unsicher ist und manche Dinge noch nicht weiß, ist ja normal“, so Monika Klinkhammer, „wenn diese Zweifel aber Überhand nehmen, kann sich das Impostor-Syndrom entwickeln.“
Bleibt die Frage: Was tun gegen das Impostor-Syndrom? „Es gibt viele Strategien, die man anwenden kann“, erklärt die Expertin, „das Wichtigste ist, das Problem überhaupt erstmal wahrzunehmen.“ Die Ängste benennen, darüber zu reden sei hilfreich, genau wie die Suche nach dem Auslöser der Ängste. Feedback von Menschen, die von der betroffenen Person beruflich nicht abhängig sind, kann das Syndrom bekämpfen, auch Erfolgstagebücher helfen, „generell, sich seine Erfolge immer wieder bewusst zu machen. Und es gilt immer: nicht alleine bleiben, sondern reden.“