Berlin. Neid auf diejenigen, die schon gegen das Coronavirus geimpft sind, empfinden gerade viele Menschen. Doch muss man sich dafür schämen?

  • Ganz Deutschland diskutiert über ein Gefühl: Impfneid
  • Fast jeder Vierte hat inzwischen seine erste Impfung erhalten
  • Der Rest ohne Termin fragt sich: Wann bin ich dran?
  • Impfneid ist nichts, wofür man sich schämen sollte

Die gute Bekannte war schon dran. Sie ist Mitte 40, hat keine Vorerkrankungen, arbeitet nicht in der Pflege, weder pflegt sie Angehörige noch ist sie Lehrerin oder systemrelevante Beamtin. Allein ihre Hausärztin wird wissen, warum sie sie jetzt schon gegen Covid-19 geimpft hat – und auch ihren Ehemann gleich mit. Denn am Abend waren noch zwei Dosen über.

Der Kollege hat eine schwangere Bekannte, die ihn als enge Kontaktperson nominiert hat. Und in den sozialen Medien posten immer mehr Menschen das Pflaster an ihrem Arm, als ob sie aller Welt zeigen wollten: Ich habe es geschafft! So als ob sie den New-York-Marathon bei 30-Grad-Hitze mitgelaufen wären. So viel Euphorie, Glück oder gute Kontakte lösen bei vielen Menschen nichts anderes als Impfneid aus. Doch ist das alles so richtig?

Corona und der Impfneid: Alles anders, als man denkt

Diana Zinkler, Politikkorrespondentin.
Diana Zinkler, Politikkorrespondentin. © Krauthoefer | Krauthoefer

Eher nicht. Denn die geimpfte Freundin traut sich nicht, ihren Kollegen oder ihren Nachbarn zu erzählen, dass sie die Spritze schon bekommen hat. Sie möchte eben nicht Neid verursachen oder anderen das Gefühl geben, sie hätten etwas verpasst, sich weniger gekümmert oder dass sie einfach schlechter dran sind.

Sie hat die Chance ergriffen, ohne dass sie viel dafür tun musste. Vielleicht hatte sie ein bisschen Glück. Wer kann es ihr verdenken? Wer hätte nicht ähnlich gehandelt und den Arm hingehalten?

Denn mit einer Corona-Impfung sinkt die Angst vor einer Ansteckung, vor einem schweren Verlauf erheblich und lockt die Welt der Freiheiten. Die Diskussion über Privilegien für bereits Geimpfte befeuert den Run auf die Impfungen noch. Jeder will dabei sein, wenn es heißt, ab heute könnt ihr mit Erst- und Zweitimpfung unbeschwert losfliegen und urlauben, ins Kino gehen, im Restaurant sitzen.

Corona-Impfneid ist richtig gut für die Herdenimmunität

Und natürlich gibt es noch einen anderen Grund, den weniger egoistischen, den für alle besseren: Denn das Ziel ist ja, dass irgendwann 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung immun gegen Corona sind, erst dann schützt die Herdenimmunität vor vollen Intensivstationen. Jeder oder jede Geimpfte macht die Gemeinschaft stärker, öffnet Läden und Schulen, führt zu weniger Toten und der früheren Rückkehr zu dem Alltag, den sich die meisten Deutschen wünschen.

Und trotzdem ist der Neid nicht ganz unberechtigt. An dem Gefühl ist etwas Wahres dran. Es ist die immer lauter werdende Kritik daran, wie es läuft.

Neid, was ist das eigentlich?

Neid spürt man nämlich nicht nur, wenn man sich zu kurzgekommen glaubt, man fühlt ihn auch, wenn man meint, gleiche Voraussetzungen wie der oder die andere für das erstrebenswerte Gut zu haben. Umso ungerechter ist es, wenn gleiche Voraussetzungen mit einem guten Draht zum Hausarzt ersetzt werden. Dann nämlich zeigt sich, nicht alle sind gleich oder werden gleich behandelt. Und das löst eine innere Unruhe aus, die eh schon seit Beginn dieser Pandemie vorhanden ist: das Gefühl, die Zukunft oder das Geschehen nicht mehr kontrollieren zu können. Und den Kon­trollverlust erleben einige mehr als andere. Zu verständlich ist es daher, wenn alle möglichst bald aus diesem Tunnel herauswollen. Und die Corona-Impfung steht für das Ende des Kontrollverlusts.

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Warum Impfneid besser ist, als Impfverweigerer zu sein

Daher ist ein bisschen von dem Neid völlig berechtigt und logisch. Insofern ist die (späte) Erlaubnis, den raren Impfstoff auch in Hausarztpraxen zu impfen, im Nachhinein doch richtig gewesen. So hat die Bundesregierung garantiert, dass erst die sehr alten Menschen und die Kranken drankommen.

Stand jetzt sind bereits 7,5 Prozent der Deutschen zweimal geimpft, knapp 25 Prozent haben eine erste Dosis erhalten. Es bleibt also noch ein bisschen Zeit für Neid. Aber ist das nun schlimm? Überhaupt nicht. Denn wer drankommen möchte, ist wenigstens kein Impfverweigerer. Lesen Sie dazu: Was Sie tun können, damit Sie schneller geimpft werden