Düsseldorf. Am ersten Tag der „Wut-Woche“ verteidigen die NRW-Landwirte ihre Proteste - mit schwarz-grüner Regierungshilfe und konkreten Zahlen.
Trotz zum Teil erheblicher Verkehrsbehinderungen durch Traktoren-Proteste am ersten Arbeitstag nach dem Ende der Schulferien in Nordrhein-Westfalen hat sich die schwarz-grüne Landesregierung das Anliegen der Landwirte überraschend deutlich zu eigen gemacht.
„Wir haben die Hoffnung der Landwirtschaft gehabt, dass die Ampel zur Vernunft kommt und einlenkt und die Einsparvorschläge in Gänze zurücknimmt“, sagte NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) am Montag. Sie verlangte die „vollständige Rücknahme der Streichung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel“.
Die von SPD, Grünen und FDP getragene Bundesregierung will im Zuge ihrer Sparzwänge der Landwirtschaft einen Teil ihrer Steuerprivilegien streichen. So soll die Subvention von Agrardiesel schrittweise wegfallen. Gorißen sprach von einem „enormen Tiefschlag für die Landwirtschaft, die eine ohnehin schon stark gebeutelte Branche darstellt“. Zuvor hatte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) die Bauern-Proteste gerechtfertigt, die zusätzlichen Belastungen seien schließlich „keine Peanuts“.
Wegfall der Agrardiesel-Subventionen würde NRW 40 Millionen Euro kosten
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Die Agrardiesel-Vergütung betrage in Deutschland etwa 440 Millionen Euro pro Jahr, erklärte Gorißen. Allein in NRW würden 1,48 Millionen Hektar Land bewirtschaftet. „Somit würde die nordrhein-westfälische Landwirtschaft bei einem vollständigen Wegfall ab 2026 rund 40 Millionen Euro pro Jahr verlieren“, so die Ministerin. Auf einen durchschnittlichen Agrarbetrieb kämen mehrere Tausend Euro Extrakosten zu.
Vom grünen Koalitionspartner, der in Berlin die Beschlüsse mitverantwortet, war am Montag kein großer Widerspruch zu hören. Allein Norwich Rüße, Landwirtschaftsexperte der Grünen-Landtagsfraktion, äußerte sich eher allgemein: „Es muss langfristig unser Ziel bleiben, klimaschädliche Subventionen wie den Agrardiesel überflüssig zu machen. Die Interessen der Landwirtschaft und des Umwelt- und Klimaschutzes dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.“
Querdenker wollten sich im Kreis Mettmann unter die Bauern mischen
Die Protestaktionen mit Landmaschinen, die in Teilen von NRW für Staus sorgten, sind nach Einschätzung von Lobbyvertretern friedlich verlaufen und bewegten sich im Rahmen des Demonstrationsrechts. „Ich habe nicht gehört, dass es Stress gab“, sagte Bernhard Conzen, Präsident des Rheinischen Landwirtschafts-Verbandes. Zuletzt hatten aggressive Drohungen gegen Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) auf einer Urlaubsfähre Sorgen vor Umsturzplänen befeuert.
Nach Polizeiangaben wurden am Montag Versuche aus der „Querdenker-Szene“, sich den Protestzügen anzuschließen, etwa im Kreis Mettmann von den Bauern selbst unterbunden. Auch wenn die Geduld von Berufspendlern im Laufe der geplanten „Wut-Woche“ noch auf die Probe gestellt werden könnte, verteidigte Ministerin Gorißen die Aktionen: „Wir sind uns vollkommen einig, dass das alles im legitimen Rahmen erfolgen muss, sonst schadet man schlichtweg einer guten Sache und gefährdet auch die Akzeptanz in der Gesellschaft.“ Jede Form von Gewalt, Bedrohung oder illegalen Straßenblockaden sei nicht akzeptabel. Man rufe dazu auf, die „Regeln des Anstands“ zu beachten. Auch Landwirtschaftsfunktionär Contzen bekräftigte: Man wolle nicht „in den Ruf der Klimakleber“ kommen.
35.000 Euro Familieneinkommen - bei einer Sieben-Tage-Woche
Die Bauernvertreter bemühten sich, die wirtschaftlichen Zwänge ihrer Branche plausibel zu machen. Zahlen, nach denen der durchschnittliche Gewinn pro landwirtschaftlichem Betrieb zuletzt bei 115.000 Euro gelegen habe und damit 45 Prozent über Vorjahresniveau, führen demnach in die Irre. Es handele sich um Sondereffekte durch den Ukraine-Krieg. Vor dem russischen Überfall hätten die Bauern noch günstig Dünger einkaufen können. Da der Weizen, der sonst 150 bis 180 Euro pro Tonne kostet, danach plötzlich für 360 bis 400 Euro pro Tonne zu verkaufen war, hätten viele ein gutes Geschäft gemacht. „Das heißt: Die Landwirte haben sich da sicherlich erstmal ein ordentliches Stück Geld eingesackt. Löcher stopfen aus den schlechten Jahren“, erklärte Contzen.
Auf dem Acker könne man künftig keinen Treibstoff sparen, das nasse Wetter mache es vielmehr noch aufwendiger, „eine Ernte überhaupt noch zu bergen“. Im Fünf-Jahres-Vergleich sei ein Landwirt bei 35.000 Euro Familieneinkommen - bei einer Sieben-Tage-Woche.
Ein Drittel der NRW-Landwirte hat seit 2013 aufgegeben
Seit den 90er Jahren hat die Hälfte der Höfe den Betrieb eingestellt. Allein in NRW musste seit 2013 ein Drittel der Landwirte, die Schweine halten, aufgeben. „Wir haben einen absoluten Investitionsstau in der Tierhaltung“, sagte Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes. Es habe Jahre gegeben, „die waren unterirdisch“. Für Beringmeier, der selbst Schweinehalter ist, scheint der Rubikon längst überschritten: „Wir sind in den letzten zwei, drei Jahren überproportional zur Kasse gebeten worden.“
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