Berlin. CDU-Vize Volker Bouffier über die Corona-Demonstrationen, Maßnahmen-Lockerungen an Weihnachten – und den Machtkampf in der Union.
Er gehört zu den einflussreichsten Stimmen in der Union: der stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Bouffier , der in Hessen eine schwarz-grüne Landesregierung führt. In der Corona-Krise setzt er auf die Vernunft der Bürger. Und in der Debatte über ein AfD-Verbotsverfahren bezieht er klar Stellung.
Herr Bouffier, wie verbringen Sie Weihnachten?
Volker Bouffier: Wir sind eine Großfamilie mit drei Omas - 96, 93 und 90 Jahre alt. Normalerweise feiern bei uns vier Generationen zusammen. Dieses Jahr machen wir das alles nicht. Wir werden Weihnachten und auch Silvester zu Hause im sehr kleinen Kreis verbringen.
Die Ministerpräsidenten haben mit der Kanzlerin beschlossen, die Corona-Schutzmaßnahmen über die Feiertage wieder zu lockern. Wie riskant ist das?
Bouffier: Epidemiologisch wäre es richtig, gar keine Kontakte zuzulassen. Den größten Erfolg hätten wir, wenn wir alles dicht machen und keiner mehr andere Menschen trifft. Auf der anderen Seite brauchen wir für die Maßnahmen ein gewisses Maß an Akzeptanz.
Soll heißen?
Bouffier: Der große Teil der Bevölkerung muss einsehen, dass die Auflagen notwendig sind, um das Coronavirus zu besiegen. Dazu gehört, dass man auf unterschiedliche Infektionslagen schnell und zielgerichtet reagiert - und den Menschen erklärt, warum man was macht. Wenn wir an Weihnachten lockern, tun wir das aus guten Gründen. Aber das Risiko steigt. Deshalb muss man das Pandemiegeschehen im Blick haben. Wir bauen darauf, dass die Menschen sich trotz der Lockerungen vernünftig verhalten.
Was passiert, wenn das Ziel - weniger als 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen - bis Weihnachten nicht erreicht wird? Verschärfen Sie die Regeln dann noch einmal?
Bouffier: Ich rate dazu, dass wir uns an die vereinbarte Linie halten. Viele Menschen wollen sich gerade um die Weihnachtszeit mal wieder sehen. Wenn wir darauf nicht eingehen, werden wir große Probleme bekommen. Es wird nicht einfach sein, das Infektionsgeschehen auf das Niveau von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner zu senken. Ich kann auch nicht ausschließen, dass wir das Ziel nicht erreichen.
Gastronomen und Kulturschaffende leiden besonders unter dem Lockdown. Können sie über den Jahreswechsel hinaus mit staatlichen Hilfen rechnen?
Bouffier: Wir machen den Lockdown ja nicht, um irgendjemand zu ärgern. Noch nie hatten wir so viele Tote! Der Staat muss Maßnahmen ergreifen, um die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen, das heißt vor allem: Kontakte einschränken. Und denjenigen, die besonders unter den Auflagen leiden, finanziell unter die Arme greifen. Wir können diese Hilfen aber nicht auf Dauer leisten. Bundespolitiker fordern, die Länder sollen auch mal zahlen. Die Länder zahlen sehr viel - schon die ganze Zeit. Hessen allein hat zwölf Milliarden Euro bereitgestellt. Der Ruf, die Länder sollen mal was tun, ist sachlich völlig unbegründet. Und den Stil finde ich unsäglich. Nur ein Beispiel: Wir haben beschlossen, die Gewerbeausfälle der Kommunen zu ersetzen - die Hälfte der Bund, die Hälfte die Länder. Das sind Milliarden!
Haben Sie Verständnis für jene, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen?
Bouffier: Man muss differenzieren. Wir müssen die Corona-Demonstranten und ihre Sorgen ernst nehmen. Viele werden von den Maßnahmen hart getroffen, und sie müssen eine Antwort bekommen, was wir warum tun. Wir haben kein Recht, jeden zu verurteilen, der jetzt auf die Straße geht. Davon trenne ich diejenigen, die mit Gewalt unterwegs sind, den Staat zerstören wollen oder mit der Reichskriegsflagge herumrennen. Ich halte es für richtig, dass der Staat auch präventiv tätig wird. Und es dient der Prävention, wenn der Verfassungsschutz bei den Protesten der „Querdenker“ genau hinschaut.
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Welche Erkenntnisse haben Sie über „Querdenker“ im Staatsdienst, in den Reihen der Polizei?
Bouffier: In der hessischen Polizei sind 20.000 Leute. Da wird es auch den einen oder anderen geben, der vielleicht so denkt.
Seit 2015 hat es 77 Verfahren gegen hessische Polizisten wegen des Verdachts auf rechtsradikale Gesinnung gegeben. Sind das Einzelfälle?
Bouffier: Wir betreiben die Aufklärung mit ganz vielen Kräften, haben einen Sonderermittler und eine Expertenkommission einberufen, die gute Fortschritte machen. Es geht darum, gruppendynamische Prozesse so zu beeinflussen, dass nicht ein falsch verstandener Korpsgeist entsteht. Umgekehrt dürfen wir die Polizei nicht in eine Situation bringen, in der insgesamt das Vertrauen verloren geht.
