Berlin. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans über die Verkürzung der Arbeitszeit – und was er von seinem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz erwartet.

Kölner brauchen wenig Schlaf. Es war eine kurze Nacht für Norbert Walter-Borjans nach dem jüngsten Corona-Koalitionsgipfel. „Nowabo“, wie der Vorsitzende in der SPD gerufen wird, ist beim Gespräch im 6. Stock des Willy-Brandt-Hauses dennoch hellwach. Ein Karnevalist und „Effzeh“-Köln-Fan hat Stehvermögen. Als Übergangslösung an der Spitze der kriselnden Volkspartei sieht sich der 67-Jährige keineswegs. Gemeinsam mit seiner Co-Chefin Saskia Esken hat der Finanzexperte noch viel vor mit der SPD – und mit Olaf Scholz.

Sie sind angetreten, um die SPD aus der großen Koalition zu führen. Warum ist daraus nichts geworden, Herr Walter-Borjans?

Norbert Walter-Borjans: Ich habe den Koalitionsbruch nie als Selbstzweck gesehen.

Ihre Diagnose war eindeutig: Diese Koalition kann „nicht die Probleme mit dem Anspruch der SPD lösen“.

Walter-Borjans: Ich bezweifle nach wie vor, dass mit CDU und CSU sozial-ökologische Erneuerung und Zusammenhalt zu schaffen sind – auch wenn wir mehr durchsetzen konnten, als viele geglaubt haben. Vieles von dem, wofür wir angetreten sind, ist auf gutem Weg – vor allem massive Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz. Dazu kommen die aktuellen Herausforderungen durch Corona. Die Menschen erwarten, dass wir die Probleme des Landes gemeinsam lösen. Wir haben jetzt unsere Arbeit zu machen. Das leistet diese Koalition sehr gut.

Ist denn der Koalitionsgipfel diese Woche dem Anspruch der SPD gerecht geworden?

Walter-Borjans: Bei Kompromissen kann man nie ganz zufrieden sein. Aber es ist uns eine Menge gelungen, vor allem das Kurzarbeitergeld bis Ende 2021 unverändert fortzuschreiben – mit der Option auf weitere Verlängerung. Damit können wir doch sehr zufrieden sein!

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Walter-Borjans: Einspruch! Schon das Übergangsmodell bringt eine deutliche Dämpfung. Mehr war ein Jahr vor der Bundestagswahl nicht drin. Die Zahl der Direktmandate werden wir in der kommenden Wahlperiode reduzieren. Dann wollen wir auch Geschlechter-Parität im Parlament, eine Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre und eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre durchsetzen.

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    Sie sprechen vom Jahr 2025 – stehen Sie dann noch an der Spitze der SPD?

    Walter-Borjans: Ich beschäftige mich ehrlich gesagt nicht damit, wie weit jenseits der Siebzig ich Weichen stellen will. Aber ich bin gewiss nicht angetreten, um gleich wieder zu verschwinden. Saskia Esken und ich haben in den ersten neun Monaten eine Menge erreicht. Das betrifft die Kultur der Willensbildung in der Parteiführung wie auch die Durchsetzung sozialdemokratischer Inhalte.

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    Kanzlerkandidat soll trotzdem Olaf Scholz werden. Warum?

    Walter-Borjans: Die Mitglieder der SPD haben die richtige Entscheidung getroffen, was den Vorsitz angeht. Und die Vorsitzenden haben die richtige Entscheidung getroffen, was die Kanzlerkandidatur angeht. Saskia Esken und ich sorgen für die Profilschärfung in der SPD ohne Groko-Schere im Kopf – und Olaf Scholz bringt seine Erfahrung einer verlässlichen Umsetzung in praktisches Regierungshandeln ein. Das sind sehr unterschiedliche Aufgaben. Mit dieser Rollenverteilung werden wir einen erfolgreichen Wahlkampf führen.

    Wie viel Beinfreiheit – um das Wort von Peer Steinbrück zu verwenden – lassen Sie Ihrem Kandidaten?

    Walter-Borjans: Bei allem Respekt vor Peer Steinbrück: Mit der Parteibasis hat er immer gefremdelt. Das ist bei Olaf Scholz völlig anders. Er ist tief verwurzelt in der SPD und hat aus der Partei heraus seine persönliche Entwicklung gemacht. Olaf Scholz würde – anders als Peer Steinbrück – ganz sicher kein Kabarettprogramm über die SPD machen.

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      Die große Liebe zwischen Scholz und der Parteibasis haben wir noch nicht entdeckt.

