Duisburg/Witten. Das Coronavirus breitet sich in Altenheimen aus, 53 Einrichtungen sind betroffen, 29 Bewohner starben. Tut die Regierung genug für den Schutz?

Weil sich das Coronavirus in immer mehr Seniorenheimen ausbreitet, fordern Pflegevertreter mehr Unterstützung bei der Verhinderung von Infektionen. Wenn in Pflegeheimen ein „Flächenbrand ausbricht“, werde es extrem schwierig, diesen in den Griff zu bekommen, mahnte Ludger Risse, Chef des Pflegerats NRW. „Die Altenpflege ist eine Hochburg von gefährdeten Personen.“

In Wolfsburg sorgte eine Infektionswelle in einem Heim für Demenzkranke für Bestürzung. Dort infizierten sich über 70 Bewohner, 17 starben innerhalb weniger Tage. Auch im Revier steigt die Zahl der Corona-Fälle in Altenheimen, in Essen sind drei Heime betroffen, in Bochum haben fünf von insgesamt sieben Toten im selben Heim gelebt. Die Landesregierung veröffentlichte am Montag, 31. März, aktuelle Zahlen. Demnach hat sich das Corona-Virus mittlerweile in 53 Pflegeheimen in NRW ausgebreitet. 29 Altenheimbewohner sind an Covid-19 gestorben, 268 sind infiziert.

Vielen Pflegern fehlt Erfahrung mit Isolation

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„Die Politik schätzt völlig falsch ein, wo das Epizentrum der Krise liegt – nämlich in den ambulanten und stationären Einrichtungen“, sagte Ulrich Christofczik, Sprecher der „Ruhrgebietskonferenz Pflege“. Es sei wichtig, dass auch infizierte Bewohner möglichst lange in den Einrichtungen verbleiben, so der Duisburger Pflegeunternehmer. „Sonst kommt eine Welle auf die Kliniken zu, die sie nicht stemmen können.“

Allerdings belasten laut Ludger Risse vom Pflegerat NRW die steigenden Infektionszahlen die Arbeit in den Heimen massiv. „In vielen Einrichtungen ist die Versorgung von Schutzmaterial desaströs und viele Pfleger haben keine Erfahrung mit hochgradiger Isolation von Bewohnern mit Infektionen.“ Hier fehle es an gezielten Schulungen.

Widersprüche bei den Gesundheitsämtern

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Ein weiteres Problem, das Ansteckungen in Heimen begünstigt, sind aus Sicht der „Ruhrgebietskonferenz Pflege“ widersprüchliche Vorgaben der Gesundheitsämter beim Umgang mit Verdachtsfällen. Während in einer Stadt Kontaktpersonen von Infizierten weiter ungetestet zur Arbeit gehen, werde anderswo direkt eine verpflichtende Quarantäne angeordnet. „Wir fordern das NRW-Gesundheitsministerium auf, endlich eine einheitliche Regelung für den Umgang mit Verdachtsfällen zu schaffen“, so Silke Gerling von der Arbeitgeberinitiative.

Das NRW-Gesundheitsministerium kann die Kritik der Pflegevertreter nicht nachvollziehen. Auf Anfrage verweist man dort etwa auf die Bestellung von Schutzmaterialien, die auch bei den Heimen ankommen sollen. Zudem habe man mit weiteren Erlassen die Kommunikation zwischen Heimaufsichten und Pflegeeinrichtungen gestärkt oder den Schutz in den Heimen durch eingeschränkte Besuchsmöglichkeiten erhöht.

Kinder können seitdem ihre Eltern nicht mehr sehen, selbst Ehepartner müssen draußen bleiben. Vor vielen Einrichtungen patrouillieren Sicherheitsdienste. „Es ist sehr problematisch, Angehörige zu disziplinieren, sich an das Besuchsverbot zu halten“, sagt Ulrich Christofczik, Geschäftsführer des Ev. Christophoruswerk, das in Duisburg rund 800 stationäre Plätze bereithält. Aber auch für die Angehörigen ist die Situation schwer. Und in einigen Heimen hat sich die Lage nun weiter verschärft – etwa im Awo-Seniorenzentrum Witten.

Sohn einer Bewohnerin: „Am schlimmsten ist die Ungewissheit“

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Dort wurde in der vergangenen Woche der erste Corona-Befund gemeldet. Der betroffene Wohnbereich wurde laut Heimleitung sofort abgeriegelt, Quarantänemaßnahmen wurden verschärft. In einem Rundbrief der Heimleitung, der unserer Redaktion vorliegt, heißt es zumindest, dass Schutzkleidung wie Gesichtsmasken, Handschuhe und Brillen in Witten ausreichend vorhanden seien. Wie Angehörige schildern, reagierten die Pflegekräfte ruhig und besonnen auf Anrufe und Nachfragen. Dennoch wächst die Angst auch um diejenigen Heimbewohner, die nicht infiziert sind. „Am schlimmsten ist die Ungewissheit“, erzählt der Sohn einer Bewohnerin.

Eine große Belastung für die Bewohner ist zudem, dass sie ihre Zimmer nicht mehr verlassen dürfen. Regelmäßige Veranstaltungen wie das Seniorencafé, Tischkegeln, der gemeinsame Gottesdienstbesuch: alles abgesagt. „Meine Mutter ist hochgradig dement, sie braucht eigentlich einen geregelten Tagesablauf, schätzt den Kontakt zu anderen. Ich weiß nicht, wie sie mit der Situation klarkommt“, berichtet der Sohn.

Pflegende Angehörige: Wir werden alleingelassen

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Für ihn stellt sich die Frage: Wäre seine Mutter zu Hause derzeit besser aufgehoben? „Uns ist nicht bekannt, dass durch die Krise mehr Menschen die Pflege zu Hause in Erwägung ziehen“, sagt Susanne Hallermann vom Verband „wir pflegen“. Schließlich sei auch die Lage für pflegende Angehörige durch die Corona-Krise verschärft worden. Was passiert, wenn man als Pflegeperson ausfällt? Wo bekommt man als pflegender Angehöriger Schutzkleidung her? Wer organisiert Unterstützung, wenn die Tagespflege schließt oder der ambulante Pflegedienst nicht kommt, weil dort bereits Pflegekräfte ausfallen? Auf alle diese Fragen gebe es derzeit keine Antworten, so Hallermann. „Wir pflegenden Angehörigen werden in dieser Krise leider alleingelassen.