Gelsenkirchen. Pflegeunternehmer befürchten: Wenn ambulante Betriebe ausfallen, könnten daheim betreute Menschen „Verlierer der Corona-Pandemie“ sein.

Pflegedienste im Ruhrgebiet fordern dringend mehr Unterstützung in der Corona-Krise. „Die ambulanten Dienste fühlen sich gerade im Vergleich zu den Krankenhäusern alleine gelassen“, sagte Claudius Hasenau, Vorsitzender beim Verband für ambulant begleitende WGs „Wohnen in Gemeinschaft“. Erkennen ließe sich das etwa daran, dass sich Pflegekräfte aufgrund eines „alarmierenden Mangels“ an Schutzmaterialien nicht mehr selbst schützen könnten.


In NRW gibt es nach Angaben von „Wohnen in Gemeinschaft“ knapp unter 3000 Pflegedienste. „Wir haben eine Riesen-Katastrophe, wenn die Mitarbeiter dieser Dienste ausfallen, weil sie sich nicht vor Infektionen schützen konnten“, betonte Ludger Risse, Vorsitzender beim Pflegerat NRW. Bei Überlegungen über die Sicherstellung der medizinischen Versorgung in der Corona-Krise dürfe man nicht nur auf die Heime oder Krankenhäuser schauen. „Man muss die ambulanten Pflegedienste in diesem System unbedingt mitdenken.“

Auch vor der Krise mussten Patienten abgelehnt werden

Sollte es zu Ausfällen bei Pflegediensten kommen, könne die professionelle Pflege nur schwer von Angehörigen oder Nachbarn übernommen werden, ergänzt Pflegeunternehmer Claudius Hasenau. Darüber hinaus gebe es aber auch noch zahlreiche daheim betreute Menschen ganz ohne gefestigtes soziales Umfeld. „Ich befürchte, das könnten die Verlierer der Corona-Pandemie sein.“

Pflegeunternehmer Claudius Hasenau ist Sprecher der „Ruhrgebietskonferenz Pflege“ und Verbandschef von „Wohnen in Gemeinschaft“.
Pflegeunternehmer Claudius Hasenau ist Sprecher der „Ruhrgebietskonferenz Pflege“ und Verbandschef von „Wohnen in Gemeinschaft“. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos


Zugleich sieht Hasenau selbst bei einer guten Vernetzung unter den Pflegediensten nur geringe Möglichkeiten, dass Patienten zeitweise von einem anderen Unternehmen übernommen werden könnten. „Selbst vor der Corona-Pandemie mussten wir fast täglich neue Kunden ablehnen, weil wir nicht genug Mitarbeiter haben“, sagt Hasenau, der den Pflegedienst APD in Gelsenkirchen betreibt.

„Es reicht noch für weniger als zwei Wochen“

Wichtig sei es deshalb, Infektionen in den Pflegediensten so weit wie möglich zu verhindern. Nur scheinen Schutzkleidung und Desinfektionsmittel bei den Pflegeunternehmen besonders knapp zu werden. Wie die „Ruhrgebietskonferenz Pflege“ mitteilte, hat eine Umfrage unter den 40 Mitgliedern der Arbeitgeberinitiative ergeben, dass bei der Mehrheit der Pflegedienste im Ruhrgebiet die Vorräte zu Neige gehen oder angekündigte Lieferungen ausblieben.

„Es reicht noch für weniger als zwei Wochen“, heißt es von den Arbeitgebern. „Die Landesregierung und die Kommunen im Ruhrgebiet müssen deshalb schnellstmöglich dafür sorgen, dass Lieferketten funktionieren“, forderte Ulrich Christofczik, Vorstandsvorsitzender beim Ev. Christophoruswerk in Duisburg und Mitglied der „Ruhrgebietskonferenz Pflege“.

Mobilisierung aller Pflegekräfte

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte am Donnerstag (19.3.) an, zehn Millionen Atemschutzmasken an das deutsche Gesundheitssystem zu liefern. Zudem versicherte Spahn, dass „Corona-bedingte außerordentliche Aufwendungen“ für Pflegeunternehmen, etwa für Schutzausrüstung, wirtschaftlich ausgeglichen werden sollen.

Auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) versprach Anfang März, eine Million Schutzmasken für Ärzte und Krankenhäuser in NRW beschaffen zu wollen. Ob von den Beschaffungsmaßnahmen auch die ambulante Pflege profitieren wird, ist derzeit nicht abzusehen. Man prüfe aktuell, wie man auch die „Pflege bei der Beschaffung von Schutzausrüstung unterstützen kann“, heißt aus dem NRW-Gesundheitsministerium auf Anfrage.


„Eine sofortige Organisation der Beschaffung von wirksamen Schutzmaterialien“ wird auch in einer Online-Petition an Gesundheitsminister Spahn von Pflegefachkräften gefordert, die in wenigen Tagen fast 200.000 Unterstützer gefunden hat. Neben sofortigen Zusagen über deutliche Lohnsteigerungen wird darin auch eine „Mobilisierung aller Pflegekräfte“ gefordert.

Als Hamsterkäufer verunglimpft

Die Medizinischen Dienste der Krankenversicherungen (MDK), die unter anderem für die fachliche Begutachtung von Pflegediensten zuständig sind, haben bereits angekündigt, ihre Personalressourcen bei der Bewältigung der Corona-Krise zur Verfügung zu stellen. In der Regel arbeiten ausgebildete Pflegekräfte bei den MDKs. „Die Situation erfordert es, dass alle Kräfte gebündelt werden, um gemeinsam die Pandemie zu bekämpfen“, teilte Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des MDS mit. Eine große Entlastung erbringe zudem die Aussetzung der jährlichen Qualitätsprüfungen in den Heimen und ambulanten Diensten durch die MDKs.


Derweil werden in den Pflegeunternehmen eigene Pandemiepläne erarbeitet. Dabei gehe es nicht nur darum, Hygienemaßnahmen oder Arbeitsschutz zu verschärfen, sondern etwa auch Großeinkäufe für ambulant betreute Wohngemeinschaften zu vereinfachen. „Wenn Betreuungskräfte für eine WG einkaufen gehen, werden sie gleich als Hamsterkäufer diskreditiert“, erzählt APD-Chef Claudius Hasenau. „Um hier Konfliktpotenzial herauszunehmen, sollte allen gemeinschaftlichen Wohneinrichtungen ein Zugang zu Metro-Märkten ermöglicht werden.“

Problem Kinderbetreuung

Seit Mittwoch sind alle Kindergärten und Schulen in NRW zum Schutz vor der Corona-Ausbreitung geschlossen. Viele Pflegekräfte seien seitdem „in großer Sorge“, wie sie die Kinderbetreuung gestalten sollen, heißt es von den Mitgliedern der „Ruhrgebietskonferenz Pflege“. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn betonte am Donnerstag, dass gerade die vornehmlich weibliche Pflege durch die Schließung der Kitas und Schulen einer Doppelbelastung ausgesetzt sei. Zwar handelt es sich bei der Pflege um einen sogenannten „systemrelevanten Beruf“, weshalb die Notbetreuung in den Kitas und Schulen in Anspruch genommen werden kann – allerdings nur, wenn beide Eltern in einem solchen Job arbeiten.


Um das Problem zu bewältigen, hatte das Gelsenkirchener Pflegeunternehmen APD geplant, die Kinderbetreuung für Mitarbeiter im eigenen Haus von zwei sozialpädagogischen Fachkräften übernehmen zu lassen. Die Stadt Gelsenkirchen hat die Initiative allerdings unterbunden. „Man schließt ja Kitas und Schulen, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren“, begründete Stadtsprecher Oliver Schäfer auf Nachfrage. „Wenn man dann eine neue Kindergruppe eröffnet, konterkariert das die eigentliche Schließung.“ APD-Chef Claudius Hasenau kann die Entscheidung zwar verstehen, wünscht sich aber Alternativideen - gerade für die Pflegekräfte, die keinen Zugriff auf die Notbetreuung haben. „Da könnte man Ausnahmen schaffen für qualitätsgesicherte Betreuungsgebote, die ein Arbeitgeber selbst zur Verfügung stellt.“