Berlin. Die Corona-Pandemie trifft besonders die Länder hart, in denen es viel Armut gibt. Wo die Menschen zu arm sind, um sich zu schützen.

Die Warnung hätte drastischer nicht ausfallen können. „Das Virus bleibt Staatsfeind Nr. 1, aber das Verhalten vieler Regierungen und Menschen spiegelt das nicht wider“, kritisierte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Viele Länder würden die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie zu schnell lockern. Am Sonntag hatte die WHO einen Tagesrekord von 230.000 Neuinfektionen weltweit gemeldet. Die Zahlen schnellen vor allem in Ländern hoch, wo die Menschen dicht zusammenleben und zur Arbeit gezwungen sind, um zu überleben.

Coronavirus in Brasilien – Besorgniserregende Zustände in den Favelas

Mit Besorgnis blickten die Experten vor allem auf die Favelas, die typischen Armutsviertel, wie man sie zum Beispiel aus Rio de Janeiro kennt. Dort kleben die Blechhütten wie Bienenwaben an den Hügeln. In diesen engen und verschachtelten Gegenden, in denen Millionen Menschen leben, kann man weder Distanz halten, noch gibt es überall fließend Wasser, um sich die Hände zu waschen.

Zudem leben die Bewohner in aller Regel von der Hand in den Mund – wenn sie überhaupt einen Job haben. Sie arbeiten in der Schattenwirtschaft, ohne Arbeitsvertrag, ohne jegliche soziale Absicherung. Wer nicht als Bauarbeiter, Hausmädchen, Altpapiersammler oder Wachmann täglich zur Arbeit geht, hat am nächsten Tag nichts zu essen. Lesen Sie hier: Coronavirus in Brasilien: Ureinwohner geraten unter Druck

In der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas arbeiten rund 42 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in diesem sogenannten informellen Sektor. Bis Dienstag wurden in Brasilien fast 1,9 Millionen Infizierte und mehr als 72.000 Tote regis­triert. Täglich kommen rund 40.000 Neuansteckungen dazu.

Brasilien: Mitarbeiter des Gesundheitsamtes führen einen Coronavirus-Test bei dem Häuptling des indigenen Stammes der Kunaruara.
Brasilien: Mitarbeiter des Gesundheitsamtes führen einen Coronavirus-Test bei dem Häuptling des indigenen Stammes der Kunaruara. © AFP | TARSO SARRAF

Mexiko – 37 Millionen Menschen leben von der Hand in den Mund

Die Zahlen können María Solís nicht schrecken. 35.000 Corona-Tote verzeichnete Mexiko bis Dienstag. Mehr als 300.000 Menschen haben sich in dem größten Land Mittelamerikas mittlerweile infiziert – Tendenz rasant steigend. Aber die 32-jährige Obsthändlerin trotzt der Pandemie und stellt sich jeden Tag mit ihrem Pick-up-Wagen in den Stadtteil Condesa im Zentrum von Mexiko-Stadt. Auf der Ladefläche liegen Erdbeeren, Blaubeeren und allerlei tropische ­Früchte.

Solís ist nicht besonders mutig, aber auch nicht übermäßig ängstlich. Sie muss eine Familie ernähren. Daher hat sie auf ihrem Fahrzeug ein Plakat angebracht, auf dem steht: „Mich bringt nicht das Coronavirus um, aber der Hunger, ihr könnt eure Panikkäufe auch bei mir machen!“ Wie Solís arbeitet weit mehr als die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung Mexikos im informellen Sektor.

Von den 57 Millionen wirtschaftlich aktiven Mexikanern sind lediglich 20,1 Millionen in das Sozialsystem IMSS eingebunden. Die übrigen 37 Millionen Menschen leben „al día“. Also von dem, was sie an dem jeweiligen Tag verdienen. Vor diesem Hintergrund hat der linke Präsident Andrés Manuel López Obrador auch schon vor dem Höhepunkt der Pandemie in seinem Land die Wirtschaft allmählich wieder hochgefahren. Mehr zum Thema: Coronavirus in Lateinamerika: Die Leichen liegen auf den Straßen

Ägypten: Viele Jobs sind stark vom Tourismus abhängig

Mit einem über Kairo eingereisten Chinesen erreichte die Corona-Pandemie am 14. Februar den afrikanischen Kontinent. Bis Dienstag wurden in dem Land mit 105 Millionen Einwohnern mehr als 83.000 Menschen infiziert. Fast 4000 Todesfälle gab es. Derzeit kommen jeden Tag rund 950 neue Infektionen hinzu.