Haben Sie Hinweise auf ein rechtes Netzwerk?
Bouffier: Die Frage ist: Was ist ein Netzwerk? Heute ist jeder in Chatgruppen unterwegs. Da kommt man von Staats wegen nicht rein. Deshalb ist es sehr schwierig, verbindliche Aussagen zu dieser Frage zu treffen. Ich verfüge jedenfalls über keine Erkenntnisse, dass wir ein flächendeckendes rechtes Netzwerk in der hessischen Polizei hätten, wir können es aber auch nicht verniedlichen.
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Über hessische Polizeicomputer wurden Daten von Persönlichkeiten wie der Linke-Politikerin Janine Wissler abgefragt, die daraufhin Drohmails mit der Unterschrift „NSU 2.0“ bekamen - in Anlehnung an die NSU-Terroristen. Können Sie ausschließen, dass es zu weiteren Morddrohungen kommt?
Bouffier: Das kann niemand auf dieser Welt ausschließen. Wir tun alles, damit so etwas nicht mehr passiert.
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Verdächtige im Fall „NSU 2.0“ haben Verbindungen zur AfD. Wie denken Sie über Forderungen - zuletzt von Thüringens Innenminister Georg Maier -, ein AfD-Verbotsverfahren anzustrengen?
Bouffier: Das ist keine politische Frage, das ist eine fachliche Frage. Der Verfassungsschutz muss prüfen und entscheiden. Wenn der Kollege in Thüringen über entsprechende Erkenntnisse verfügt - okay. Ich möchte nur auf die gescheiterten NPD-Verbotserfahren hinweisen. Wir haben eine sehr klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dazu kommt die europäische Rechtsprechung. Wenn man einen solchen Anlauf nimmt, braucht man sehr gute Argumente. Ich kann nichts beitragen, was für ein erfolgreiches AfD-Verbotsverfahren spricht. Und wenn man am Bundesverfassungsgericht scheitert, ist das mehr als kontraproduktiv.
Ihren Parteitag hält die AfD analog ab - mit 600 Delegierten. Wie macht es die CDU im Januar?
Bouffier : Wir entscheiden unabhängig von dem, was die AfD macht. Ich würde als CDU einen solchen Präsenzparteitag derzeit nicht veranstalten. Es läuft wohl auf einen Digitalparteitag hinaus - mit anschließender Briefwahl des neuen Parteivorsitzenden. Das wünscht sich eigentlich keiner, aber wenn die Pandemie und die Rechtslage kein anderes Verfahren zulassen, muss man es so machen.
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Friedrich Merz hat den Streit um den Parteitagstermin eskaliert - und gewonnen. Ist das eine Vorentscheidung im Kampf um den CDU-Vorsitz?
Bouffier : Präsidium und Bundesvorstand der CDU haben einstimmig die Entscheidung getroffen, den Parteitag zu verschieben - wegen der Corona-Pandemie. Dass es um die Verhinderung von Friedrich Merz gegangen sei, ist Unsinn. Wem dieses Theater nutzt, wird man sehen. Ich war sehr unglücklich über diese Art. Ich lasse mir auch nicht erklären, ich sei von finsteren Motiven getrieben oder geistig umnachtet. So ist es nicht! Ich habe jetzt den Eindruck, dass alle drei Kandidaten mit dem gefundenen Verfahren zufrieden sind.
Wie lange kann die Union sich Zeit lassen mit der Kür des Kanzlerkandidaten?
Bouffier : CDU und CSU müssen gemeinsam einen Kanzlerkandidaten berufen. Markus Söder hat schon erklärt, im Mai wäre es noch früh genug. Ich persönlich bin anderer Meinung. Wenn wir einen CDU-Vorsitzenden gewählt haben, sollten wird die Kanzlerkandidatur relativ schnell entscheiden. Da sollte nicht zu viel Zeit ins Land gehen. Am Ende muss man sich verständigen.
Ist es vorstellbar, dass ein frisch gewählter CDU-Chef dem Vorsitzenden der kleinen Schwesterpartei den Vortritt lässt?
Bouffier : Der neue Parteivorsitzende muss sagen, was er will und wie es weitergehen soll. Und die CDU, die ihn gerade gewählt hat, wird ihn nicht im Regen stehen lassen. Als Schwesterpartei einigt man sich - und das ist ganz vorneweg die Aufgabe des neuen Vorsitzenden.
Wenn Sie persönlich auf 2020 zurückblicken - war das Ihr härtestes Jahr?
Bouffier : Ja. Die Anschläge in Hanau und Volkmarsen, der tragische Tod meines Weggefährten Thomas Schäfer, die Pandemie, meine Krebserkrankung - das fordert. Ich bin sehr dankbar, dass meine Gesundheit stabil ist. Das ist nicht selbstverständlich.
Haben Sie entschieden, ob Sie bis zum Ende der Wahlperiode 2024 im Amt bleiben?
Bouffier : Darüber reden wir, wenn es soweit ist. Jetzt ist es nicht soweit.
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