Berlin. In der Corona-Bekämpfung mangelt es an Kommunikation, Impfstoff und Perspektive - es läuft schlechter als die Politik weismachen will.

Sie ist kein Politprofi, nur eine Sportlerin, ein Weltstar, aber auch ihr VIP-Status schützt Katharina Witt nicht vor dem Corona-Blues. Auf ihrer Facebook-Seite hadert die frühere Eisläuferin mit der Politik: „Als Kapitän, inmitten eines Sturms mit meterhohen Wellen, kann ich doch nicht im Leuchtturm sitzen, mit Fernglas den Horizont nach Gefahrenquellen absuchen und Durchhalteparolen über Funk durchgeben.“ Durchhalten – ein Wort, und jeder sieht sie vor sich: die abgehärtete Kanzlerin. Schon in der Impfdebatte beschlich FDP-Chef Christian Lindner das Gefühl, dass Angela Merkel „die große Zahl der Menschen in unserem Land nicht abgeholt“ hat. Vielleicht muss die Fehlersuche im Corona-Management hier beginnen: in der Kommunikation. Über die Fehler­inzidenz des Krisenmanagements.

Corona Fehler Nr. 1: Die unglückliche Impfkampagne

Über die Impfaktion sagt Merkel, „im Großen und Ganzen“ sei „nichts schiefgelaufen“. Der Chef des französischen Pharmakonzerns Sanofi, Paul Hudson, sah das schon im April 2020 anders: Die Vorbereitungen in Europa seien zu langsam, die USA würden sich den ersten Zugriff auf die Impfstoffe sichern. Die Bundesregierung hatte es im Frühjahr versäumt, zügig Liefervereinbarungen mit Pharmaherstellern zu schließen und sich um Produktionskapazitäten zu bemühen – so wie die USA.

In Berlin konzentrierte man sich auf die Forschungsförderung, ohne sie an konkrete Lieferzusagen zu knüpfen. Die Impfstoffbeschaffung legte man in die Hände der EU-Kommission. Das war im Sinne der europäischen Solidarität. Nach monatelanger Zögerlichkeit folgte das zweite Versäumnis: Das Gesundheitsministerium wurde zwar einbezogen in die Gespräche der EU, sorgte aber nicht für Tempo. Die Kommission brauchte mehr als zwei Monate, um einen Vertrag mit Astrazeneca zu finalisieren. Ob wie versprochen bis September allen Bürgern ein Impfangebot gemacht werden kann, ist offen.

Corona Fehler Nr. 2: Kein Plan, keine Perspektive

Am 3. März treffen sich Kanzlerin und Länderchefs wieder. Vielleicht wird der Lockdown gelockert, vielleicht auch nicht. So geht es seit Monaten. Ebenso lange beklagt der Virologe Hendrik Streeck, „dass wir es nicht schaffen, die Bevölkerung kommunikativ über die nächsten drei Wochen hinaus mitzunehmen“. Es fehle ein Langzeitplan. Ursprünglich hatten sich Kanzlerin und Länderchefs einen Fahrplan vorgenommen – nun wundert sich die Mainzer Regierungschefin Malu Dreyer (SPD): „Das Kanzleramt scheint gar nicht interessiert, über irgendwelche Lockerungsschritte zu sprechen.“

Corona Fehler Nr. 3: Parlament an den Rand gedrängt

Am Mittwoch das Update der Restriktionen, tags drauf ist Merkel im Bundestag. Man beachte die Reihenfolge. Und: Das Parlament wird nicht gefragt. Beim Verfassungsgericht stehen 880 Verfahren zu Corona-Einschränkungen an. Der frühere Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier hätte sich „nie vorstellen können“, dass so intensive Freiheitsbeschränkungen von der Exekutive allein beschlossen werden.

Corona Fehler Nr. 4: Die ungeschützten Alten

Erst seit wenigen Wochen fordern die Kommunen massiv Soldaten als Testpersonal für die Heime an – das Korrekturmanöver eines Versäumnisses. Seit Monaten weiß man, dass das Durchschnittsalter der Todesopfer bei über 80 Jahren liegt. Für den Virologen Jonas Schmidt-Chanasit war es absehbar, dass diese Altersgruppe ein hohes Risiko hat. „Das ist wirklich sehr traurig.“ Bundeswehr, Technisches Hilfswerk, freiwillige Helfer. „Das kostet etwas, ist aber im Vergleich zu den milliardenschweren Überbrückungshilfen leistbar“, sagte er dem Hamburger Abendblatt.

Corona Fehler Nr. 5: Wumms-Paket ohne Zustellung

Die Bundesregierung verspricht Wumms-Pakete. Häufig kommen Hilfen zu spät oder nicht an. Gelegentlich bricht sich die Realität Bahn. So wie neulich, als das Video einer Friseurin aus Dortmund viral geht: „Es ist noch keine Überbrückungshilfe angekommen … Jetzt werden wir alle im Stich gelassen.“ Der Eigentümer der Motel-One-Kette rechnet im „Stern“ vor: 100 Millionen Euro Verlust in 2020. Entschädigungszahlung: 50.000 Euro. Die Politik mache ihn „zum Wutbürger“, sagt ein Kinobesitzer der Berliner Morgenpost.

Corona Fehler Nr. 6: Hü und hott

Friseure dürfen zum 1. März öffnen, andere nicht. Im Büro sind die Zahl der Kontakte nicht beschränkt, fürs Privatleben gilt die Ein-Freund-Regel. Überall gilt das Abstandhalten, aber die Fluggesellschaften dürfen den Mittelsitz in ihren Maschinen verkaufen. Widersprüche begleiten die Corona-Politik. Die Maßstäbe für Lockerungen wechseln. Erst verweist Merkel auf den R-Wert. Die nächste Warnmarke ist eine Inzidenz von 50 Neuinfizierungen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Seit dem letzten Gipfel ist die 35 die neue 50.

Schon der 50er-Wert war eine gegriffene Zahl – „im Grunde ein Kuhhandel“, so der Heinsberger Landrat Stephan Pusch. Merkel hatte die Marke damit begründet, dass die Gesundheitsämter bei höheren Inzidenzen kaum mit der Kontaktverfolgung nachkommen. Aber viele Oberbürgermeister widersprechen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Politik eines Besseren belehrt wird. „Auch der klassische OP-Mundschutz, den viele tragen, schützt sehr überschaubar, um es so zu formulieren“, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn am 11. März. Inzwischen gilt die Maskenpflicht.