Berlin. Olaf Scholz wird als Spitzenkandidat für die SPD zur Bundestagswahl antreten. Warum der Vize-Kanzler beste Chancen auf Erfolg hat.
Der 10. August 2020 könnte – wenn alle Genossen mitziehen – ein Wendepunkt im Sturzflug der deutschen Sozialdemokratie werden. Mit bemerkenswerter Klugheit hat das Präsidium auf den Kandidaten gesetzt, der die besten Chancen hat, die SPD mit einem respektablen Ergebnis durch den Bundestagswahlkampf zu führen. Das ist erwähnenswert, weil man in der SPD dieses Prinzip konsequent außer Kraft gesetzt hatte. Seitdem grüßt man aus dem Umfrage-Keller.
Norbert-Walter Borjans und Saskia Esken haben mit ihrer Entscheidung eingestanden, dass es ihnen an Strahlkraft über die Partei hinaus fehlt. Da Selbsterkenntnis der erste Schritt zur Besserung ist, könnte es mit den gebeutelten Sozialdemokraten tatsächlich wieder aufwärts gehen.
Dieser selbstlose Schritt der Parteichefs wird aber nur Erfolg haben, wenn „Nowabo“ und Esken ihrem Kandidaten Beinfreiheit lassen und dem Hamburger nicht täglich von oben reingrätschen. Lesen Sie hier: Kanzlerkandidat Olaf Scholz: „Ich will gewinnen“
Olaf Scholz ist der starke Mann der SPD – weil er zwei Vorteile hat
Denn Olaf Scholz, der nach seiner gescheiterten Kandidatur für den SPD-Vorsitz schon für „politisch tot“ erklärt wurde, ist ab sofort der starke Mann in der SPD. Das wird sehr unbequem für die Parteiführung aber auch wenig kommod für den Kanzlerkandidaten selbst. Er muss eine abenteuerliche Pirouette zwischen linker Parteispitze und konservativen Sozialdemokraten hinkriegen – und bei diesen Verrenkungen für den Rest der Welt auch noch gut aussehen. Auch interessant: Angela Merkel und Markus Söder auf Schloss Herrenchiemsee: Fingerzeig der Kanzlerin
Aber der Coup könnte gelingen, denn der Kandidat bringt zwei große Vorteile mit. Erstens: Er glaubt selbst an sich. Und zweitens: Eine Mehrheit der SPD-nahen Wähler glaubt ebenfalls an ihn. Auch im gegnerischen Lager genießt der Finanzminister Respekt und seine starke Position in der Groko muss kein Handicap sein. Im Gegenteil.
Der Vizekanzler und Hüter der Bundeskasse ist automatisch eine wichtige Größe. Er hat Kanzlerformat, er hat Macht und produziert im Amt die Bilder, die man für den Wahlkampf braucht. Auf Augenhöhe mit den Mächtigsten der Welt. Sollte Armin Laschet der Griff nach CDU-Parteivorsitz und Kandidatur gelingen, kann man auch hier Augenhöhe konstatieren – sogar im Wortsinn.
Scholz’ Kandidatur könnte das Regieren jetzt schwer machen
Ungemütlich wird es jetzt für die Kanzlerin und die Noch-Parteivorsitzende. Angela Merkels wichtigster Minister fragt sich ab sofort vor jeder Entscheidung: Ist das gut für mich und gut für die Kampagne? So funktioniert Politik, aber das macht das Regieren schwerer. Die Groko wird also keinen Schlusssprint hinlegen, sondern bestenfalls wie ein Marathonläufer nach dem Zieleinlauf austraben. Auch interessant: Das Coronavirus-Comeback von Vizekanzler Olaf Scholz
Und Annegret Kramp-Karrenbauer hat jetzt noch mehr Druck im Kessel. Ihre letzten Jobs sind die geordnete Übergabe an der Parteispitze und die Kür eines erfolgversprechenden Kanzlerkandidaten. Wenn man auf die vergangenen Monate blickt, kann dabei noch einiges schiefgehen. Schließlich ist der derzeitige Höhenflug der Union kein Naturgesetz, genauso wenig wie bei den Grünen. Lesen Sie auch: Kanzlerkandidat: Wähler sehen Kretschmann bei Grünen vor Habeck
Bleibt die spannende Frage, wie es Scholz mit den realistischen Mehrheiten hält. Beflügelt er die Fantasien von Rot-Rot-Grün und macht die SPD wieder so stark, dass eine linke Mehrheit möglich wird? Oder lässt er die Linkspartei links liegen und steuert damit logischerweise auf die nächste Groko oder sogar auf die Oppositionsbank zu? Lesen Sie auch: Walter-Borjans schließt Bündnis mit Linkspartei nicht aus
Wer den Vize-Kanzler kennt, weiß, dass er sich alle Optionen offen halten wird und über kein Stöckchen springt – egal wer es ihm hinhält. Nur so hat er eine Chance, am Ende die meisten Stimmen rauszuholen. Olaf Scholz wird sie nutzen.