      Walter-Borjans: Der Kanzlerkandidat muss das Regierungsgeschäft beherrschen – auf der Grundlage der Programmatik der Partei. Er muss die Wählerinnen und Wähler erreichen und gleichzeitig die Partei mitnehmen. Das gelingt nur in einem ehrlichen Schulterschluss mit den Parteivorsitzenden, die von den Mitgliedern gewählt worden sind. Das ist uns gemeinsam gelungen. Wir brauchen keinen Kanzlerkandidaten, der sagt: Jetzt erkläre ich euch mal, was Sozialdemokratie ist. Das Programm macht die Partei mit dem Kandidaten. Ich habe keinen Zweifel, dass uns das mit Olaf Scholz gelingt.

      Scholz erklärt, dass er die Wahl gewinnen will – und bekommt Avancen von FDP und Linkspartei. Wer käme eher als Koalitionspartner infrage?

      Walter-Borjans: Jetzt geht es darum, die SPD so stark zu machen, dass sie ein Regierungsbündnis führen kann. Erst dann stellt sich die Frage nach passenden Partnern. Dann müssen Sondierungsgespräche mit allen demokratischen Mitbewerbern möglich sein. Natürlich würde ich auch mit den Linken reden – wohl wissend, dass es dort auch Positionen gibt, die nicht in eine gemeinsame Schnittmenge passen würden.

      Und die FDP?

      Walter-Borjans: Die Zeiten, in denen die FDP eine sozialliberale Partei war, sind vorbei. Daran ändert auch der Wechsel des Generalsekretärs nichts. Trotzdem würde ich mit ihr sprechen.

      Fürs Protokoll: Eine Neuauflage der großen Koalition bleibt ausgeschlossen?

      Walter-Borjans: Auch wenn die akute Krisenbewältigung gut läuft: Eine große Koalition nach der nächsten Bundestagswahl wäre nicht gut für die SPD und nicht gut für unser Land. Wir müssen die richtigen Weichen stellen über die Corona-Krise hinaus. Das erfordert andere Mehrheiten.

      SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hofft auf linke Mehrheiten nach der Bundestagswahl 2021.
      SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hofft auf linke Mehrheiten nach der Bundestagswahl 2021. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

      Was bedeutet das für die beispiellose Staatsverschuldung? Denken Sie auch an Schuldentilgung?

      Walter-Borjans: Ich bin kein finanzpolitischer Abenteurer. Gerade deshalb weiß ich, dass der Weg von CDU und CSU in die Irre führt: Jetzt das Füllhorn ausgießen und unmittelbar danach die Vollbremsung machen – das funktioniert nicht. Die Bundesrepublik hat ein gutes Fundament. Zukunftssicherung zu einem Teil über Kredite zu finanzieren, ist nicht nur verkraftbar, sondern auch gerecht. Jetzt zu sagen, dass die Tilgung in einer kurzen Frist von in zehn Jahren erfolgen soll, ist völlig falsch. 20 Jahre oder mehr wären viel intelligenter. Wenn wir jetzt aufhören zu investieren, machen wir daraus eine Krise für eine ganze Generation.

      Corona verändert die Arbeitswelt. Wollen Sie, dass die Deutschen in Zukunft weniger arbeiten?

      Walter-Borjans: In Deutschland ist die Debatte über Arbeitszeitverkürzung leider vor vielen Jahren eingeschlafen. Dabei hat sich viel verändert in der Arbeitsorganisation – allein durch den technischen Fortschritt. Die Corona-Krise beschleunigt diese Entwicklung. Wir müssen darüber nachdenken, wie man weniger Arbeit gerecht verteilt. Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen darf kein vorgeschobenes Argument sein, um Arbeitszeitverkürzung zu verhindern.

      Die IG-Metall fordert die Vier-Tage-Woche – „mit einem gewissen Lohnausgleich“.

      Walter-Borjans: Die Richtung, die IG-Metall-Chef Jörg Hofmann vorgibt, ist richtig. Es muss aber keine starre Vier-Tage-Woche sein. Wir sollten über flexible Arbeitszeitmodelle sprechen, die in Tarifverhandlungen vereinbart werden – passgenau für die jeweilige Branche. Unternehmen wie Daimler und Bosch gehen hier mit gutem Beispiel voran.

      Welche Wochenarbeitszeit fordern Sie?

      Walter-Borjans: Als Juso habe ich für die 35-Stunden-Woche gekämpft. Jetzt müssen wir weitere Schritte tun. Die Chefin der Linkspartei, Katja Kipping, hat sich für eine 30-Stunden-Woche ausgesprochen. Warum sollte man darüber nicht reden – natürlich unter Beachtung der Tarifautonomie.

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