Berlin. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann über den Sinn der Corona-Hilfen, die Zukunft des Bargeldes – und den aktuellen Skandal um Wirecard.
Jens Weidmann ist per Video zugeschaltet aus seinem Frankfurter Büro. Weißes Hemd, dunkelblaue Krawatte, hinter ihm die europäische und die deutsche Flagge. Der Präsident der Deutschen Bundesbank sorgt sich, dass der Staat den richtigen Zeitpunkt versäumen könnte, um die milliardenschweren Corona-Hilfsprogramme zu beenden.
Herr Weidmann, wie ist die Bundesbank durch die ersten Monate der Pandemie gekommen?
Jens Weidmann: Insgesamt recht gut. Wir hatten wenig Covid-19-Krankheitsfälle. Die Umstellung auf virtuelle Zusammenarbeit hat gut funktioniert. Zum Teil sind wir dadurch sogar effizienter geworden. Man spart sich etwa lange Fahrten zu Terminen. Mehr und mehr vermissen wir aber den persönlichen, direkten Austausch und merken, wie wichtig er für die Arbeit letztlich ist.
Geld wird gedruckt wie üblich?
Weidmann: Die Bargeldversorgung musste auch unter diesen erschwerten Bedingungen reibungslos funktionieren. Unsere Beschäftigten können das natürlich schlecht von zu Hause erledigen. Daher haben wir Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, zum Beispiel getrennte Teams aufgestellt, um die Gefahr von Infektionsketten zu reduzieren. Das hat auch gut funktioniert.
China hat Banknoten in Quarantäne geschickt, um eine mögliche Ansteckung durch kontaminierte Scheine zu verhindern. Haben Sie daran auch gedacht?
Weidmann: Eine besondere Quarantäne für unser Bargeld halten wir nicht für notwendig. Studien zeigen: Das Übertragungsrisiko bei Münzen und Scheinen ist nicht höher als bei anderen Gegenständen im Alltag auch. Es sind also die üblichen Hygieneregeln zu beachten. Mir ist übrigens nicht bekannt, dass sich jemand über einen Geldschein mit dem Coronavirus angesteckt hätte.
Liefert die Pandemie neue Argumente für bargeldlosen Zahlungsverkehr?
Weidmann: Wenn die Zeiten unsicher sind, zieht es die Leute erfahrungsgemäß zum Bargeld. Entsprechend hoch war die Nachfrage nach Bargeld in den ersten Wochen der Pandemie. Die Angst vor Ansteckung hat dann aber dem kontaktlosen Zahlen einen Schub gegeben. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Pandemie das Bezahlverhalten auch langfristig verändert.
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Wird es in zehn Jahren noch Bargeld geben?
Weidmann: Davon bin ich überzeugt. Es gibt zwar einen schleichenden Trend weg von der Bargeldnutzung, hin zu elektronischen Zahlungsmitteln. Und er kann sich, wie etwa Schweden zeigt, auch beschleunigen. Aber für viele Bürgerinnen und Bürger bleibt Bargeld ganz wesentlich. Es hilft dem einen oder anderen, die Ausgaben besser im Blick zu behalten. Datenschutz spielt ebenfalls eine Rolle. Manche empfinden Münzen und Scheine auch als eine Art geprägte Freiheit.
Sind Sie sicher, dass der Euro die Corona-Krise übersteht?
Weidmann: Wir haben keine Euro-Krise. Covid-19 ist ein weltweites Phänomen, ebenso wie der damit einhergehende schwere wirtschaftliche Einbruch. Jetzt geht es darum, die Wirtschaft zu stabilisieren und wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Gerade in Europa ist das nicht nur eine nationale, sondern auch eine gemeinsame Aufgabe.
Die Politik reagiert mit Rettungs- und Konjunkturprogrammen für Hunderte Milliarden Euro. Welche Schuldenlast können nachfolgende Generationen verkraften?
