Essen. Mitten in der Corona-Pandemie starten am Freitag in NRW die Abiprüfungen. Welche Ängste und Sorgen die Schülerinnen und Schüler begleiten.

Unterricht im Kinderzimmer, lernen am Bildschirm zu Hause, Maskenpflicht, Testpflicht, Wechselunterricht, verschobene Prüfungen, ausgefallene Abschlussfahrten und abgesagte Abipartys. Wer in diesem Jahr Abitur macht, musste nicht nur seinen Stoff pauken, sondern zudem lernen, mit Stress umzugehen und flexibel zu bleiben. Rund 90.000 Schülerinnen und Schüler werden ab dem 23. April in die schriftlichen Abi-Prüfungen gehen. Der Jahrgang 2021 ist bereits der zweite, der ein „Corona-Abitur“ unter besonderen Bedingungen ablegen muss.

Mit welchem Gefühl gehen die Schüler in die bis jetzt wichtigste Prüfung ihres Lebens? Wie konnten sie sich vorbereiten? Was erwarten sie für ihre Zukunft? Das fragten wir fünf Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Bockmühle in Essen. Für sie war es keine Selbstverständlichkeit, es bis zum Abi zu schaffen. Und alle sagen, dass sie ihren Lehrern unendlich dankbar sind: „Ohne sie hätten wir es nicht soweit geschafft.“

„Die Lehrer haben das Unmögliche möglich gemacht“

David Youssef von der Gesamtschule Bockmühle in Essen will erst nach dem Abitur über seine Zukunft nachdenken.
David Youssef von der Gesamtschule Bockmühle in Essen will erst nach dem Abitur über seine Zukunft nachdenken. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

David Youssef (19): „Beim ersten Lockdown im letzten Jahr habe ich noch deutlich weniger gemacht und Sachen teilweise erst kurz vor der Abgabefrist per Mail geschickt. Das hat sich jetzt aber deutlich geändert. Meine Eltern haben mich und meine Geschwister zu Hause super unterstützt. Auch mein Stipendium der Roland-Berger-Stiftung hat mir geholfen, das alles zu schaffen. Im Distanzunterricht haben mir die sozialen Netzwerke immer sehr geholfen, so konnte ich mit einigen Mitschülern doch noch Kontakt halten. Ich habe mich auch persönlich weiterentwickelt und kann jetzt gut mit Computerprogrammen umgehen. Ich schreibe mein Abi in Biologie und Dinge wie Neurobio zu Hause alleine zu lernen, ist einfach total herausfordernd. Irgendwie hat das aber alles geklappt und unsere Lehrer haben uns total geholfen. Sie haben das Unmögliche möglich gemacht und uns zum Abitur geführt. Mein Schnitt hat aber unter dem Ganzen gelitten. Ich würde nach dem Abi gerne Rechtswissenschaften studieren. Ob das jetzt klappt, weiß ich nicht. Erst einmal will ich aber den Abschluss schaffen. Dann schaue ich, wie und wo ich studieren kann. Ich fände es traurig, wenn Leute sagen, dass unser Abitur weniger wert ist als zum Beispiel das vor zwei Jahren.“

„Wir mussten stark sein“

Die 19-jährige Douaa Hussein ist die Erste in ihrer Familie, die Abitur macht. Und das unter erschwerten Corona-Bedingungen.
Die 19-jährige Douaa Hussein ist die Erste in ihrer Familie, die Abitur macht. Und das unter erschwerten Corona-Bedingungen. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Douaa Hussein (19):Das Homeschooling war zuerst total ungewohnt. Die Lehrer schickten uns unzählige Aufgaben, auch für Fächer, die wir gar nicht im Abi haben. Die wussten gar nicht, wie viel sie uns insgesamt geschickt haben. Ich fühlte mich ziemlich überfordert. Schule und privates Leben wurden eins, das fand ich schwierig, weil man sich zu Hause nicht so verpflichtet fühlte zu lernen.Schwierig fand ich auch, dass ich bei Problemen nicht direkt meinen Lehrer fragen konnte. Ich musste mir vieles selbst beibringen, meine Eltern können mir dabei nicht helfen. Ich bin die erste in meiner Familie, die Abi macht. Manchmal fühle ich mich schon ein bisschen allein mit allem. Besonders in Mathe fehlt mir Stoff. Im Unterricht lerne ich leicht, aber ich kann mir das nicht alles selbst beibringen. Bis zum Lockdown hatte ich immer eine Zwei, dann bin ich auf eine Vier abgerutscht, das kannte ich nicht von mir. Vor der Matheklausur habe ich daher ein bisschen Schiss.Die Lehrer versuchen ihr Bestes, fragen nach, ob wir etwas brauchen. Doch wir haben Lücken, vor allem in den Leistungskursen. Wir lernen auf Lücke und hoffen, dass nur der gelernte Stoff drankommt. Ich frage mich, wo ist da die Chancengleichheit. Im Vergleich mit den anderen Jahrgängen ist das ungerecht. Die Abivorbereitungen haben wirklich unter Corona gelitten. Aber wir sind auch stark. Wir mussten die ganze Zeit wirklich stark sein.“

