Berlin. Olaf Scholz ist Kanzlerkandidat: Wer sind die engsten Weggefährten, die den SPD-Spitzenkandidaten ins Kanzleramt bringen sollen?
Vor wenigen Wochen nächtigte Olaf Scholz in einem alten Leuchtturm. Ein verlängertes Wochenende als Corona-Auszeit, ein Geschenk seiner Frau zum 60. Geburtstag, das mit zwei Jahren Verspätung eingelöst wurde. Nach heftigen Monaten im Dauerkrisenmanagement der Pandemie genoss Scholz den Blick auf die Nordsee – und das sichere Gefühl, nach dem Debakel im Rennen um den Vorsitz es in der Partei doch noch allen gezeigt zu haben.
Mit dem Leuchtfeuer im Rücken wusste der 62-Jährige schon, dass die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans über ihren Schatten springen und ihn Anfang dieser Woche als Kanzlerkandidaten ausrufen würden.
Die 15-Prozent-SPD geht damit auf Nummer sicher. Nach Peer Steinbrück und Martin Schulz wieder ein konservativer Mann über 60 ohne Haare. Elektrisiert das massenhaft Wähler, die nach Gerhard Schröders Ende und Hartz IV von der SPD genug hatten?
Scholz steht seit 20 Jahren in der ersten Reihe. Privat ist er so sauber geblieben wie die Kanzlerin. Immer seriös, mit starken Persönlichkeitswerten, oft aber auch dröge und belehrend. So kennen ihn Millionen Fernsehzuschauer.
Ein Anwalt für Arbeitsrecht, von dem man sich bedenkenlos vor Gericht im Kampf gegen eine Kündigung vertreten lassen würde. Aber wollen die Deutschen ihm das Land anvertrauen? Würden sie ruhig schlafen, so wie sie es bei Angela Merkel seit 15 Jahren tun?
Olaf Scholz: Der neue Merkel?
Scholz wird in seiner Kampagne vor allem auf seine Bekanntheit und die ihm zugeschriebene Kompetenz setzen. So wie Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher im Frühjahr mit dem Slogan „Die ganze Stadt im Blick“ reüssierte, könnte der amtierende Vizekanzler nach der Ära Merkel für Kontinuität und Stabilität stehen.
„Der neue Merkel“ oder „Einer für alle“, in der SPD blühen bereits Plakatträume. Aber wird Scholz für die SPD auch reine Merkel-Wähler erreichen, die mit dem Rückzug der weltweit geschätzten CDU-Frau von der Macht heimatlos werden?
Olaf Scholz kann auch anders sein – mit Rotwein bei den „Sternen“
Als stocksolider „Scholzomat“ (so ein Etikett aus seiner Zeit als Generalsekretär) allein wird der frischgebackene SPD-Spitzenkandidat das Kanzleramt nicht erobern. Scholz muss empathischer, leidenschaftlicher werden, ohne sich zu verbiegen. Schulz ist da ein warnendes Beispiel. Gibt es eine andere Seite, die Scholz weitgehend verborgen hält?
Der gebürtige Osnabrücker, der 2021 neben dem Kanzleramt in Potsdam um ein Direktmandat für den Bundestag gegen Grünen-Chefin Annalena Baerbock kämpfen wird, kann locker, witzig, zugänglich sein. Als er noch Hamburger Bürgermeister war, trat eines Abends in der Berliner Dependance der Hansestadt die Indie-Pop-Band Die Sterne auf. Mitten drin auf der Tanzfläche, in dichten Rauchschwaden, Olaf Scholz. Im Pulli, mit Rotwein, ausgelassen wie zu Juso-Zeiten. Der Alltag sieht anders aus.
Scholz ist ein schwieriger Boss und wird trotzdem geachtet
Scholz ist kein einfacher Chef. Er ist enorm fordernd. Selbstzweifel sind ihm fremd. Hat er eine Idee, müssen Abteilungen springen. Scholz wird im Finanzministerium nicht geliebt, aber geachtet. „Er lässt sich nicht lenken, er lenkt“, sagt einer seiner Vertrauten.
Doch ohne ein starkes Team kann niemand eine Wahl gewinnen. Angela Merkel ist so lange so erfolgreich gewesen, weil sie einen kleinen Kreis engster Vertrauter hat, die alles dem Wohl der Kanzlerin unterordnen und den Mund halten können. Nicht anders war es bei Kohl und Schröder. Wem vertraut Scholz, auf wen kann er bei der Mission Kanzleramt nicht verzichten?