Trotz der hohen Zahlen hatte die Regierung zuletzt die strikten Ausgangsbeschränkungen gelockert. Die vielen Beschäftigten im informellen Sektor – darunter Straßenhändler – sollten wieder Einkommensmöglichkeiten bekommen. Seit dem 1. Juli nimmt das stark vom Tourismus abhängige Land schrittweise wieder Flughäfen in Betrieb und öffnet Strände und Hotels für Touristen.

Südafrika entwickelt sich zum neuen Corona-Hotspot

Mit einem der striktesten Lockdowns der Welt hatte Südafrika die Pandemie zunächst gut im Griff. Doch weil die Wirtschaft stark unter den strengen Maßnahmen litt, die Arbeitslosigkeit auf rund 30 Prozent stieg und vor allem unter den vielen Tagelöhnern ohne festen Job und Arbeitsvertrag Hunger und Armut dramatisch stiegen, lockerte die Regierung die Maßnahmen seit Anfang Juni schrittweise.

In der Folge entwickelte sich das 58 Millionen Einwohner zählende Land zu einem der neuen globalen Corona-Hotspots. Knapp 290.000 Menschen haben sich bereits nachweislich infiziert, 4172 starben. Zuletzt kamen jeden Tag zwischen 10.000 und 13.700 Neuinfektionen hinzu. Besonders stark betroffen sind die armen Bewohner der Townships in den größeren Städten.

In den extrem dicht besiedelten Slums können sie keine Sicherheitsabstände einhalten. Um einen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern, hat die Regierung jetzt erneut eine nächtliche Ausgangssperre verhängt und den Verkauf von Alkohol verboten. Zeitgleich werden Zehntausende neue Gräber ausgehoben. Mehr dazu: Corona-Lockdown: Südafrika verbietet Verkauf von Zigaretten

Patienten, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, werden in einem Krankenhaus in Pretoria, Südafrika, mit Sauerstoff behandelt.
Patienten, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, werden in einem Krankenhaus in Pretoria, Südafrika, mit Sauerstoff behandelt. © dpa | Jerome Delay

Indien ist nach den USA und Brasilien das Land mit den meisten Infektionen

Mit rund 907.000 Infizierten ist Indien nach den USA und Brasilien das Land mit den meisten nachgewiesenen Corona-Infektionen. Bis Dienstag sind fast 24.000 Menschen am Virus gestorben. Derzeit werden jeden Tag rund 28.000 Neuinfektionen festgestellt. Aufgrund mangelnder Testkapazitäten dürfte die tatsächliche Zahl deutlich höher liegen.

Viele Krankenhäuser sind bereits überfüllt. Mit dem größten Lockdown der Welt hatte die indische Regierung seit März versucht, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und eine Überforderung des maroden Gesundheitssystems zu verhindern. Um einen noch dramatischeren Einbruch der Wirtschaft zu verhindern, wurden viele Einschränkungen seit Anfang Juni schrittweise zurückgenommen. Weil die Infektionskurve jetzt steil nach oben zeigt, wurden die Lockerungen in einigen Bundesstaaten wieder zurückgenommen.

Bangladesch – Erkrankte lassen sich aus Angst nicht behandeln

Mit rund 3000 neuen Infektionen pro Tag breitet sich Corona derzeit rasch in Bangladesch aus. Im am dichtesten besiedelten Flächenstaat der Welt haben sich bis Dienstag mehr als 190.000 Menschen angesteckt, mindestens 2424 sind an Covid-19 gestorben. Weil im 165-Millionen-Einwohner-Staat wenig getestet wird, dürfte die Dunkelziffer viel höher sein.

Trotzdem bleiben bislang viele der Betten in neu eingerichteten Corona-Kliniken frei. Erkrankte befürchten, dort noch schwerer zu erkranken, keine gute Behandlung zu erhalten oder nach überstandener Erkrankung diskriminiert zu werden. Viele Tagelöhner können es sich nicht leisten, ihre Arbeit zu verlieren. Mitte Mai erreichte die Pandemie auch Kutupalong, das größte Flüchtlingslager der Welt im Süden Bangladeschs. Dort leben rund eine Million Rohingyas, die vor Massakern aus Myanmar flohen.

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