Mexiko-Stadt. Miserable medizinische Infrastruktur, wenig Tests und hohe Dunkelziffern: Lateinamerika trifft die Corona-Pandemie besonders hart.

Lateinamerika könnte das nächste Corona-Inferno werden. Die Staaten zwischen Mexiko und Argentinien sind bei der Ausbreitung der Pandemie rund einen Monat hinter Europa. Es gibt eine miserable medizinische Infrastruktur, kaum Schutzkleidung für Ärzte, wenig Corona-Tests und eine dementsprechend hohe Dunkelziffer. Ein Szenario ähnlich wie in Afrika.

Vor allem die beiden größten Länder der Region – Brasilien und Mexiko – ziehen Feldhospitäler hoch und sind unter Hochdruck dabei, Intensivplätze aufzubauen. Sie versuchen, Beatmungsgeräte sowie Test-Kits im Ausland zu kaufen.

Kolumbien, Argentinien, Chile und Venezuela haben sehr früh restriktive Maßnahmen mit Ausgangssperren verhängt und sind damit gut gefahren. Im Gegensatz dazu haben die Regierungen in Brasilien und Mexiko erhebliche Schwierigkeiten, in der Not das öffentliche Leben und die Wirtschaft ihrer Länder herunterzufahren. Ein Überblick:

Corona-Krise in Ecuador: Särge auf Bürgersteigen

Das drittkleinste Land Lateinamerikas ist das Corona-Epizentrum der Region. Nirgends gibt es pro Kopf so viele Angesteckte und Todesopfer wie in Ecuador. 7529 Infizierte und 355 Tote zählte die Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) bis Dienstagnachmittag.

Vor allem in der Hafenstadt Guayaquil spielen sich dramatische Szenen ab. Leichen liegen auf den Straßen, Särge auf Bürgersteigen. Die Krankenhäuser sind überfordert, die Menschen in Panik. Seit rund drei Wochen leben die Einwohner der 2,7-Millionen-Metropole in lähmender Angst angesichts der rasenden Ausbreitung des Coronavirus.

Ecuador zeigt, was passiert, wenn ein Land fast unvorbereitet von der Pandemie überrollt wird. Unfähigkeit, Ignoranz von Behörden und Regierung und ein kollabierendes Gesundheitssystem verbinden sich zu einem todbringenden Mix.

Wenn Mauricio Morales von dem erzählt, was sich gerade in seiner Heimatstadt Guayaquil abspielt, dann ringt er erst nach Worten und sagt dann: „Apokalyptisch, so stelle ich mir Krieg vor.“ Der 39 Jahre alte Informatiker berichtet von vielen Toten, die vor den Häusern liegen.

Sein Schwiegervater sei zu Hause an den Komplikationen einer Operation verstorben. „Aber als ich die Polizei, die Gerichtsmedizin und die Bestatter angerufen habe, bekam ich überall die gleiche Antwort“, sagt Morales am Telefon. „Niemand war bereit, die Leiche abzuholen oder einen Totenschein auszustellen.“

Ecuador mit gerade 17,5 Millionen Einwohnern hat nach dem zwölfmal größeren Brasilien die zweithöchste Zahl von Toten in Lateinamerika zu beklagen. Aber selbst Präsident Lenín Moreno erkennt an: „Vermutlich ist die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher.“ Denn Ecuador testet kaum.

Brasilien: Die Bekämpfung des Coronavirus scheitert am Präsidenten

Das größte Land und die größte Volkswirtschaft der Region verzeichnet die mit Abstand meisten Fälle. Laut der Zählung der Johns-Hopkins-Universität gab es bis Dienstagnachmittag 23.723 Infizierte und 1355 Todesopfer.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro. © AFP | EVARISTO SA

In Brasilien ist Staatschef Jair Bolsonaro das größte Hindernis für eine effiziente Corona-Bekämpfung. Er redet die Gefahr des Virus klein und vergleicht es mit einer Grippe, legt sich immer wieder mit seinem Gesundheitsminister und den Gouverneuren an, die restriktive Kontaktsperren und Schließungen von Geschäften und Industrien propagieren.

Bolsonaro schüttelt Hände und fordert die Menschen auf, zur Arbeit zu gehen. Der Erfolg dieses absurden Verhaltens ist, dass die Brasilianer das Social Distancing vor allem in den Metropolen São Paulo und Rio de Janeiro nicht ernst genug nehmen.

Mexiko: Mehr Angst um die Wirtschaft

Das zweitgrößte Land der Region ist das Schweden Lateinamerikas. Der linke Präsident Andrés Manuel López Obrador setzt eher auf moralische Appelle statt auf Ausgangssperren und Kontaktverbote. Er will die gebeutelte Wirtschaft nicht noch stärker belasten. Lange schien es, als fürchte der Staatschef den ökonomischen Zusammenbruch seines Landes mehr als die Corona-Pandemie.

Bis Dienstagnachmittag verzeichnete das Land laut Johns-Hopkins-Universität 5014 Infizierte und 332 Tote, Tendenz stark steigend. Mexiko kauft jetzt in Deutschland, China und den USA Hunderttausende Test-Kits. Obrador handelte mit US-Präsident Donald Trump den Kauf von 10.000 Beatmungsgeräten aus.

Die Pandemie zwingt auch das Organisierte Verbrechen, neue Geschäftszweige zu suchen. Plünderungen großer Supermärkte, bei denen teure elektronische Waren gestohlen wurden, weisen in diese Richtung.

Nicaragua: Welches Virus?

Das einzige Land, das Corona nach Kräften ignoriert. Offiziell sind nur elf Menschen infiziert, einer soll gestorben sein. Während Staatschef Daniel Ortega seit einem Monat untergetaucht ist, weigert sich seine Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo, Maßnahmen zu verordnen.

Im Gegenteil: Am Palmsonntag fand ein „Marathon der Liebe“ statt. Auch ein Sommermusikfestival mit internationalen Künstlern, ein Schönheitswettbewerb und Messen unter freiem Himmel sind geplant.

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