Meschede. Der CDU-Chef tritt bei der Demo am Flugplatz Meschede auf und kritisiert die Regierung. Applaus - doch dann sorgt er für ein Raunen.
So ganz genau wissen die meisten am Ende der Veranstaltung auch nicht, was sie davon halten sollen. Andre Kotthoff atmet weiße Wölkchen in die eisige Luft. „Sauerlända“ steht auf seiner Mütze, die den Kopf wärmt. „Heute wird ja sowieso keine Entscheidung getroffen“, sagt der Landwirt, der seinen Hof fast in Wurfweite des Flugplatzes Meschede-Schüren hat.
Fast 1000 Fahrzeuge auf dem Rollfeld in Meschede
Meschede-Schüren - das ist der Ort, an den die aufgebrachten Bauern aus dem Hochsauerland am Montagmorgen mit ihren Traktoren kommen, um gegen die Regierung und deren Pläne zu protestieren. Der Ort, an dem u.a. CDU-Chef Friedrich Merz auftritt, aber auch der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Dirk Wiese, beide aus Brilon. Was erwartet sie wenige Tage, nachdem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einem wütenden Mob in Norddeutschland gerade noch entkam. Showdown am Rollfeld?
In mehreren Konvois treffen die Traktoren ein. So viele, dass die Veranstaltung als solche erst mit 90-minütiger Verspätung beginnen kann. Die meisten Landwirte fahren Botschaften in großen Buchstaben vor sich her. „Landwirtschaft macht alle satt, auch die Gegner, die sie hat“ ist dort zu lesen. Oder: „Ist der Bauer ruiniert, wird dein Essen importiert.“ Oder: „Jahrzehnte verfehlter Agrarpolitik – Politischer Mist düngt nicht“. Oder direkt etwas plakativer: „Deutschland brennt, die Ampel pennt“. Die Unzufriedenheit endet nicht an den eigenen Feldern. Sie sitzt tiefer. Thema Bürgergeld, wie sich später noch zeigt.
Fast 1000 Fahrzeuge sind es am Ende, das ganze Rollfeld voll. 1700 Menschen stehen vor der Bühne. Menschen, die starke Emotionen mitgebracht haben. „Wut oder Verzweiflung sind nicht die Worte, die ich verwenden würde, um zu beschreiben, was mich hierher führt. Es geht schlicht und ergreifend um unsere Existenz“, sagt Egon Schulte-König, Landwirt aus Sundern. Die jetzigen Beschlüsse seien die Tropfen, die das Fass zum Überlaufen gebracht hätten.
Bauernverband ruft zu bundesweiter Aktionswoche auf
Weil der Ampelregierung aus SPD, FDP und den Grünen in der Haushaltsplanung eine unübersichtliche Anzahl an Milliarden fehlt, ist Sparen das Gebot der Stunde. Den Landwirten sollen daher Subventionen wie die Steuervergünstigung von Agrardiesel gestrichen werden. Eine Welle der Entrüstung schwappt seither durchs Land. Eine teilweise Rücknahme der Sparpläne reicht dem Deutschen Bauernverband nicht aus - und rief zu einer bundesweiten Aktionswoche auf. Start: Montag, 8. Januar. Schauplatz? Unter anderem Meschede-Schüren.
Friedrich Merz ist nicht nur CDU-Chef, sondern auch Oppositionsführer. Als er als Redner angekündigt wird, wird sein Name mit Applaus und einzelnen freudvollen Juchzern bedacht. Er trägt Wollmütze und robustes Schuhwerk. Er nickt, als Wilhelm Kühn, im Hochsauerland Vorsitzender des Westfälischen Landwirtschaftsverbandes, sagt, dass er andere Möglichkeiten im Haushalt sehe, Geld zu sparen. Zum Beispiel beim Bürgergeld. „Sollen die erstmal anfangen zu arbeiten.“ Szenenapplaus.
Merz kritisiert das Hin und Her der Ampelregierung
Das sei die größte Demonstration von Landwirten, an die er sich im Sauerland erinnern könne, sagt Merz und wirft sich an die Seite der Protestierenden. „Wir teilen ein Gefühl. Und zwar, dass das ewige Hin und Her in dieser Regierung ein Ende haben muss.“ Applaus.