Weidmann: Hohe Staatsschulden sehe ich kritisch. Aber in einer solchen Krise muss der Staat entschlossen gegensteuern, und es ist richtig, das über neue Schulden zu finanzieren. Wichtig war dabei, privaten Haushalten und Unternehmen schnell und umfassend zu helfen. Dass wir eine Abwärtsspirale verhindern, kommt letztlich auch zukünftigen Generationen zugute. Jetzt bewährt sich im Übrigen, dass Deutschland in den vergangenen Jahren auf solide Staatsfinanzen gesetzt hat. Dadurch können wir kraftvoll auf die Krise reagieren.
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Die Gefahr, dass Deutschland sich übernimmt, sehen Sie nicht?
Weidmann: Die Staatsverschuldung steigt zwar stark, aber sie lässt sich weiter stemmen. Wir erwarten im laufenden Jahr eine Schuldenquote in einer Größenordnung von 75 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der niedrige Zins erleichtert es sicherlich, dies zu tragen. Und die Schuldenbremse hilft, dass nach dem Ende der Krise Defizite und Schuldenquote wieder zurückgehen.
Wären weitere Hilfsprogramme möglich?
Weidmann: Ja, wenn nötig, kann auch nochmal nachgelegt werden. Dazu kann es durchaus kommen, denn die weitere Entwicklung ist eben sehr unsicher. Aber jetzt gilt es, erstmal abzuwarten, wie die beschlossenen Maßnahmen überhaupt wirken. Wichtig ist, dass Hilfsmaßnahmen befristet sind. Dann laufen sie im weiteren Verlauf automatisch aus, und die Staatsfinanzen stabilisieren sich wieder. Auch für die staatlichen Beteiligungen an Firmen gilt: Sie können jetzt nötig sein. Aber der Staat sollte sich nach der Krise wieder zügig zurückziehen. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer.
Herzstück des deutschen Konjunkturprogramms ist die Senkung der Mehrwertsteuer bis Jahresende. Die Politik könnte der Versuchung erliegen, die Entlastung ins Superwahljahr 2021 hinein zu verlängern…
Weidmann: Es mag die Versuchung bestehen, Konjunkturprogramme an Wahlen auszurichten. Aber ich würde – wie gesagt – nicht von vornherein ausschließen, dass die Konjunktur auch nächstes Jahr noch einen Impuls braucht. Das muss dann aber natürlich nicht unbedingt eine Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung sein.
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Sind Sie dafür, weitere Hilfsmaßnahmen – etwa zur Kurzarbeit – rasch zu beenden?
Weidmann: Jetzt geht es darum, die Erholung der Wirtschaft anzuschieben. Wir haben den Hochpunkt des Infektionsgeschehens und den Tiefpunkt der Konjunktur gerade erst hinter uns gelassen…
…was macht Sie so sicher, dass wir diesen Punkt überschritten haben?
Weidmann: Der Einzelhandel macht wieder mehr Umsatz, die Produktion steigt. Insgesamt zeigen die Daten, dass die Wirtschaft die Talsohle im Frühjahr durchschritten hat und sich allmählich erholt. Die Sektoren kommen aber unterschiedlich schnell voran. Die Industrie zum Beispiel hinkt eher hinterher. Sie hängt stark von verlässlichen Perspektiven ab, von der globalen Nachfrage und damit auch vom Infektionsgeschehen im Ausland.
Was bedeutet das für das Kurzarbeitergeld? Halten Sie es jetzt schon für überflüssig?
Weidmann: Nein, im Moment nicht. Es ist sinnvoll, mit dem Kurzarbeitergeld einen vorübergehenden Wirtschaftseinbruch zu überbrücken. Es hilft, Beschäftigte an Bord zu halten, die später wieder gebraucht werden. Das Kurzarbeitergeld sollte aber nicht Strukturen verfestigen, die keine Zukunft mehr haben, etwa wenn Geschäftsmodelle überholt sind. Daher sollte die Politik das Kurzarbeitergeld regelmäßig überprüfen.
