Brüssel. Ursula von der Leyen räumt Fehler bei der Impfstoffbeschaffung ein. Der Druck auf die EU-Kommissionspräsidentin nimmt immer weiter zu.

Es sind die härtesten Wochen ihrer politischen Karriere: Die Kritik an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wegen des verpatzten Impfstarts in großen Teilen Europas lässt nicht nach. Von der Leyens Kommission hatte die Beschaffung des Impfstoffs für die gesamte EU übernommen, doch das Ergebnis ist nicht nur in Deutschland bislang mangelhaft.

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Nicola Beer (FDP), sagte unserer Redaktion: „Frau von der Leyen hat sich mit der Impfstoffbeschaffung verhoben.“ Der Ansatz, dass Europäer Vakzine gemeinsam beschaffen, sei richtig gewesen. Aber: „Es gibt große Zweifel, dass er professionell ausgeführt wurde.“

Impfstoffe: Von der Leyen gesteht Versäumnisse bei der Planung ein

Bislang hatte von der Leyen jede Kritik zurückgewiesen, jetzt räumt sie doch Versäumnisse ein – und bereitet sogar auf neue Lieferprobleme vor: Die EU habe unterschätzt, welche Komplikationen und Verzögerungen bei der Herstellung solcher Impfstoffe auftreten könnten, erklärte die 62-Jährige in einem Interview mit europäischen Zeitungen.

Vor allem zwei Eingeständnisse sind bemerkenswert: Man habe sich zu sehr auf die Entwicklung des Vakzins konzentriert und nicht ausreichend und rechtzeitig über den Aufbau einer Massenproduktion für den Impfstoff nachgedacht, bestätigt von der Leyen ihre Kritiker. Es gab aber seit dem Frühjahr 2020 genug Warnungen, dass die Herstellungskapazitäten das zentrale Nadelöhr sein würden – die USA etwa pumpten deshalb, anders als die EU, früh Milliarden in den Ausbau der Produktion.

Von der Leyen rückt auch von der Einschätzung ab, die Brüsseler Bestellungen bei sechs Pharmaunternehmen seien tadellos gelaufen. Auf den Vorwurf, die EU sei da „zu träge“ gewesen, sagte sie: „Ein Land kann ein Schnellboot sein, und die EU ist mehr ein Tanker.“ Wobei sie den Mitgliedstaaten, die in die Verhandlungen einbezogen waren, eine Mitverantwortung gibt. Lesen Sie hier: Experten in Sorge: Coronavirus-Variante mutiert erneut

Wetteifern um die härteste Brüssel-Schelte

Ob das Manöver genügt, um den enormen Druck zu dämpfen? Parlamentsvize Beer sagt, von der Leyens Eingeständnis komme „viel zu spät“ und sei „halbherzig“. „Dass sie sich erst auf massiven Druck bewege, bescheinige der Kommissionspräsidentin „wenig politisches Fingerspitzengefühl.“

Die Stimmung unter den EU-Abgeordneten ist ebenso angespannt wie in den Regierungen der Mitgliedstaaten. Der Chef-Haushälter im Parlament, Johan van Overtveldt, schimpfte diese Woche: „Wir haben frühzeitig gesagt, dass nicht genug getan wird – wir haben Recht gehabt.“

In Deutschland wetteifern CSU-Chef Markus Söder und SPD-Vizekanzler Olaf Scholz um die härteste Brüssel-Schelte, Scholz nennt das EU-Management eine „Sauerei“. Kanzlerin Angela Merkel verteidigt von der Leyen aber: „Ich finde, dass die Grundentscheidungen richtig waren.“

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Parlamentarier fordern Untersuchungsausschuss

Im EU-Parlament nächste Woche und dann beim EU-Gipfel der Regierungschefs in zehn Tagen erwartet die Präsidentin neuer Ärger. Wie verheerend die Stimmung in vielen Hauptstädten ist, erlebte ihr enger Vertrauter Björn Seibert, als er diese Woche zum Rapport bei den EU-Botschaftern antreten musste. Das Vertrauen in die Präsidentin habe massiv gelitten, berichteten Diplomaten nach der Sitzung.

Im EU-Parlament gibt es erste Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss. Von der Leyen denkt aber nicht ans Aufgeben, frühere Krisen hat sie ja auch überstanden. Erst am Ende ihres Mandats 2024 werde Bilanz gezogen, sagt sie: „In der Politik gibt es immer Höhen und Tiefen.“