Berlin. Mehr als 300.000 Menschen leiden an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Forscher zeigen, warum diese Stress unbedingt vermeiden sollten
Medizinerinnen und Mediziner haben es schon oft gehört: Gerät das Leben von Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) aus dem Gleichgewicht, leiden diese besonders – nach dem Tod eines Familienmitglieds zum Beispiel, bei Eheproblemen oder Mobbing am Arbeitsplatz. Dann werden die Entzündungen meist stärker.
„Stress spielt dabei eine große Rolle“, sagt Dr. Michael Schumann, Privatdozent und Gastroenterologe an der Berliner Charité. Die genauen Zusammenhänge aber seien für Mediziner und Patienten bisher ein Rätsel gewesen.
Jetzt bringt eine Studie aus den USA erstmals Licht ins Dunkel. „Hier ist ein klarer und über mehrere Ecken führender Signalweg aufgezeigt worden, der das Phänomen erklärt“, sagt Schumann, der an der Studie nicht beteiligt war.
In Deutschland leiden mehr als 320.000 Menschen an chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, Tendenz steigend. Die beiden häufigsten sind Colitis ulcerosa und Morbus Crohn. „Wir gehen davon aus, dass unsere moderne Lebensweise, hochprozessierte Lebensmittel etwa, Stress oder auch die häufige Einnahme von Antibiotika in der Kindheit dafür verantwortlich sind. Es ist ein komplexes Zusammenspiel, bei dem sich viele Faktoren addieren“, sagt Elena Sonnenberg, Oberärztin der Klinik für Gastroenterologie der Berliner Charité.
Colitis ulcerosa und Morbus Crohn: Schubhafter Verlauf ist typisch
Typische Symptome für CED sind Bauchkrämpfe, über Wochen anhaltende Durchfälle, Gewichtsverlust oder Fieber. Bei manchen Menschen verläuft die Krankheit so extrem, dass sie ihr Leben bedroht. Typisch ist bei CED ein schubhafter Verlauf, bei dem sich Phasen mit hoher Krankheitsaktivität und starken Symptomen mit beschwerdefreien Phasen (Remission) abwechseln.
Mikrobiologe Professor Christoph Thaiss und sein Team von der Universität von Pennsylvania (USA) wollten nun herausfinden, warum chronischer Stress die Entzündungsparameter des Darmes deutlich ansteigen lässt. In diversen Versuchen mit Mäusen fanden sie eine Erklärung.
Das Gehirn sendet laut den Angaben nach einer Stresswelle Signale an die Nebennieren, die wiederum köpereigenes Glukokortikoid, also Cortison, ausschüttet. Das Hormon wirkt zunächst schmerzstillend und entzündungshemmend, bei chronischem Stress aber kehre sich das System offensichtlich um, schreiben Thaiss uns sein Team im Fachjournal „Nature“.
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Chronische Darmentzündungen: Stressmoleküle verändern Immunantwort
Ein wichtiger Faktor dafür ist der Studie zufolge das sogenannte enterische Nervensystem. Als einziges Organ außerhalb des Gehirns ist der Darm mit einem solchen Nervensystem ausgestattet. Das besteht aus Neuronen und Gliazellen und reguliert weitgehend unabhängig die Bewegung des Darms bei der Verdauung.
In ihren Versuchen fanden die Forscher heraus, dass dieses System die Stresshormone erkennt, darauf reagiert und entzündliche Moleküle produzieren kann. Diese verändern die Immunantwort im Darm und behindern die Muskelregulation, also die Beweglichkeit. Beides verschlimmere die Krankheit.
„In dieser Studie haben wir eine Kaskade von zellulären und molekularen Ereignissen identifiziert, die die Wahrnehmung von Stress mit einer Verschlimmerung der Darmentzündung in Verbindung bringen“, schreiben die Autoren. Teile dieser Kaskade könnten auch für andere entzündliche Erkrankungen des Darms sowie für weitere Störungen außerhalb des Verdauungstrakts gelten.
Die Erkenntnisse könnten zu neuen Therapien führen
„Es gibt in der Arbeit aber einen kräftigen Widerspruch“, sagt Michael Schumann. Wieso verschlimmere das körpereigene Cortison die Entzündung, obwohl es als Wirkstoff auch Bestandteil der medikamentösen Behandlung von CED ist? „Diesen Widerspruch haben die Autoren zwar festgestellt, abschließend geklärt ist das aber nicht“, sagt Schumann.
Trotzdem: Der Mediziner der Charité nennt die Studie exzellent. Sie erkläre erstmals jene Prozesse, die dazu führten, dass Stress entzündliche Darmerkrankungen verstärken. Und sie böte langfristig die Chance, neue Behandlungsoptionen zu erschließen. „Das enterische Nervensystem ist mit dieser Arbeit in den Fokus gerückt. Es wird sicherlich ein Ziel zukünftiger Therapien sein“, so Schumann.
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Darüber hinaus hat die Studie laut ihren Autoren einen weiteren Mehrwert: Sie betone die Bedeutung von Stressmanagement als Bestandteil der CED-Behandlung. Dazu gehöre ausreichend Schlaf und regelmäßiger Sport. Auch Entspannungsübungen wie Yoga, Meditation oder autogenes Training könnten den Stressabbau unterstützen und Krankheitsschüben vorbeugen oder diese abmildern.