Düsseldorf. Armin Laschet deutet Rückzug an. Unsere Redaktion beleuchtet die größten Fehler des Kanzlerkandidaten, die zu seinem Scheitern führten.
So schnell und brutal ist nicht einmal Martin Schulz abgestürzt: Armin Laschet, noch zu Jahresbeginn recht unangefochtener Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfale, geht als kurzer Irrtum an der Spitze der CDU in die Geschichte ein.
Mit 60 Jahren ist seine politische Karriere vorbei. Wie konnte es für den Kanzlerkandidaten der Union zu einer solchen Blitz-Demontage kommen? Eine Anatomie des Scheiterns.
Machtinstinkt
CDU-intern wird beklagt, dass Laschet nicht sofort nach seinem Sieg beim Bundesparteitag im Januar die Kanzlerkandidatur öffentlich für sich beansprucht habe. Damals hatte er die Delegierten mit einer glänzenden Rede überrascht und damit Umfrage-König Friedrich Merz bezwungen. Es war das Momentum, um von Partei und Öffentlichkeit neu gewogen zu werden.
Mit einer professionellen Erzählung über den menschelnden Laschet-Politikstil („Ich bin kein Mann der perfekten Inszenierung“) und einer klaren Ansage an K-Fragen-Konkurrent Markus Söder hätte der frisch gewählte CDU-Vorsitzende seine Partei frühzeitig hinter sich gezwungen. Der harmoniebedürftige Laschet aber dachte, man könnte mit dem politischen Raubtier Söder beizeiten eine freundschaftliche Verständigung über die Kanzlerkandidatur finden.
Kommunikation
Laschet pflegt einen erzählerischen Redestil, der sich zuweilen in Anekdoten verliert und rhetorische Unschärfen produziert. Zahlen und Fakten sind dann nur so halb richtig, „gemeint“ und „gesagt“ selten eineiige Zwillinge. Unter dem Brennglas der bundespolitischen Beobachtung gerät man so immer wieder in die Defensive.
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Anders als viele Spitzenpolitiker leistet sich Laschet überdies einen sympathisch uneitlen Umgang mit dem eigenen Bild in der Öffentlichkeit. Er unterschätzte dabei die Pranger- und Hebelwirkung der Sozialen Netzwerke: Unvorteilhafte Fotos verbreiten sich heute in Sekundenschnelle millionenfach und prägen am Ende bundesweit das Image. Führungsstärke muss eben auch in Worten und Gesten dargestellt werden können.
Disziplin
Laschet ist zwar bienenfleißig und für die Politik rund um die Uhr im Einsatz. Doch er war nie ein fokussierter Mann der Klarsichthüllen und vorausschauenden Jahresplanung, sondern eher gedankenschneller „Sponti“ mit handwerklichen Schwächen. Chefsache scheint bei ihm zu sein, was den Chef gerade interessiert.
Das führt Woche für Woche zur wilden Termin- und Themenhetze. Laschet kommt oft zu spät und betreibt Politik nie asketisch wie ein Leistungssportler. Zeit für einen Zigarillo oder ein nettes Bürger-Gespräch muss sein. Laschet glaubte bis zum Schluss, auch hundertprozentig authentisch ins Kanzleramt gelangen zu können. Formelsprache, Bilderkontrolle, Zeitfenster? Selbstaufgabe für die Macht war nie seine Option.
Krisenfestigkeit
Wenn Laschet unter Druck gerät, wirkt er schnell gereizt. In Plenardebatten mit Zwischenrufen oder kritisch geführten Interviews kann er leicht die Contenance verlieren. Das macht Bürgern, die von Kanzlern eine fast unmenschliche Souveränität erwarten, offenbar Angst.
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In der Corona-Krise etwa hat Laschet früh die richtige Abwägung zwischen Infektionsschutz und Grundrechten gesucht, verzerrte sich aber mit fahrigen Auftritten in der Öffentlichkeit selbst zum risikofreudigen „Lockerer“.
Nach der Hochwasser-Katastrophe leitete er schnell viel Geld und Hilfe in die betroffenen Gebiete, erntete aber durch unglückliche Bilder keine Akzeptanz als Krisenmanager.
Umfeld
Laschet hat sich über Jahre in eine Abhängigkeit zu seinem jungen Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski gegeben. Der ist zwar klug, freundlich und politisch hochbegabt – aber am Ende auch das Nadelöhr zum System Laschet. Alles muss über seinen Tisch, selbst wichtigste Personalien überließ Laschet lange arg sorglos seinem Majordomus.
Von dessen völliger Überlastung war am Ende die Rede. Die Profis aus dem Berliner Konrad-Adenauer-Haus inklusive der spät engagierten Top-Journalistin Tanit Koch als Kommunikationsberaterin sollen daran verzweifelt sein, dass viele gute Ideen und Ratschläge in Düsseldorf strandeten. Als Ein-Mann-Betrieb kann man keine Bundestagswahl gewinnen.
Söder
Laschet hat sich zwar intern nie Illusionen darüber gemacht, dass sich der CSU-Chef ihm überlegen fühlte. Doch er dachte, das könnte er aussitzen wie einst Helmut Kohl die Gehässigkeiten eines Franz Josef Strauß. Dem brachialen Machtwillen und politischen Geschick Söders, verkleidet als politische Freundschaft mit dem „lieben Armin“, wirkte er einfach nicht gewachsen.
Viel zu spät merkte Laschet, dass es der Franke ernst meinte mit dem Griff nach der Kanzlerkandidatur und danach alles seinem taktischen Vorteil für die bayerische Landtagswahl 2023 unterordnete. Ob Corona, K-Frage oder Jamaika-Option – TV-Profi Söder ließ keine Gelegenheit ungenutzt, Laschets Autorität öffentlich zu untergraben.
Kampagne
Das lange Corona-Führungsvakuum hat in der Union dazu geführt, dass erst im April eine Bundestagswahlkampagne für den Kanzlerkandidaten Laschet geplant werden konnte. So sah sie dann bis zum 26. September auch aus. Statt die moderierenden Talente, die rheinische Freundlichkeit und die weltanschauliche Verlässlichkeit des liberalen Aacheners zu betonen, wurde Laschet mit Begriffen wie „Entschlossenheit“ und „Stärke“ belegt.
Die teilweise grotesken Plakatfotos erweckten den Eindruck, als sei der Protagonist damit selbst nicht glücklich. Ein „Zukunftsteam“ wurde dem Teamplayer erst eilig wenige Tage vor der Wahl zusammengebastelt. Auf den Deutungskampf in den Sozialen Netzwerken wirkte die Union auch zwei Jahre nach der „Zerstörung“ durch den Youtuber Rezo überhaupt nicht vorbereitet.