Das von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zuletzt als Kompromiss gepriesene Entgegenkommen, mit dem Teile des Gesetzentwurfes zurückgenommen wurden, sei „ein faules Ei“, so Merz. „Wenn der Gesetzesentwurf so in den Bundestag kommt, werden wir diesen ablehnen.“ Applaus. Und das Bürgergeldgesetz werde auch einkassiert, wenn die CDU wieder regiere. Applaus.
Merz scheut ein Versprechen an die Landwirte
Er erntet ein Raunen, als er sagt, dass er nicht versprechen könne, dass es die Subventionen für Landwirte auf alle Zeiten geben werde. „Lächerlich“, ruft einer dazwischen. Doch wenn sie zur Disposition stünden, dann erst, wenn es Alternativen zu dieselbetriebenen Agrarfahrzeugen gebe - und wenn dies keine Ungleichbehandlung innerhalb der EU bedeute. „Die“, sagt Merz, „muss aufhören.“
Der Parteivorsitzende endet mit dem Aufruf, der Protest möge in den kommenden Tagen so eindrucksvoll und friedlich fortgesetzt werden - und solle sich nicht unterwandern lassen. Die Polizei findet dafür am Montag im Hochsauerland keine Anzeichen. Es habe keine Maßnahmen gegen Teilnehmer und damit auch keine anstößigen Botschaften gegeben.
Dirk Wiese hat viele der Botschaften an sich vorbeiziehen sehen, sagt er. Im Zentrum der Kritik: die Ampel-Regierung, die durch Neuwahlen abgeschafft gehöre und in Frieden ruhen solle. „Ich bin mir der Kritik bewusst und ich kann den Unmut verstehen“, sagt der SPD-Mann. „Ich kann mir hier auch plumpen Applaus abholen, indem ich auf die Grünen schimpfe. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass in den vergangenen 18 Jahren die Grünen nur zwei Jahre lang für das Landwirtschaftsministerium verantwortlich waren.“ Es sind die vergangenen zwei Jahre. Davor lag es in den Händen von CDU und CSU.
Wiese versucht, die Ampel aus der Kritik zu nehmen. Er wisse, dass viele Landwirte seit Jahren wütend mache, „dass in der Wertschöpfungskette Landwirtschaft die Lebensmittelkonzerne sich die Taschen vollmachen“, dass die, die die Produkte herstellten, kein vernünftiges Geld dafür erhielten. „Ich kann den Unmut gegenüber der Ampel verstehen, aber er gehört auch vor die Konzernzentrale von Edeka, Rewe und Tönnies.“
Konfrontiert mit dem Hinweis, dass es weniger ein Einnahmen- als ein Ausgabenproblem gebe, sagte Wiese: „Ich halte es für völlig falsch, alle Bürgereldbezieher über einen Kamm zu scheren und zu sagen, dass sie faul sind.“ Es gebe auch jene, die allein erziehend seien und keine Kinderbetreuung vorfänden. Und jene, deren Lohn am Ende des Monats nicht ausreiche. Ebenfalls kein Applausbeitrag bei einer Klientel, die stolz darauf ist, sieben statt wie andere vier Tage in der Woche zu arbeiten.
Was von der Veranstaltung bleibt? „Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass Merz früher gegangen ist“, sagt Werner Vollmer, Landwirt aus Sundern. Der CDU-Chef hatte vorzeitig die laufende Veranstaltung verlassen müssen. „Ich hätte ihm gern noch eine Frage gestellt.“
Die Männer um Andre Kotthoff, die es nicht weit zum heimischen Hof haben, fanden Merz gut, Wiese aber auch. Sie fordern, dass das Rad der Bürokratie zurückgedreht werde. „Wir wollen in Ruhe unsere Arbeit machen“, sagt Kotthoff. Ohne „Belehrungen vom grünen Tisch“, wie Merz formulierte. Aber auch ohne weitere Erkenntnisse sei es ein guter Tag, allein um ein Zeichen der Stärke zu senden. „Das ganze Sauerland ist hier“, sagt einer aus der Gruppe: „Das zeigt den Zusammenhalt.“