Um erheblich größere Summen als auf der nationalen geht es auf der europäischen Ebene. Sind auf dem historischen Gipfel in Brüssel die Weichen für den Wiederaufbau richtig gestellt worden?
Weidmann: Es ist wichtig, dass sich die EU in der Krise als handlungsfähig erwiesen hat. Solidarität in Europa – auch finanzielle – halte ich in dieser Situation für richtig. Über Art und Umfang muss die Politik bestimmen. Angesichts der Größenordnung des Pakets ist es dabei nicht überraschend, dass auf dem Gipfel hart gerungen wurde. Damit die Mittel sinnvoll und effizient verwendet werden, braucht es Kontrollmechanismen. Gemeinschaftsverschuldung für umfangreiche Transfers halte ich grundsätzlich für bedenklich. Zumindest sollte das Paket nicht als Sprungbrett für groß angelegte EU-Verschuldung zur regulären Haushaltsfinanzierung dienen.
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Hätte sich Kanzlerin Merkel besser in die Gesellschaft der „sparsamen Vier“ – Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande – begeben, statt den französischen Präsidenten Macron zu unterstützen?
Weidmann: Die Bundeskanzlerin war – vor dem Hintergrund der deutschen EU-Präsidentschaft – als Ratsvorsitzende sicherlich besonders gefordert, zu einem Kompromiss beizutragen und ein Scheitern des Gipfels zu verhindern. Es ging darum, eine gemeinsame Lösung zu finden. Am Ende waren alle Mitgliedstaaten, auch die „sparsamen Vier“, mit dem Ergebnis einverstanden.
Wie wichtig ist es für Europa, dass die Vereinigten Staaten aus der Krise kommen?
Weidmann: Die USA sind ein wichtiger Handelspartner. Und für die USA gilt ebenso wie für uns und alle anderen: Wir müssen diesen schweren Wirtschaftseinbruch rasch überwinden. Voraussetzung dafür ist die Kontrolle des Infektionsgeschehens…
…die in den USA überhaupt nicht funktioniert.
Weidmann: Die USA haben ihre Maßnahmen teilweise früh gelockert und verschärfen sie jetzt mancherorts wieder. Dieses Stop-and-Go ist für die Wirtschaft sicher schwierig. Das zeigt jedenfalls, wie wichtig es ist, wachsam zu bleiben, das Infektionsgeschehen eng zu überwachen und ein Wiederaufflammen zu verhindern. Und dazu können wir ja alle beitragen.
Der Skandal um den Zahlungsdienstleister Wirecard hat Politik und Finanzwirtschaft aufgeschreckt. Welche Korrekturen im Kontrollsystem halten Sie für notwendig?
Weidmann: Bei Wirecard gab es offenbar Betrug in ganz erheblichem Umfang. Kriminelles Verhalten lässt sich leider nie völlig ausschließen. Aus meiner Sicht ist entscheidend, Betrugsfälle früh aufzudecken, auch damit sie nicht solche Ausmaße annehmen können.
Und zwar wie?
Weidmann: Ehrliche Bilanzen sind für jedes Unternehmen wichtig, egal ob im Finanzsektor oder anderswo. Beispielsweise sollten das Verfahren der Bilanzprüfung und die Aufgaben, Möglichkeiten und Haftung der Wirtschaftsprüfer überdacht werden. So müssen sie etwa in der Lage sein, internationale Verflechtungen des Geschäfts besser zu durchleuchten.
Unterstützen Sie Forderungen nach einer ‚Generalreform’ der Finanzaufsicht?
Weidmann: Unstrittig ist: Wirecard ist ein Skandal, und dem müssen wir künftig wirksamer vorbauen. Deshalb müssen wir uns alle ganz genau anschauen, was bei Wirecard passiert ist, um wohlüberlegt die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Es wird aber sicherlich darum gehen, Regeln und Verfahren vor allem bei Wirtschafts- und Bilanzprüfung mehr Biss zu geben.
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