„Ein Traum ist geplatzt“

Eleni Konstantinidou musste sich im Distanzunterricht auch um ihre Geschwister kümmern.
Eleni Konstantinidou musste sich im Distanzunterricht auch um ihre Geschwister kümmern. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Eleni Konstantinidou (19): „Ich habe zwei kleine Schwestern, die noch in die Grundschule gehen. Ich habe ihnen geholfen mit ihren Aufgaben. Das war für mich manchmal eine komplette Überforderung. Ich bin einfach traurig, wie die Politik mit uns umgeht, die unterschätzen den Stress total. Die Inhalte wurden ja nicht weniger. So sind große Lücken entstanden. Um eine Theorie zu lernen, braucht man seinen Lehrer, das kann man sich nicht alles selbst beibringen. Aber nicht nur beim Stoff fehlt uns etwas. Auch die Erinnerungen werden uns fehlen. Wir hatten keine Abifahrt, keine Mottowoche, keinen Abischerz, keinen Abiball. Wir wurden in die Situation hineingeschmissen und mussten so schnell erwachsen werden. Da ist ein Traum geplatzt wie ein Luftballon. Drei Jahre haben wir uns auf den Moment gefreut, wie wir mit unseren Eltern unsere Zeugnisse für den größten Schulabschluss bekommen. Jetzt können sie vermutlich nicht dabei sein und sagen, wir sind stolz auf dich. Das Zeugnis kommt wahrscheinlich mit der Post. Das ist einfach megatraurig. Ich wollte nach dem Abi gerne Medizin studieren, aber mein NC wird nicht mehr so gut sein. Es fällt uns total schwer, den Lehrern auf Distanz zu danken und Tschüss zu sagen. Sie haben uns immer unterstützt. Sie sind stolz auf uns und wir sind stolz auf sie. Da haben wir gemerkt, dass wir nicht allein sind. Deshalb waren die letzten Jahre trotz Corona die schönsten Jahre meines Lebens.“

„Ich habe durch Corona ein ganzes Jahr verloren“

Terence Amankwah hätte eigentlich schon im letzten Jahr Abitur gemacht, erkrankte dann aber an Corona.
Terence Amankwah hätte eigentlich schon im letzten Jahr Abitur gemacht, erkrankte dann aber an Corona. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Terence Amankwah (20): „Corona hat mich ein volles Schuljahr gekostet. Ich war schon im Abijahrgang 2020 dabei, aber dann wurde ich krank, hatte Corona in der Prüfungsphase. Ich habe Sport und Bio als Leistungskurse. Ich musste alle Prüfungen nachschreiben, das hat nicht so gut geklappt. Das Basketball-Training fiel komplett aus. Und den Fünf-Kilometer-Lauf musste ich auch nachholen. Aber in der Quarantäne konnte ich nicht trainieren. Ich war nicht mehr fit, brachte nicht meine normale Leistung. Jetzt nehme ich den zweiten Anlauf. Das alles war Mist für mich. Wir haben an der Gesamtschule schon neun Schuljahre bis zum Abi, und ich musste noch ein Jahr dranhängen. Jetzt bin ich schon 20. Meine Pläne sind dadurch auch kaputtgegangen. Eine Ausbildung als Eventmanager kommt ja nun auch nicht mehr infrage. Jetzt will ich erstmal das Abi schaffen, dann werde ich mich neu orientieren. Ich hätte mir gewünscht, dass die Politik uns mehr entgegenkommt und unsere Lage versteht und einige Inhalte streicht. Wir haben ein bisschen mehr Zeit bekommen, aber das reicht nicht. Man braucht Lehrer, um direkte Fragen loszuwerden, wenn man etwas nicht verstanden hat. Ich kann nicht für jede Kleinigkeit eine Mail schreiben und dann ein oder zwei Tage auf die Antwort warten. Wir waren schon viel auf uns allein gestellt. Aber wir sind unseren Lehrern sehr dankbar. Zu wissen, dass wir jemanden im Rücken haben, war sehr wichtig. Sie haben sich Zeit für uns genommen. Sie wollen, dass wir es schaffen.“

„Das ging mir alles an die Psyche“

Kajetan Wiwatowski wurde viel von seinen Lehrerinnen und Lehrern unterstützt.
Kajetan Wiwatowski wurde viel von seinen Lehrerinnen und Lehrern unterstützt. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Kajetan Wiwatowski (20): „Ich bin 2010 nach Deutschland gekommen und habe in Beckum die dritte Klasse besucht. In der vierten bin ich dann nach Essen gewechselt. Meine Lehrer haben mir damals eine Hauptschulempfehlung gegeben und jetzt sitze ich hier kurz vor dem Abitur. Das macht schon stolz, es könnte aber besser sein. Das letzte Jahr war sehr stressig. Für mich war mein zu Hause immer ein Ruheort, um runterzukommen. Auf einmal musste ich dort lernen oder Sport machen. Natürlich gab es auch immer etwas Stress, wenn alle zu Hause aufeinandersitzen. Weil ich ein Auto habe, das ich finanzieren muss, habe ich nebenbei auch noch gearbeitet. Wegen Corona wurde mir aber auch der Job irgendwann gestrichen. Das ging mir alles an die Psyche. Meine Lehrerin hat das aber irgendwie gemerkt und ist auf mich zugekommen, hat mit mir gesprochen und mich noch mehr unterstützt. Dafür bin ich wirklich total dankbar. Manche Entscheidungen der Politik konnte ich nicht verstehen, ich habe mich dadurch oft benachteiligt gefühlt. Es ist viel schwieriger, in dieser Situation zu lernen.“