Britta Ernst: Die kongeniale Partnerin
Mit Britta Ernst ist Scholz seit 1998 verheiratet. Zu Hause nahe der Havel in Potsdam (oder wahlweise im früheren Stammsitz in Hamburg-Altona) bilden sie ein mächtiges Küchenkabinett. Sie ist in Brandenburg Bildungsministerin. Das war sie schon in Schleswig-Holstein, seit 2017 agiert sie in gleicher Funktion bei Dietmar Woidke. Als Scholz eine Frau für die SPD-Bewerbung suchte, entschied sich das Ehepaar für die befreundete Brandenburger Ex-SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz.
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Wolfgang Schmidt: Das Mastermind
Niemand (von der Gattin abgesehen) steht Scholz so nahe wie Wolfgang Schmidt. Der glühende Fan der Kiezkicker aus St. Pauli bildet seit 18 Jahren eine politische Einheit mit seinem Chef. Der bald 50-Jährige ist das Mastermind im Vizekanzleramt. Schmidt kann zu jeder Tages- und Nachtzeit die Vorzüge seines Chefs und Idols aufsagen. Verheiratet mit einer Mexikanerin, spricht er fließend Spanisch.
Schmidt ist seit Juso-Zeiten weltweit vernetzt. Das hilft ihm in G7- und G20-Runden. Als Hamburger Staatsrat für den Bund bereitete er in Berlin unermüdlich den Boden für Scholz. Bei der SPD-Castingshow twitterte sich Schmidt vergeblich die Finger wund. Selten sah man den fröhlichen Bartträger so niedergeschlagen. Schmidt glaubte unverdrossen an das Projekt „Olaf 21“, ohne ihn hätte es die Nominierung nicht gegeben.
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Werner Gatzer: Der Haushälter
Der beamtete Staatssekretär Werner Gatzer frönt zwei Hobbys: dem FC Köln und dem Bundeshaushalt. Seit 15 Jahren jongliert er mit den ganz großen Zahlen. Niemand kennt die Finanzen des Bundes besser als der 61 Jahre alte SPD-Mann. In Corona-Zeiten mit schwindelerregender Neuverschuldung von 218 Milliarden Euro ist das ein Pfund.
Peer Steinbrück hörte auf ihn, Wolfgang Schäuble konnte nicht auf ihn verzichten, Scholz holte ihn zurück. Gatzer glaubte frei nach Loriot, ein Leben außerhalb des BMF sei möglich. Nach nur zwei Monaten als Vorstandschef einer Bahntochter merkte er, dass es sinnlos ist. In der Corona-Krise erlebt der Architekt der schwarzen Null, wie sich die seit 2014 getragene weiße Schuldenweste binnen weniger Tage in einen schweren Schuldenkittel verwandelte.
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Steffen Hebestreit: Der Spindoctor
Der Ex-Journalist Steffen Hebestreit ist Sprecher des Finanzministers. Sehr schnell erarbeitete er sich das Vertrauen von Scholz und ist für ihn in Berlin wichtiger Strippenzieher und Kommunikator. Hebestreit war mal Sprecher der glücklosen SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Dann wechselte er in die Hamburger Landesvertretung.
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Jeanette Schwamberger: Die Organisatorin
Jeanette Schwamberger leitet das Ministerbüro und ist damit so nah am Vizekanzler wie nur wenige. Schwamberger bringt einen großen Vorteil mit. Als Ökonomin ist sie vom Fach. In der Finanzkrise wurde sie als Sprecherin des Ministeriums von der Hauptstadtpresse gegrillt. Das härtet ab.
Zwischendurch arbeitete sie für einen anderen berühmten Hamburger. Sie leitete das Berliner Büro von Altkanzler Helmut Schmidt. Bald muss Schwamberger mit unendlich vielen Termine jonglieren und darauf achten, dass die Firewall zwischen Minister- und Parteiamt hält.
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Jörg Kukies: Der Feuerwehrmann
Würde man Müntefering-Maßstäbe an diesen Mann anlegen, wäre er eine „rote Heuschrecke“ in Staatsdiensten. Jörg Kukies arbeitete 17 Jahre bei der weltgrößten Investmentbank Goldman Sachs, zuletzt als Co-Chef des Deutschland-Geschäfts. Goldman gilt für viele als Sinnbild der gierigen Wall Street, die das weltweite Finanzsystem beinahe ruiniert hätte. Als Scholz ihn als Staatssekretär für Europa und Finanzmarkt ins Haus holte, bekamen Genossen Schnappatmung.
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Die Aufregung legte sich rasch. Der bodenständige Vater einer Tochter, SPD-Mitglied, Juso-Kumpel von Andrea Nahles, weiß alles über die Tricks und Kniffe der Banken. Kukies bereitete zusammen mit Gatzer für Scholz das „Wumms“-Konjunkturpaket vor. Jetzt muss er fix eine neue Bankenaufsicht aufbauen, denn die Aufarbeitung des Wirecard-Bilanzskandals dürfte die Scholz-Kampagne noch lange begleiten.